| # taz.de -- CO2-Zertifikate werden teurer: EU verschärft Emissionshandel | |
| > Nach langen Verhandlungen haben sich Europäisches Parlament und | |
| > Mitgliedsstaaten geeinigt. Der Zertifikatehandel wird teurer und | |
| > erweitert. | |
| Bild: Schornstein im Industriepark Höchst, Frankfurt am Main | |
| Berlin taz | Wann die Sektkorken eigentlich knallten, weiß Michael Bloss | |
| gar nicht so genau. Der Grünen-Europaabgeordnete hat Wochen mit turbulenten | |
| Verhandlungen zu Europas bislang größtem Klimadeal hinter sich, da spielt | |
| es kaum noch eine Rolle, zu welcher nachtschlafenden Zeit nun die letzten | |
| Handschläge getätigt wurden. Irgendwann in den ganz frühen Morgenstunden | |
| konnte der Grünen-Europaabgeordnete in Brüssel aufatmen: Es gab eine | |
| [1][Vereinbarung zwischen Europäischem Parlament und dem Rat der | |
| EU-Regierungen.] | |
| Die Europäische Union verschärft damit ihr wichtigstes | |
| Klimaschutzinstrument, nämlich den Emissionshandel. Und vor allem wird es | |
| einen weiteren Emissionshandel für Wirtschaftsbereiche geben, die bislang | |
| nicht für ihren CO2-Ausstoß zahlen müssen. „Ich glaube, wir haben ein gutes | |
| Ergebnis erzielt“, sagte Bloss am Sonntagmorgen. | |
| Seit 2005 gibt es den Europäischen Emissionshandel schon. Das Prinzip: Wer | |
| verschmutzt, muss zahlen – und wird sich das mit dem Verschmutzen in | |
| Zukunft überlegen. Lange Jahre ging diese Rechnung kaum auf. Viel zu viele | |
| CO2-Zertifikate waren in Umlauf, die Preise entsprechend niedrig. Zeitweise | |
| lagen sie bei 5 Euro pro Zertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne CO2 | |
| berechtigte. | |
| ## EU-führt weiteren Emissionshandel ein | |
| Das beeindruckte kaum ein Unternehmen in den betroffenen | |
| Wirtschaftsbereichen, nämlich der Stromgewinnung und der Industrie. Reform | |
| für Reform wurde die Menge der verfügbaren Zertifikate reduziert, wenn auch | |
| teils nur vorübergehend. Mittlerweile kostet die Tonne CO2 eher 80 Euro. | |
| Immerhin beim Klimaschutz in der Stromgewinnung zeigt das schon Wirkung. | |
| Die Industrie ist träger, was freilich auch damit zusammenhängt, dass sie | |
| einen Großteil ihrer Zertifikate geschenkt bekommt – also gar nicht für | |
| jede verursachte Tonne CO2 zahlt. | |
| Nun ist klar: Die Europäische Union führt einen weiteren Emissionshandel | |
| ein, der für den Verkehrs- und den Gebäudesektor gilt. Wirtschaftssektoren | |
| wie die Landwirtschaft kommen damit vorerst ungeschoren davon. Fossiles | |
| Heizen und Tanken werden aber in vielen EU-Ländern teurer. | |
| Für Deutschland ändert sich nicht viel. Hierzulande gibt es schon seit 2021 | |
| einen CO2-Preis für Verkehr und Gebäude. Die damalige Große Koalition stand | |
| unter Druck, weil Sprit, Benzin, Heizöl und Heizgas Deutschlands | |
| Klimabilanz desaströs verschlechterten – und schuf im Alleingang ein | |
| Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude auf nationaler Ebene. | |
| Schließlich war ungewiss, ob und wann es zu einer europäischen Einigung | |
| kommen würde. | |
| ## Bürger:innen werden mit Fonds unterstützt | |
| Künftig gilt ein solches System EU-weit, und zwar ab 2027. Dabei soll es | |
| allerdings vorerst einen Preisdeckel geben, bis 2030 soll er bei 45 Euro | |
| pro Tonne CO2 liegen. Das entspricht laut dem ADAC 12,9 Cent pro Liter | |
| Benzin. Falls die Preise für Öl und Gas durch andere Markteffekte dann | |
| schon besonders hoch liegen, soll das Ganze sogar erst ein Jahr später | |
| starten. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Preis aktuell bei 30 Euro, | |
