| # taz.de -- Buch über digitalen Kapitalismus: In Zeiten des Überflusses | |
| > Neue Märkte, neue Unternehmen, neue Menschen? Philipp Staab geht den | |
| > Veränderungen durch die digitale Ökonomie auf den Grund. | |
| Bild: Neue Märkte – neues Einkaufen | |
| Der Markt als Ort des Tausches von Waren und Zahlungsmitteln ist soziales | |
| und ökonomisches Zentrum komplexer Gesellschaften. Seine Organisation hat | |
| entscheidenden Einfluss auf die Lebensverhältnisse, auf Angebot und | |
| Nachfrage, auf Verhandlungen und Ausgleich. Die Kontrolle über den | |
| Marktplatz ist Kontrolle über soziale Verhältnisse, über Frieden oder | |
| Aufruhr. Es ist kein Zufall, dass diese Kontrolle mal mehr, mal weniger | |
| streng von staatlicher Seite vorgenommen wird, ganz gleich, wie neoliberal | |
| sich diese geben mag. Sich selbst geregelt hat sich der Markt noch nie, | |
| jedenfalls nicht im Sinne eines zivilen Zusammenlebens. | |
| Die Herausforderung des digitalen Zeitalters liegt nun offensichtlich in | |
| der Kontrolle neuer Märkte, auf denen neue Produkte in neuen Währungen | |
| gehandelt werden. Das größte Problem hierbei ist, Begrifflichkeiten zu | |
| finden, die den Markt und seine Mechanismen präzise beschreiben. Die | |
| verschiedenen Versuche, dem Kind einen Namen zu geben, führen inzwischen zu | |
| einer Inflation der „Bindestrich-Kapitalismen“. | |
| Besonders erfolgreich dabei ist der von [1][Shoshana Zuboff] popularisierte | |
| Überwachungs-Kapitalismus. Während Zuboff sich jedoch bisweilen in einer | |
| etwas ermüdenden Aneinanderreihung phänomenologischer Banalitäten zu | |
| verlieren scheint, richtet der Soziologe Philipp Staab mit seinem Buch | |
| „Digitaler Kapitalismus – Markt und Herrschaft in der Ökonomie der | |
| Unknappheit“ die Scheinwerfer auf den Schnürboden des digitalen Theaters. | |
| Staab geht systematisch der Frage nach, ob die Leitunternehmen des | |
| digitalen Kapitalismus lediglich Wiedergänger der bekannten klassischen | |
| kapitalistischen Monopolisten sind oder tatsächlich Teil einer grundlegend | |
| veränderten Wirtschaftsordnung. | |
| Und tatsächlich benennt „Digitaler Kapitalismus“ einen konstitutiven | |
| Unterschied zu bisher bekannten Mechanismen: „Klassische Monopolunternehmen | |
| agieren auf Märkten; die Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus | |
| hingegen sind Märkte.“ Diese durchaus plausible Einschätzung erklärt | |
| wenigstens zum Teil das fortgesetzte Unvermögen staatlicher Akteure, | |
| wirksam regulierend in den digitalen Markt einzugreifen. In gewisser Weise | |
| regelt der sich nämlich tatsächlich selber – und zwar sowohl gegenüber der | |
| Angebots- als auch der Nachfrageseite. | |
| Die komplexe Verflechtung der verschiedenen Funktionen, die Konzerne wie | |
| [2][Google] oder [3][Facebook] gleichzeitig erfüllen, frustrierte gerade | |
| erst norwegische Verbraucherschützer bei der Durchführung einer Studie zur | |
| Datenweitergabe zwischen verschiedenen Apps auf Androidhandys. So wurde | |
| angemerkt, dass es kaum möglich sei zu unterscheiden, wo der | |
| Serviceanbieter Google ende und wo die Werbeplattform Google beginne. | |
| Diese Trennlinien aber zu definieren ist dringend erforderlich, um | |
| überhaupt in die Lage zu kommen, an den Bedürfnissen der Nutzer*innen | |
| orientierte Eingriffe denken zu können. Dazu ist es nötig, die Mechanismen | |
| der Profitmaximierung zu verstehen, ein klares Bild vom Markt zu haben, das | |
| über anekdotische Beobachtungen seiner beunruhigendsten Auswüchse | |
| hinausgeht. Philipp Staabs Buch bietet dabei wichtige Anregungen. | |
| Es schärft den Blick auf die Entstehung der „proprietären Märkte“ und wa… | |
| einen Ausblick auf ihre mögliche Fortentwicklung. Staab postuliert mit | |
| Blick auf die heftigen Verwerfungen auf der Anbieterseite durch die | |
| digitale Disruption übrigens eine derzeit eher kundenfreundliche Phase der | |
| Expansion. Noch bezahlen wir für die Teilnahme am bunten Plattformangebot | |
| „nur“ mit unseren Daten. | |
| Was die voranschreitende Transformation aber für die menschliche | |
| Arbeitskraft, die wichtigste Handelsware des abhängig beschäftigten | |
| Individuums, bedeutet, betrachtet Staab in einem überaus instruktiven | |
| Kapitel. Darin wird die Lernkurve betrieblicher Herrschaft erklärt. Die | |
| Methoden zur Preiskontrolle, wie sie von den großen Plattformen im | |
| digitalen Raum perfektioniert werden, sind Vorbilder für die möglichst | |
| genaue Vermessung der Arbeitskraft und ihrer Anbieter, den arbeitenden | |
| Menschen. Präzise erfasste Daten ermöglichen Algorithmen in Echtzeit die | |
| Steuerung von Arbeitsabläufen. In permanenten Feedbackschleifen füttern die | |
| Angestellten ihre digitale Aufsicht mit den nötigen Informationen, um immer | |
| besser und enger getaktet, ausgebeutet werden zu können. | |
| Leider sehr kurz gefasst und schlagwortartig bleibt der Ausblick auf | |
| mögliche Strategien eines Umgangs mit der Konsolidierung der beschriebenen | |
| proprietären Märkte. Die Aussichten sozialen Protests gegen die Mechanismen | |
| des digitalen Kapitalismus tut Staab recht beiläufig ab. Gerade wenn man | |
| seine Einschätzung teilt, dass die bisherigen Formen politischer Bewegung | |
| keine nachhaltige Wirkung entfalten werden, erscheint die Frage nach | |
| gangbaren Wegen zur Gewinnung zivilgesellschaftlicher oder staatlicher | |
| Hoheit über den Markt im Digitalen umso drängender. | |
| 15 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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