# taz.de -- Abwanderung von Firmen aus Deutschland: Emissionshandel ist nicht s… | |
> Der EU-Emissionshandel allein treibe keine deutsche Firma ins Ausland, so | |
> die Bundesbank. Er führe aber zu mehr Klimaschutz. | |
Bild: Ziehen Fabriken wie dieses Stahlwerk in Duisburg aus Europa ab? | |
Berlin taz | [1][Europa verfolgt ehrgeizige Klimaziele.] Die Regeln dazu | |
verteuern das wirtschaftliche Handeln. Jetzt hat die Bundesbank erstmals | |
genau untersucht, ob der Kern der EU-Strategie, der Emissionshandel, die | |
Industrie aus Deutschland vertreibt. Die Experten fanden keinen Hinweis | |
darauf. Die Unternehmen müssen andere Gründe dafür haben, Fabriken ins | |
außereuropäische Ausland verlagern zu wollen. Eher investieren die Firmen, | |
um weniger CO2 auszustoßen. | |
Die EU soll 2050 klimaneutral sein. Wer in der Staatengemeinschaft etwas | |
produziert und dabei CO2 in die Luft bläst, muss ein Zertifikat besitzen, | |
das ihm das erlaubt. Die Menge der Zertifikate ist durch die EU begrenzt | |
und sinkt jedes Jahr. Die Papiere werden im Wesentlichen per Auktion | |
vergeben und dann etwa an der Börse in Amsterdam oder der EEX in Leipzig | |
gehandelt. Zertifikate kosteten zuletzt um die 70 Euro. Etwas zu | |
produzieren, ist deshalb in der EU im Prinzip teurer als außerhalb, wo es | |
vielfach keinen solchen Emissionshandel gibt. | |
Das System existiert seit 2005, mehrfach wurde es verschärft. Dem Handel | |
unterliegen derzeit rund 9.000 Unternehmen in Europa, darunter Chemie- und | |
Stahlkonzerne, Raffinerien, Zementwerke. Sie stehen für etwa 40 Prozent | |
aller Treibhausgasemissionen. Auch der innereuropäische Luftverkehr und die | |
Schifffahrt sind dabei. Verkehr und Wohnen soll ebenfalls eingebunden | |
werden. | |
## Keine Standortverlagerung wegen Emissionshandel | |
Die Bundesbank-Experten schauten sich jetzt an, wie viel deutsche Konzerne | |
aus dem verarbeitenden Gewerbe zwischen 2005 und 2022 außerhalb der EU in | |
Produktion investierten. Die Zahlen stammen von der Bundesbank. | |
Die Autoren der Studie verknüpften sie mit Daten zum CO2-Ausstoß der | |
Konzerne weltweit. Sie stammt vom Institutional Shareholder Service (ISS), | |
einem Beratungsunternehmen, das mehrheitlich der Deutschen Börse gehört. | |
Rausgerechnet wurden Effekte, die alle Unternehmen betreffen, etwa die | |
Corona-Pandemie. | |
Das Ergebnis: Es gibt keine Hinweise, dass der Emissionshandel deutsche | |
Unternehmen maßgeblich dazu bringt, außerhalb der EU zu produzieren und | |
Fabriken in Deutschland zu schließen. Das gilt der Studie zufolge | |
gleichermaßen für Unternehmen, die überdurchschnittlich viel CO2 ausstoßen, | |
wie für Firmen, die eher wenig erzeugen. Wenn eine Firma abwanderte, muss | |
es demnach andere Gründe gegeben haben. | |
Die Experten stellten eher fest, dass die Unternehmen in grüne Technologie | |
investierten [2][und ihren CO2-Ausstoß senkten]. Offenbar rechnete sich das | |
mehr, als teure Zertifikate zu kaufen oder gar die Produktion zu verlegen. | |
Demnach wird nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen | |
Ländern mehr Geld in grüne Technologien gesteckt als außerhalb der EU. Ein | |
Beweis, dass der Emissionshandel wirkt. | |
## Große Konzerne denken trotzdem über Abwanderung nach | |
Die Studie endet allerdings 2022. Da hatte die letzte Reform des | |
Emissionshandels gerade erst gegriffen, die Preise für Zertifikate waren | |
von um die 25 Euro auf etwa 80 Euro gestiegen. In der Spitze waren es sogar | |
mehr als 100 Euro. Möglicherweise spielt der Handel deshalb jetzt doch eine | |
Rolle, wenn es um Standortverlagerung aus Deutschland geht. | |
Darüber entscheidet kein Unternehmen kurzfristig, [3][zu hoch sind die | |
Ausgaben und die Folgekosten]. Sollten die Zertifikatspreise dauerhaft hoch | |
bleiben, rechnen die Autoren der Bundesbank-Studie damit, dass es für große | |
