# taz.de -- Debatte um Arbeitspflicht: Viel Schmutz, wenig Substanz | |
> Sind die Vorschläge der CDU zu Arbeitspflicht für Bürgergeldempfangende | |
> nur Wahlkampfgetöse? Was im Wahlprogramm wirklich vorgesehen ist. | |
Bild: Who kehrs? Bei einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfangende ginge es … | |
Berlin taz | „Leistung“ ist das Wort des Wahlkampfes. Die Union postuliert | |
„Leistung muss sich wieder lohnen“. Die SPD definiert Leistungsträger in | |
Abgrenzung als die, „die viel leisten – und nicht nur die, die sich viel | |
leisten können“. Und auch die Grünen wenden sich an die, die „den Laden | |
jeden Tag am Laufen halten“. Alle drei werben um die rackernde Mitte – was | |
aber ist mit Arbeitslosen und Bürgergeldempfänger:innen? | |
Beide Gruppen sind nicht deckungsgleich, obwohl der rechtslastige Diskurs | |
etwas anderes suggeriert. Doch von den 5,6 Millionen | |
Bürgergeldempfänger:innen, sind laut Agentur für Arbeit fast 1,5 | |
Millionen minderjährige Kinder unter 15 Jahren also nicht erwerbsfähig. | |
Jede fünfte Bürgergeldempfänger:in, mithin über 825.000 Menschen, ist | |
erwerbstätig, darunter die Hälfte in sozialversicherungspflichtigen Jobs. | |
Eine halbe Million Menschen pflegt Angehörige, kümmert sich um Haushalt | |
oder Erziehung oder gilt als erwerbsunfähig. Am Ende bleiben 1,7 Millionen | |
Menschen die arbeitsfähig, aber ohne Arbeit sind. | |
Wenn es nach der Union geht, soll es für diese ab März deutlich | |
ungemütlicher werden. [1][Im Wahlprogramm heißt es, man werde das | |
sogenannte Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen und durch eine neue | |
Grundsicherung ersetzen.] Der Vermittlungsvorrang – also die Pflicht, einen | |
Job anzunehmen, auch wenn das bedeutet, eine Weiterbildung abzubrechen – | |
solle wieder eingeführt werden. [2][Wer nicht bereit sei, Arbeit | |
anzunehmen, dem will die Union das Geld komplett streichen.] | |
Spitzenpolitiker, wie der parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei, | |
gehen sogar noch weiter und rufen nach einer Arbeitspflicht für | |
Bürgergeldempfänger:innen. So weit, so markig. | |
Doch was steckt hinter den Sprüchen? Werden | |
Bürgergeldempfänger:innen bald auf brandenburgischen | |
Baumwollplantagen schuften? Ansonsten – Geld weg? Die Rechtslage gibt das | |
nicht her: Der Staat ist qua Verfassung verpflichtet, ein | |
[3][menschenwürdiges Existenzminimums und ein Mindestmaß an Teilhabe zu | |
gewährleisten]. Das Bürgergeld von aktuell 563 Euro für Alleinstehende | |
bewegt sich gerichtlich bestätigt bereits auf diesem Niveau. Und auch bei | |
[4][Sanktionen hat das Bundesverfassungsgericht rote Linien] gesetzt: | |
Kürzungen von 30 Prozent sind in Ordnung, 60 oder 100 Prozent gehen zu | |
weit. | |
## Fördern und Fordern | |
Spricht man mit Fachpolitiker:innen von Union, SPD und Grünen, drängt | |
sich der Eindruck auf, dass hier eine Debatte läuft, die laut ist, viel | |
Schmutz aufwirbelt, aber wenig Substanz hat. | |
Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe, zuständig für Arbeit und Soziales, sagt | |
im Gespräch mit der taz, es gehe der Union um die Wiederherstellung der | |
Verbindung von Fördern und Fordern. „Bei gleichzeitiger Stärkung der | |
Vermittlungsanstrengungen. Das kann auch die Vermittlung in eine | |
Berufsausbildung sein, die die Chancen am Arbeitsmarkt erhöht.“ Zur | |
Arbeitspflicht wie in Schwerin äußert sich Gröhe nur karg. „Die Rechtslage | |
lässt das zu und Arbeitsmarktpolitiker sollten sich das unvoreingenommen | |
anschauen.“ | |
Während Kanzlerkandidat Friedrich Merz von zweistelligen | |
Milliardenbeiträgen spricht, die man beim Bürgergeld einsparen könne, sieht | |
Gröhe erst mal Investitionsbedarf. „Sicherlich kann man im Bereich des | |
Bürgergeldes auch zu deutlichen Einsparungen kommen. Dazu müssen aber | |
zunächst Vermittlungsanstrengungen verstärkt werden“, meint Gröhe. Er ist | |
sogar sicher, dass die allermeisten Langzeitarbeitslosen arbeiten wollen. | |
Gröhe hatte das Bürgergeld für die Union im Vermittlungsausschuss | |
mitverhandelt und -beschlossen. Wenn auch, wie er betont, „nicht aus vollem | |
