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# taz.de -- Emissionshandel in der EU: Der Wasserbett-Effekt
> Der CO2-Emissionshandel gilt in der EU ab 2027 auch für Gebäude und
> Verkehr. Das Konzept hat aber viele Mängel, vor allem die Preisobergrenze
> ist viel zu niedrig.
Bild: Lkw-Verkehr auf der A2 bei Bottrop
Im Dezember 2022 knallten die Sektkorken bei den Befürwortern [1][des neuen
europäischen Emissionshandels für Gebäude, Straßenverkehr und kleinere
Industrieunternehmen], ETS 2 genannt. Nach dem Durchbruch beim
Emissionshandel für Stromerzeugung und Großindustrie würde damit der
CO2-Preis endgültig ins Zentrum der Klimapolitik gerückt werden.
Ein Punkt sticht allerdings sofort ins Auge: Der neue CO2-Preis [2][soll
bei maximal 45 Euro pro Tonne gedeckelt werden]. Das wären Mehrkosten von
10 Cent pro Liter Benzin. Eine Lenkungswirkung ist davon kaum zu erwarten:
Schon 2026 soll der CO2-Preis in Deutschland zwischen 55 und 65 Euro
liegen. Auch das wäre nach Meinung der Klimaökonomen viel zu niedrig.
Zwar steht die Einigung zum Höchstpreis nur im unverbindlichen Teil der
Gesetzgebung, nur war diese Festlegung ein wichtiger Punkt bei der Einigung
zum ETS 2. [3][Und der französische Präsident Macron hatte mehrfach
erklärt], er würde den Preis auf 45 Euro deckeln. Ein Abrücken von seinem
Versprechen vor der Präsidentschaftswahl 2027 wäre eine Steilvorlage für
die Parteien von rechts wie links außen. Das klingt eher nach Stagnation
als nach Zeitenwende.
Nach Ansicht von Klimaökonomen [4][ist eine solche Preisobergrenze aber
kaum zu halten]. Grundlage des ETS 2 sind klar festgelegte Obergrenzen für
Emissionsmengen. Die Preise für Zertifikate sind Knappheitspreise: Wenn der
CO2-Ausstoß nicht deutlich sinkt, wird der Preis je Tonne CO2 entsprechend
steigen.
## Schwächste Länder bestimmen das Tempo
Der Mechanismus zur Stabilisierung des Preises sieht zwar vor, dass im
Bedarfsfall zusätzliche Zertifikate freigegeben würden. Die vorgesehene
Menge an Zertifikaten liegt allerdings bei nur 2 Prozent der erwarteten
Emissionen – dies wird den Preisanstieg kaum begrenzen können, wenn der
CO2-Ausstoß zu wenig sinkt und damit der Preisdruck steigt.
Das Beispiel der Preisobergrenze zeigt die Grundproblematik eines
europaweit einheitlichen Emissionshandels. Ein Preis, der in Osteuropa
oder Frankreich soziale Proteste auslösen könnte, wird in Staaten wie
Deutschland kaum Wirkung zeigen. Mindest- oder Obergrenzen, die nicht
national, sondern EU-weit festgelegt werden, müssen sich aus sozialen wie
wirtschaftlichen Gründen am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren. Damit
wird das Tempo durch die schwächsten Länder bestimmt.
Die Gas- und Energiekrise im letzten Winter hat deutlich gemacht, dass auch
in Europa die Etablierung eines wirksamen CO2-Preises von den sozialen
Rahmenbedingungen abhängt. Aus diesem Grund ist auch ein Klima- und
Sozialfonds auf EU-Ebene beschlossen worden. Der Schwerpunkt bei diesem
Fonds liegt allerdings wieder, ähnlich wie derzeit in Deutschland, bei den
Subventionen. Zwar sind diese verstärkt für finanziell schwache Gruppen
vorgesehen. Direktzahlungen wie ein Klimageld sind aber nur begrenzt für
besonders betroffene Gruppen, und das auch nur übergangsweise, gestattet.