Konzerne doch interessant sein kann, Fertigung, die besonders viel CO2 | |
ausstößt, aus Europa abzuziehen. | |
[4][Ein Problem sind auch Produkte wie Stahl], die in Ländern ohne | |
Emissionshandel hergestellt und dann eingeführt werden. Er ist | |
möglicherweise billiger als vergleichbarer Stahl aus Europa. Deshalb greift | |
bald eine Art Importsteuer, die den außereuropäischen Stahl aus Ländern | |
ohne Klimaprogramm verteuert und so den CO2-Ausstoß dort einpreisen soll. | |
Die Regel gilt auch für andere Produkte. Allerdings bekommen europäische | |
Firmen beim Export keinen Klimabonus, der ihre Produkte außerhalb der EU | |
verbilligen könnte. | |
## Bürokratie, Berichtspflichten und Energiekosten | |
Die Autoren der Bundesbank-Studie jedenfalls mahnen an, die Klimapolitik | |
international zu koordinieren. In der aktuellen geopolitischen Lage mit den | |
großen Blöcken Russland, China und USA/Europa, die alle ihre eigene | |
Strategie fahren und zum Teil wenig auf die Umwelt schauen, dürfte das | |
schwierig sein. | |
Zudem haben nur wenige Länder einen Emissionshandel. Europa ist hier | |
führend, ein Vorbild. Der Handel gilt in den 27 Staaten der EU sowie | |
Island, Liechtenstein und Norwegen. Die Schweiz hat ein eigenes System, ist | |
aber angebunden. | |
Die Autoren empfehlen deutschen und EU-Politikern, Innovationen in grüne | |
Technologien zu erleichtern und „internationalen wie nationalen Investoren | |
auf diese Weise Investitionsanreize zu bieten“. So könnten teure | |
Subventionen vermieden und stattdessen privates Kapital mobilisiert werden. | |
Wichtig dabei: Ein klarer Rahmen und Planungssicherheit, damit die | |
Unternehmen kalkulieren können, ob, wie und wo es sich lohnt, zu | |
investieren. | |
Warum Unternehmen dennoch überlegen könnten, Fabriken aus Deutschland zu | |
verlagern? [5][Unternehmer nennen immer wieder Berichtspflichten], | |
Bürokratie, hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und dass es sehr lange | |
dauert, bis Behörden etwas genehmigen. Vielleicht geht es auch nur darum, | |
zu drohen, um Zugeständnisse der Politik zu erhalten. Was genau es ist oder | |
ob gar eine Kombination aus allem, harrt noch wissenschaftlicher | |
Untersuchung. | |
17 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Klage-vor-dem-Bundesverfassungsgericht/!6034038 | |
[2] /Nebeneffekt-des-Emissionshandels/!6018062 | |
[3] /Europaeischer-Emissionshandel/!5992314 | |
[4] /Umbau-bei-Thyssenkrupp/!6029944 | |
[5] /Oekonom-Huether-ueber-die-Schuldenbremse/!6014209 | |
## AUTOREN | |
Björn Hartmann | |
## TAGS | |
Emissionshandel | |
Unternehmen | |
Stahl | |
Bundesbank | |
Klimaschutzziele | |
Emissionshandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
ThyssenKrupp | |
CO2-Emissionen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Emissionshandel: Brüsseler Kronjuwelen | |
Die EU will klimaneutral werden und dafür Treibhausgasemissionen richtig | |
teuer machen. Wie teuer, das hängt auch von der nächsten Bundesregierung | |
ab. | |
Betrug beim Klimaschutz: Verbrenner schädlicher als gedacht | |
Das Umweltbundesamt will den Mineralölkonzernen Zertifikate für die | |
Minderung von Treibhausgasen aberkennen. Es geht um Millionen Tonnen von | |
CO2. | |
Umbau bei Thyssenkrupp: Stählerne Streiterei | |
Um die Zukunft der Thyssenkrupp-Stahlsparte wird heftig gestritten. | |
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter kritisieren sich gegenseitig scharf. | |
CO2-Zertifikate werden teurer: EU verschärft Emissionshandel | |
Nach langen Verhandlungen haben sich Europäisches Parlament und | |
Mitgliedsstaaten geeinigt. Der Zertifikatehandel wird teurer und erweitert. | |
CO2-Bepreisung hilft bei Energiewende: Emissionshandel wird Klimaschützer | |
Lange hatte er keinen guten Ruf. Aber nun dürfte der Handel mit | |
CO2-Zertifikaten den Rückgang der Kohleverstromung beschleunigen. |