# taz.de -- Betrug beim Klimaschutz: Verbrenner schädlicher als gedacht | |
> Das Umweltbundesamt will den Mineralölkonzernen Zertifikate für die | |
> Minderung von Treibhausgasen aberkennen. Es geht um Millionen Tonnen von | |
> CO2. | |
Bild: Palmöl, Restholz, Erdöl? Unklar, was aus der Zapfsäule wirklich rausko… | |
Berlin taz | Das Umweltbundesamt (UBA) prüft, ob Mineralölkonzernen falsche | |
Zertifikate für angeblich klimafreundlicheren Sprit entzogen werden können. | |
Betroffene Konzerne müssten dann neue, andere Zertifikate nachliefern, mit | |
dem sie Bemühungen für Klimaschutz nachweisen. Neue Zertifikate für | |
UER-Projekte werden nicht mehr ausgestellt. Die Zertifikate hatten Firmen | |
für Projekte erhalten, die die Erdölförderung nachhaltiger machen sollten, | |
sogenannte UER-Projekte. | |
UER steht für Upstream Emission Reduction und kann etwa bedeuten, bei der | |
Erdölförderung anfallendes Methan aufzufangen und weiter zu verwerten oder | |
bei der Förderung Windenergie einzusetzen. | |
Für jedes dieser Projekte erhielten die Konzerne Zertifikate über die | |
erreichte Treibhausgasminderung. Neben Investitionen in E-Mobilität oder | |
nachhaltige Kraftstoffe aus pflanzlichen Reststoffen waren die UER eine | |
Methode für die Mineralölkonzerne, ihr klimaschädliches Geschäft | |
nachhaltiger zu machen. Doch offenbar klappt das nicht. | |
Von 75 weltweit genehmigten UER-Projekten sind nach ZDF-Recherchen und | |
Branchen-Hinweisen vor allem die 66 in China befindlichen ins Visier | |
geraten. 45 von ihnen „stehen unter einem sehr starken Betrugsverdacht“, | |
sagte Uba-Präsident Dirk Messner am Montag. 32 von ihnen will das UBA | |
rückabwickeln, „damit sichern wir rund 4 Millionen Tonnen unberechtigte | |
UER-Zertifikate“, so Messner. Bei 13 Projekten, die schon abgeschlossen | |
sind, sei das schwieriger. [1][Hier werde die Staatsanwaltschaft | |
ermitteln.] | |
Das UBA unternehme hier endlich richtige Schritte, sagt Sandra Rostek, die | |
das Hauptstadtbüro Bioenergie leitet, „doch es löst das Problem nicht“. | |
Wenn nicht einmal die Compliance-Abteilungen von Weltkonzernen wie BP und | |
Shell den Betrug entdeckt hätten, „funktioniert ja wohl das ganze System | |
nicht“, sagt Rostek. Man müsse es umdrehen: Nicht mehr der Staat müsse | |
nachweisen, dass ein Zertifikat falsch, sondern der Anbieter müsse vor der | |
Erteilung beweisen, dass es korrekt sei. Dies gelte vor allem, weil auch | |
ein zweiter Bereich betroffen sei, der für Nachhaltigkeit im Verkehr sorgen | |
soll: nachhaltige Biokraftstoffe aus Stroh, Holz oder anderen Reststoffen. | |
## Anreize zum Betrug | |
[2][Anders als Diesel beispielsweise aus Raps, tierischen Fetten oder | |
Frittierfett] dürfen die Mineralölkonzerne diese nachhaltigen | |
Biokraftstoffe ihrem Benzin und Diesel unbegrenzt beimischen. Dies habe zu | |
einem Sog geführt und setze auch hier Anreize zum Betrug. Der Verdacht: | |
Große Mengen an äußerst klimaschädlichem Palmöl werden in Deutschland als | |
nachhaltiger Biokraftstoff verkauft. | |
Der österreichische Ölkonzern OMV, der im Zertifikate-Skandal auftaucht, | |
weist das von sich: „Alle Lieferanten sind nach einem anerkannten | |
freiwilligen Zertifizierschema der EU zertifiziert, beziehungsweise | |
unterliegen der Aufsicht der deutschen Zollbehörden“, schreibt das | |
Unternehmen. OMV schließe vertraglich mit den Lieferanten einzelne | |
Herkunftsländer von Biotreibstoffen aus. Eingehende | |
Nachhaltigkeitsnachweise würden beim Eingang kontrolliert und | |
gegebenenfalls beim Lieferanten reklamiert. | |
„Die Untersuchungen der deutschen Behörden zeigen, dass die bestehende | |
Nachhaltigkeitszertifizierung für fortschrittliche Biokraftstoffe nicht | |
ausreicht“, sagt Elmar Baumann vom Verband der deutschen | |
Biokraftstoffindustrie. Die Forderung auch hier: Die Behörden brauchten | |
mehr Kapazitäten und mehr Rechte. | |
„Zusammen mit den anderen Verbänden der Biokraftstoffwirtschaft fordern | |
wir, dass Produzenten fortschrittlicher Biokraftstoffe eine behördliche | |
Zulassung für den deutschen Markt beantragen müssen“, sagt Baumann, „sie | |
müssen nachweisen, welche Rohstoffe sie einsetzen und über welche | |
Produktionskapazitäten sie verfügen“. Außerdem müsse die zuständige | |
Behörde, die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, das Recht | |
haben, Betriebe unangekündigt zu kontrollieren. | |
Die Bioenergie-Lobbyistin Rostek fürchtet, dass der Zertifikate-Skandal der | |
Mineralölbranche nur die Spitze des Eisbergs zeigt. „Wir befürchten | |
ähnliche Probleme bei Zertifikaten für grünen Stahl oder Wasserstoff“, so | |
Rostek. „Wir werden nicht umhinkommen, auch künftig Waren und Energie im | |
Ausland einzukaufen“, sagt UBA-Präsident Messner, darum seien effektive | |
Zertifizierungssysteme nötig. Das sei lösbar, etwa indem die Zertifizierer | |
selbst besser kontrolliert und internationale Vorortvisiten durchgeführt | |
würden. | |
Um eine Einordnung des Skandals gebeten, winken Experten etwa von | |
Umweltforschungsinstituten übrigens ab. Dass der Kraftstoffmarkt für | |
Verbrennungsmotoren nicht klimafreundlich machbar sei und auch | |
Biokraftstoffe dazu nicht beitragen könnten, sei seit langem klar. Damit | |
befasse man sich im Detail nicht mehr. | |
17 Sep 2024 | |
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