| # taz.de -- Regisseur Felix Bühler über Klima-Doku: „Wir müssen radikal ne… | |
| > Regisseur Felix Maria Bühler blickt in der Doku „Bis hierhin und wie | |
| > weiter?“ hinter die Klimaproteste. Die Krise zwinge Filmschaffende zu | |
| > Haltung, sagt er. | |
| Bild: Bagger gegen Klima: Szenenfoto aus dem Dokumentarfilm | |
| taz: Herr Bühler, über [1][Klima]aktivist*innen wird viel Hass und | |
| Kritik ausgegossen. Jetzt ist Ihr Film, der diese Menschen in den | |
| Mittelpunkt rückt, für den renommierten First Steps Award nominiert. Waren | |
| Sie überrascht? | |
| Felix Maria Bühler: Ja! Denn oft gewinnen auf Festivals Filme, auf die sich | |
| alle einigen können. Mein Film eckt bei manchen furchtbar an. Aber | |
| vielleicht liegt darin seine Kraft, den Diskurs anzustoßen. Ich freue mich | |
| unglaublich über die Nominierung – das ist eine absolute Ehre. | |
| taz: Wie erklären Sie sich die Wahl? | |
| Bühler: Es gibt eine Sehnsucht nach einer Perspektive, die eine | |
| Innenansicht von Klimaaktivismus zeigt, statt etwas auf ihn zu projizieren. | |
| Als ich die Klimakrise zu begreifen begann, hatte ich mir so einen Film | |
| gewünscht und nicht gefunden. Da habe ich ihn selbst gedreht. Mir ging es | |
| um Menschen, die an dieser Krise verzweifeln und zugleich nach Lösungen | |
| suchen, für die Gesellschaft und für sich selbst. Diese Suche wollte ich | |
| über Persönlichkeiten transportieren, nicht über vermummte Gesichter. | |
| taz: Sie haben im Januar 2022 begonnen, das Leben im Klimacamp in Lützerath | |
| zu drehen, also ein Jahr vor der spektakulären Räumung. Wie stießen Sie auf | |
| das Thema? | |
| Bühler: Im Coronawinter 2021 las ich „Deutschland 2050“ von Nick Reimer und | |
| Toralf Staud. Das Buch beschreibt, wie sich die Klimakrise auf Deutschland | |
| auswirken wird, und hat mich wirklich wachgerüttelt. Ich musste es in | |
| Abschnitten lesen, weil es mich so erschüttert hat. Ich war fertig. Danach | |
| suchte ich den Austausch, fand aber in der Filmwelt kaum Gleichgesinnte. | |
| taz: Wollen Sie damit sagen, dass das Thema an deutschen Filmhochschulen | |
| nicht präsent ist? | |
| Bühler: Es gab an der Filmuni Babelsberg, wo ich studiere, ein Seminar zur | |
| Klimakrise, aber das war nur ein kleiner Kreis. Außerhalb davon wurde das | |
| Thema kaum diskutiert. Mich verwundert, dass die Klimakrise im deutschen | |
| Film oft nicht stattfindet | |
| taz: Wie bitte? Wie erklären Sie sich das? | |
| Bühler: Die Klimakrise zwingt uns Filmschaffende, uns klar zu | |
| positionieren. Man kann sich bei diesem Thema nicht mehr hinter | |
| verschiedenen Perspektiven verstecken und sagen: „Das muss man ambivalent | |
| betrachten.“ Nein, Katastrophen wie die Klimakrise schaffen eine große | |
| Klarheit, in der eben nicht jede Sichtweise ihre Berechtigung hat. Aber | |
| sich klar zu positionieren, macht angreifbar, und das ist vielen zu heikel. | |
| taz: Wo haben Sie die Leute gefunden, die Sie gesucht haben? | |
| Bühler: Im zweiten Coronawinter bin ich nach Lützerath gegangen und habe | |
| dort zwei Wochen lang gelebt. Es war kalt und nass, manche schliefen in | |
| Baumhäusern, ich im Zelt. Aber es war schön, weil ich Gespräche von einer | |
| Ehrlichkeit erlebt habe, die ich in unserer Gesellschaft oft vermisse. | |
| Vorher hatte ich beim Hungerstreik der Letzten Generation in Berlin | |
| vorbeigeschaut. Ich wollte die Menschen kennenlernen, die so weit gehen. In | |
| Lützerath habe ich sie wiedergetroffen und sofort angefangen zu drehen. | |
| Dort habe ich dann einen Konflikt in der Bewegung gespürt. | |