Die flächendeckende Modernisierung von Heizsystemen und Gebäudedämmung wie
auch die Ablösung des Verbrennermotors kann aber nur mittelfristig
umgesetzt werden. Der Anstieg der CO2-Preise im ETS 2 könnte aber zu
Energiepreisen wie im Winter 2022 führen – und wird dann alle
Bevölkerungsschichten treffen. Ohne ein Klimageld drohen damit politische
Turbulenzen mit der Folge, dass Marktmechanismen aufgeweicht und die
üblichen kontraproduktiven Instrumente wie Preisdeckel und
Entfernungspauschale eingesetzt werden.
## Hilft Ökostrom dem Klima?
Auf [5][einem Webinar] zum Thema [6][„Klima-Update & Klima-Geld. Wo steht
die deutsche Klimapolitik nach der Sommerpause?“] wurde vor ein paar
Wochen die Frage der ganz persönlichen Aktivitäten für den Klimaschutz
behandelt: dass Menschen etwas tun, sich selbst einbringen wollen. Dass
dies ein absolut wichtiger Aspekt wäre, um die Menschen stärker für
Klimathemen zu begeistern.
Dagegen steht allerdings der sogenannte Wasserbetteffekt. Der Ökonom Achim
Warmbach antwortete auf die Frage, ob man dem Klima helfe, wenn man
Ökostrom kaufe, auf den Wochenendflug nach Barcelona verzichte oder sich
eine Solaranlage aufs Dach baue, mit einem dreifachen Nein. Wenn ich das
Bett an einer Stelle eindrücke, beult es an einer anderen Stelle aus. Die
Wassermenge bleibt unverändert.
Mit dem Emissionshandel ist die Menge an Emissionen und damit die Menge der
versteigerten Zertifikate festgelegt. Individuelle Einsparungen bei Verkehr
oder Gebäudeheizung ändern nichts an der Gesamtmenge der CO2-Emissionen.
Weniger Verbrauch führt zu einem Absenken der in Kraftstoff- oder
Heizkosten enthaltenen CO2-Preise (bis zum Mindestpreis, so vorhanden) oder
zum EU-weiten Verkauf der überzähligen Zertifikate und damit nur zu einer
Verlagerung von Emissionen. Für die Bürger wäre klimabewusstes Verhalten
damit sinnlos. Wir könnten uns zurücklehnen und die Entscheidung über
Emissionsobergrenzen der Politik überlassen – eine absurde Umkehrung der
Verhältnisse.
## Zu viele Fehlstellen
Die Frage, ob eine Neuverhandlung dieses Kompromisses denn realistisch
wäre, ist berechtigt. Nur – das Klima nimmt auf solche Fragen keine
Rücksicht. Nebenbei geht es ja auch nach Aussagen der EU um ein Modell,
welches attraktiv auch für andere Regionen sein könnte. Weil genau das
bisher fehlt. Dafür weist das Konzept allerdings zu viele Fehlstellen auf.
Es gibt eine einfache und erprobte Alternative: das in der Schweiz seit
2008 praktizierte Modell von CO2-Abgabe und Klimageld. Der Großteil der
Einnahmen würde per Klimageld zurückgezahlt werden. Der Rest könnte für
klimafreundliche Subventionen eingesetzt werden. Die Schweizer sind so
zufrieden damit, dass sie es mehrfach per Volksabstimmung bestätigt haben.
Ihr CO2-Preis liegt inzwischen übrigens bei 120 Euro pro Tonne.
12 Oct 2023
## LINKS
[1] /EU-Parlament-beschliesst-Klimagesetze/!5926015
[2] https://www.euractiv.de/section/verkehr/news/eu-emissionshandel-heiz-und-be…
[3] https://www.euractiv.de/section/verkehr/news/eu-abgeordneter-macron-wird-an…
[4] https://www.euractiv.de/section/verkehr/news/eu-emissionshandel-heiz-und-be…
[5] https://europe-calling.de/webinar/klima-update-klima-geld/
[6] https://youtu.be/04UZgLXg2kI?si=zs61Zqh8q04BuZq4&t=5212
## AUTOREN
Gerhard Hübener
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