Herzen“. Vielmehr sei der Einigungsdruck groß gewesen, da die Ampel die | |
notwendige Erhöhung der Regelsätze von einer Einigung bei allen übrigen | |
Fragen abhängig gemacht habe. | |
Man kann jedoch festhalten: Für den Anstieg der Bürgergeldausgaben, den sie | |
heute lautstark beklagt, ist die Union mitverantwortlich. Aus christlicher | |
Nächstenliebe. | |
Die SPD wiederum, die das Bürgergeld vor vier Jahren noch als zentrales | |
Wahlversprechen im Programm hatte, „das zu einem Leben in Würde ausreichen | |
und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen müsse“, klingt nun deutlich | |
kleinlauter. Im Entwurf des Regierungsprogramms, das am Samstag auf dem | |
Parteitag beschlossen werden soll, heißt es defensiv: „Das Bürgergeld ist | |
eine steuerfinanzierte Grundsicherung und kein bedingungsloses | |
Grundeinkommen. Deswegen wird zu Recht Mitwirkung eingefordert.“ | |
Im aktuellen Wahlkampf hängt man das Thema tief. „Über das Bürgergeld ist | |
schon sehr viel, leider auch sehr unsachlich gesprochen worden“, sagt | |
SPD-Arbeitsmarktexpertin und Fraktionsvize Dagmar Schmidt der taz. Am | |
liebsten wäre es der Parteilinken, wenn mehr über andere SPD-Forderungen | |
berichtet würde, über den Mindestlohn etwa. | |
Mit der Einführung des Bürgergelds am 1. Januar 2023 wollte die SPD die | |
neoliberalen Agenda-Zeiten der Ära Schröder endgültig hinter sich lassen | |
und die Versöhnung mit der Basis vollenden – doch ausgerechnet aus ihrer | |
Kernwählerschaft, von den Arbeitnehmer:innen, schlug ihr massiv Kritik | |
entgegen. Das Bürgergeld motiviere Arbeitslose wegen fehlender Sanktionen | |
und zu hoher Regelsätze kaum noch dazu, arbeiten zu gehen. | |
Die Abschaffung von Sanktionen sei nie das erste Thema gewesen, so Schmidt | |
heute. „Klar ist, wir wollen Verbindlichkeit bei Terminen und Maßnahmen.“ | |
Der Kern der Bürgergeldreform sei vielmehr der Kooperationsplan gewesen, | |
erläutert sie, bei dem sich Jobcenter und Arbeitslose auf einen | |
individuellen Fahrplan zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt einigen „Wir wollen | |
Arbeitslose so in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt langfristig | |
selbst zu sichern.“ Demselben Ziel diente auch der Wegfall des | |
Vermittlungsvorrangs. „Das sollten wir nicht wieder zurückdrehen.“ | |
## Grünen wollten Sanktionen abschaffen | |
Es waren vor allem die Grünen, die auf die Abschaffung der Sanktionen | |
drängten. „Die Garantie eines sanktionsfreien Existenzminimums ist auch | |
weiterhin Beschlusslage“, sagt die zuständige Berichterstatterin im | |
Bundestag Stephanie Aeffner. Die Grünen setzen vor allem auf die | |
Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen. „Das ist die wichtigste | |
Stellschraube, um langfristig Geld im System einzusparen“, sagt Aeffner. | |
Eine Arbeitspflicht lehnen sowohl Grüne als auch SPD ab. Die Union setze | |
auf „Populismus“. „Menschen zu gemeinnütziger Arbeit zu zwingen, ist | |
Zwangsarbeit und verboten“, betont Aeffner. „Es gibt bereits | |
Mitwirkungspflichten im Bürgergeld, aber eben zahlreiche Gründe, warum | |
Menschen nicht arbeiten können“, sagt die SPD-Politikerin Schmidt. | |
Hemmnisse wie fehlende Kinderbetreuung, fehlende Ausbildung müssten | |
angegangen werden. | |
Bei näherem Hinsehen stellt man dennoch fest – trotz schriller Töne im | |
Wahlkampf haben Union, SPD und Grüne beim Thema Bürgergeld zahlreiche | |
Schnittmengen. „Im Gespräch mit Fachpolitikern sieht man viele Dinge | |
ähnlich“, meint Schmidt. „Wir haben ja auch das Gesetz im | |
Vermittlungsausschuss gemeinsam beraten und beschlossen.“ | |
Womöglich ändert sich ab März dann auch nur der Name. Statt Bürgergeld | |
heißt es dann eben „neue Grundsicherung“. | |
7 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlprogramm-der-Union/!6056358 | |
[2] /Arbeitspflicht-fuer-Buergergeldempfaenger/!6060575 | |
[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/0… | |
[4] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2019/1… | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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