| taz: Was ist das für ein Konflikt? | |
| Bühler: Es gibt verschiedene Pole. Die Leute bei der Letzten Generation, | |
| wie meine Protagonistin Lina, glauben fest an die repräsentative | |
| Demokratie. Für sie sind die Politiker die Verantwortlichen, die sie | |
| adressieren. Andere, wie Guerrero, haben den Glauben an die | |
| Handlungsfähigkeit der Politik verloren und setzen auf andere | |
| Protestformen. Dazwischen gibt es Facetten. Meine fünf Protagonistinnen | |
| verkörpern unterschiedliche Strategien, Klimaaktivismus zu betreiben. | |
| Darauf habe ich die Dramaturgie aufgebaut. Der Bagger, der sich an | |
| Lützerath herangräbt, bildet dabei den zeitlichen Bogen. | |
| taz: Ihr Film endet mit der Räumung von Lützerath. Sie verweigern sich also | |
| einer Erzählstruktur, die einen positiven Ausblick gibt. Warum? | |
| Bühler: Ich wollte keine künstliche Hoffnung verbreiten, nur damit der | |
| Zuschauer nicht verschreckt ist. Das sind zwar die Dramaturgien, die wir | |
| gewohnt sind, aber angesichts der Klimakrise müssen wir radikal neu denken. | |
| Das bedeutet auch ein neues Sehverhalten und neue Konzepte. | |
| taz: Wie könnte so ein neues Sehen aussehen? | |
| Bühler: Das neoliberale Weltbild, das unser Leben prägt, kennt keine | |
| Endlichkeit. Alles ist unendlich, alles geht weiter. In dieser Logik müssen | |
| auch Filme immer einen Hoffnungsschimmer geben. Aber Lützerath ist | |
| abgerissen, Lützerath gibt es nicht mehr. Das ist das ehrliche Ende meines | |
| Films. Die Klimakrise und das Artensterben zeigen uns, dass Dinge enden | |
| können. | |
| taz: Sie filmen auch Proteste, in denen es zu Gewalt kommt. Da gibt es den | |
| Autofahrer, der nach den angeklebten Aktivist*innen tritt. Ihre | |
| Protagonistin Lina zittert vor Angst. Wie haben Sie das erlebt? | |
| Bühler: Diese Szene hat mich noch lange beschäftigt, weil ich das | |
| Ausgeliefertsein der Aktivist*innen gespürt habe. Und ich glaube, ich | |
| habe verstanden, woher die Wut auf die Letzte Generation kommt. | |
| taz: Woher kommt diese Wut? | |
| Bühler: Die Letzte Generation legt Wunden in unserer Gesellschaft offen. | |
| Der Mann schreit, dass er seine Tochter von der Kita abholen muss. Im | |
| Tiefen und Ganzen geht es aber darum, dass er ein eng getaktetes Leben hat, | |
| weil er ganz viele tausend Sachen erledigen muss. Und jetzt kleben da Leute | |
| und führen ihm vor, dass sein Zeitplan bei der geringsten Störung | |
| zusammenfällt. Dass die Letzte Generation nicht die Ursache seines Stress | |
| ist, sieht er nicht. Aber an ihnen reagiert er sich ab. | |
| taz: Ihr Film ist wie ein Guckloch in das Leben im Klimacamp: schlafende in | |
| Baumhäusern, Menschen, die diskutieren, zweifeln, lachen und Fußball | |
| spielen. Wollen Sie die Distanz zwischen Aktivist*innen und dem Rest | |
| der Bevölkerung überbrücken? | |
| Bühler: Ich möchte mit meinem Film berühren. Erst wenn wir uns emotional | |
| mit der Klimakrise verbinden, können wir Lösungen finden. Lützerath war ein | |
| Treffpunkt für Menschen aus der Klimabewegung, ein Experimentierfeld für | |
| ein anderes Gesellschaftsmodell. In unserer Welt wird ständig vermittelt, | |
| dass wir in Konkurrenz zueinander stehen. In Lützerath haben die Menschen | |
| erfahren, dass wir aufeinander angewiesen sind und füreinander da sein | |
| wollen und nicht gegeneinander arbeiten. Erst wenn man das verstanden hat, | |
| kann man eine neue Welt denken. | |
| 19 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Margarete Moulin | |
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