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# taz.de -- Umsetzung der EU-Entwaldungsrichtlinie: Kaffee unter Bäumen
> Wer bestimmte Agrarprodukte anbaut, muss bald nachweisen, dass dafür kein
> Wald weichen muss. Für Kooperativen ist das eine Herausforderung.
Bild: Geht doch: Unten passt die Coffea-Pflanze hin, rechts ein Zipfel Pinus Pi…
San Andrés taz | Carlos Guevara beobachtet, wie seine Kollegen in der
prallen Sonne mit langen Holzrechen die hellbeigen Kaffeebohnen auf der
betonierten Fläche vor der Lagerhalle wenden. Sie gehören zur
Kaffeekooperative Asoprosan in San Andrés, einer Kleinstadt, die nahe der
Grenze zu El Salvador liegt.
Die Gegend ist eine von [1][acht Kaffeeanbauregionen in Honduras] und
bekannt für Qualität. Der Kaffee wird hier nach agroforstwirtschaftlichen
Kriterien angebaut, im Schatten von Pinienbäumen. „Wir wollen uns als
Referenzregion für Qualitätskaffee etablieren“, umreißt der 38-jährige
Geschäftsführer der Kooperative das Ziel. Ähnlich hat es das weiter südlich
liegende Marcala gemacht.
Asoprosan ist die Abkürzung für Asociación de Productores de Café San
Andrés, also Vereinigung der Kaffeeproduzenten von San Andrés. Zum
Erfolgsgeheimnis gehört das natürliche, langsame Trocknen der aromatischen
Bohnen. Zwischen acht und vierundzwanzig Tage werden sie der Sonne
ausgesetzt, je nachdem, wie intensiv die scheint. „Je langsamer, desto
besser, denn die Bohnen halten ihre Qualität und ihr Aroma länger“, erklärt
Carlos Guevara. [2][Asoprosan hat es in nicht einmal sieben Jahren
geschafft, die Zahl der Mitglieder von 16 auf derzeit 159 Betriebe
auszubauen], 137 sind bio- und fair-trade-zertifiziert.
Solche Zertifikate tragen dazu bei, dass Carlos Guevara die Genossenschaft
gut aufgestellt sieht. „Die neuen EU-Regulierungen zum Schutz der Wälder
machen uns keine Sorgen, weil wir nach agroforstwirtschaftlichen Kriterien
arbeiten.“ Die Pflanzen wüchsen direkt unter Bäumen. Das sei auch
dokumentiert, sogar per Satellit, wie es die [3][EU-Richtlinien zu
entwaldungsfreien Lieferketten] vorschreiben, die am 30. Dezember 2024 in
Kraft treten.
## Es geht um Soja, Palmöl, Kakao
Diese im Juni 2023 beschlossene EU-Deforestation Regulation, wie sie
offiziell heißt, soll unterbinden, dass Produkte auf den EU-Markt gelangen,
die auf Flächen angebaut werden, die in den letzten vier Jahren abgeholzt
oder geschädigt wurden. Oder von denen die lokale Bevölkerung vertrieben
wurde. Vor allem geht es um Soja, Palmöl, Holz, Naturkautschuk,
Rindfleisch, [4][Kakao] – und eben Kaffee. All diese Produkte und ihre
Derivate müssen ab dem Stichdatum nachweislich „entwaldungsfrei“ produziert
worden sein. Damit will Europa die Emission von Treibhausgasen in den
Lieferketten senken und dem Verlust biologischer Vielfalt entgegen wirken.
Kaffeeproduzierende Länder wie Honduras, Äthiopien oder Indien müssen nun
schauen, wie sie mit diesen neuen Vorgaben umgehen. Schließlich wollen sie
ihre Bohnen auch weiterhin in die Europäische Union exportieren. Das Ganze
ist komplex und läuft auf ein etwas umständliches Kontrollsystem hinaus,
das auf Georeferenzierung beruht. Dieser Begriff ist im Kaffeehandel zum
geflügelten Wort mutiert, er ordnet das Produkt einem Produktionsort zu,
macht den Ort per Satellit sichtbar, sodass der Baumbestand kontrolliert
werden kann. Dafür müssen die Kaffeefarmen oder die Genossenschaften, zu
denen sie gehören, Daten liefern, müssen kartografiert und sichtbar per
Satellit sein – zum Beispiel über GPS.