| soll aber bis 2026 auf 55 Euro ansteigen. Das entspricht 15,9 Cent pro | |
| Liter Benzin. | |
| Was mit dem deutschen Emissionshandel passiert, wenn es eine europäische | |
| Lösung gibt, ist unklar. Um Bürger:innen beim Umstieg auf ein | |
| klimafreundlicheres Leben zu unterstützen, soll es zudem künftig einen | |
| Klimasozialfonds geben. Gespeist werden soll er aus nationalen und | |
| europäischen Einnahmen aus dem neuen Emissionshandel. Ab 2026 soll der | |
| Fonds starten und dann über fünf Jahre insgesamt 87 Milliarden Euro | |
| ausschütten. Mit diesem Punkt ist der Grüne Michael Bloss nicht zufrieden – | |
| zusammen mit dem Rest des EU-Parlaments hatte der Abgeordnete einen | |
| deutlich größeren Fonds gefordert. „Uns war immer wichtig, dass wir die | |
| Verbraucher:innen in Europa schützen mit einem großen | |
| Klimasozialfonds“, sagte er. „Da ist eine Schieflage klar erkennbar.“ | |
| Für den konservativen Abgeordneten Peter Liese wiegt das nicht ganz so | |
| schwer. Er ist froh, dass es überhaupt eine Einigung zum neuen | |
| Emissionshandel gibt. „Ich verteidige sie von ganzem Herzen“, sagte er am | |
| Sonntag. Liese sprach vom „größten Klimaschutzgesetz aller Zeiten“, das d… | |
| EU auf den Weg gebracht habe. | |
| Auch beim ursprünglichen Emissionshandel, dem für Stromproduktion und | |
| Industrie, ändert sich einiges. Dort soll weiter bei den verfügbaren | |
| Zertifikaten gekürzt werden. Das heißt: Es darf insgesamt weniger CO2 | |
| emittiert werden und die Preise dafür steigen. Die Industrie bekommt dabei | |
| allerdings weiter Zertifikate geschenkt, wenn auch weniger als früher. Für | |
| die Industriezweige, deren internationale Konkurrenz die EU künftig mit | |
| ihrem Klimazoll CBAM belasten will, ist allerdings absehbar Schluss damit. | |
| Dazu zählt etwa die Stahlherstellung. Ohnehin drohen durch den geplanten | |
| Klimazoll Klagen vor der Welthandelsorganisation (WTO). Deren Erfolg wäre | |
| wohl schon vorab sicher, wenn die EU ihre eigene Industrie derweil weiter | |
| kostenlos verschmutzen lassen würde. In dem Tempo, in dem CBAM eingeführt | |
| wird, laufen deshalb die kostenlosen Zertifikate für die entsprechenden | |
| Branchen aus. Dieser Prozess soll 2034 abgeschlossen sein. | |
| Dass es mit den kostenlosen Zertifikaten weitergeht, kritisieren | |
| Klimaschützer:innen. „Die Gesetzgeber:innen finden den Schutz der | |
| Industrie offensichtlich wichtiger als den der Menschen und des Planeten“, | |
| urteilte Klaus Röhrig vom Climate Action Network Europe. Auch Agnese | |
| Ruggiero von Carbon Market Watch kritisierte „massive Geschenke an die | |
| Schwerindustrie“, die die Emissionsminderung der klimaschädlichen | |
| Wirtschaft im kommenden Jahrzehnt verlangsamen werde. | |
| Die Reform soll die EU auf den richtigen Weg zu ihrem Klimaziel bringen: | |
| ihre Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, um bis | |
| 2050 klimaneutral zu werden. Ihren fairen Beitrag zum Pariser | |
| Weltklimaabkommen, das die Erderhitzung möglichst bei 1,5 Grad stoppen | |
| soll, liefert sie damit nach allgemeinem Verständnis nicht. | |
| Bis zur Hälfte des Jahrhunderts muss dafür laut Weltklimarat (IPCC) nämlich | |
| die Welt insgesamt klimaneutral sein. Das Parisabkommen hält fest, dass die | |
| Länder dabei eine „geteilte, aber jeweils unterschiedliche Verantwortung“ | |
| tragen. Das heißt: Reiche Länder, die die Atmosphäre schon lange mit vielen | |
| Treibhausgasen belasten, müssen eigentlich schneller sein beim Klimaschutz. | |
| 19 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Schwarz | |
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