## Hürde für die Kleinen
All das ist für große Farmen gut leistbar, für Genossenschaften eine
Herausforderung und für Kleinbauern eine echte Hürde. Vor allem
Kleinbauerngenossenschaften, aber auch große Kaffeeimporteure wie Tchibo
haben deshalb um Aufschub gebeten haben. Der ist politisch jedoch nicht
gewollt. Und auch dafür gibt es gute Argumente: Nach Zahlen der
[5][UN-Welternährungsorganisation FAO sind zwischen 1990 und 2020 weltweit
etwa 420 Millionen Hektar Wald verschwunden], eine Fläche größer als die
EU. Das muss sich ändern. Expert*innen gehen davon aus, dass das
Beispiel der EU Schule macht und andere Player wie die USA nachziehen.
Für die Produzent*innen vor Ort hängt aber vieles davon ab, wie gut die
Infrastruktur ist, wozu auch die Internetanbindung zählt. Die ist weltweit
sehr unterschiedlich, deshalb stöhnen Genossenschaften nicht nur in
Kolumbien und Guatemala über eine „Verordnung von EU-Schreibtischtätern“,
so Hernán Castellanos. Der Agraringenieur arbeitet für die indigene
Genossenschaft Cencoic im kolumbianischen Verwaltungsbezirk Cauca, der rund
3.000 Bäuerinnen angehören. Er kritisiert, dass die EU über die Köpfe der
Produzent:innen entschieden habe – „Abstimmung Fehlanzeige“.
Eine berechtigte Kritik, finden auch [6][Direktimporteure wie Quijote
Kaffee aus Hamburg Rothenburgsort oder die Kollegen aus der
Speicherstadt-Rösterei]. Dort herrscht Unsicherheit. „Auch fünf Monate vor
dem Stichdatum, hat die EU wichtige Details wie die Größe und die Formate
der angeforderten Daten sowie die Schnittstelle nicht bekannt gegeben. Das
sorgt für Verunsicherung an beiden Enden der Lieferkette“, so Andreas
Felsen von Quijote Kaffee.
Das sieht auch Kleber Cruz-Gracía von der Gepa so. Und ihn beschäftigt auch
die Frage, was mit dem Informationswust passiert. „Welche Plattformen
werden den Handel mit den Daten gewinnen?“, fragt er. Allerdings weist er
darauf hin, dass die Verordnung durchaus auch positive Effekte generieren
kann. „Wir registrieren mehr Anfragen von Kleinbauern bei Genossenschaften
wie Asoprosan“, meint er. Zudem sorge die Rückverfolgbarkeit des Kaffees
dafür, „dass jeder Röster alsbald genau wissen wird, wo der Kaffee vom
Großhändler herkommt“. Das sei bei 90 Prozent der Röstereien bisher nicht
der Fall.
## Jeder auf seiner Seite der Lieferkette
Positiv sei auch, dass Kaffeeimporteure ihre Partner oder Lieferanten
aufgrund der EU-Verordnung besser kennenlernen, weil sie die Vorgaben der
EU gemeinsam erfüllen müssen – jeder auf seiner Seite der Lieferkette.
Das gilt auch [7][für die Gepa, die seit Juni 2023 berät, koordiniert und
empfiehlt], genau wie Quijote Kaffee. Bei beiden Importeuren ist man sich
einig, dass die EU-Initiative über kurz oder lang Nachahmer finden wird.
„Trotz der chaotischen Einführung der Verordnung werden die USA, aber auch
mehrere asiatische Länder sich genau angucken, wie sie funktioniert, und
sie als Vorlage nehmen“, prophezeien Andreas Felsen und Kleber Cruz-García,
der Kaffeeeinkaufsexperte der Gepa.
Doch erst einmal gilt es, die Implementierung der EU-Entwaldungsverordnung
unfallfrei auf den Weg zu bringen. Dafür ist noch viel Arbeit nötig. Das
gilt für beide Enden der Lieferkette.
26 Jul 2024
## LINKS
[1] /Die-Suche-nach-gerechtem-Kaffee/!6016817
[2] https://sucafina.com/na/offerings/asoprosan-fw-fto
[3] /Entwaldungsfreie-Lieferketten/!5864190
[4] /Lage-der-Bauern-in-Westafrika/!5917990
[5] https://openknowledge.fao.org/items/4c8bd12f-d6b8-4755-a82f-1284c41bf012
[6] /Die-Suche-nach-gerechtem-Kaffee/!6016817
[7] /Herausforderungen-fuer-Produzenten/!6021158
## AUTOREN
Knut Henkel
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