# taz.de -- Virtuelle Influencer:innen: Simulacrum und Simulation | |
> Künstliche Intelligenz tut so, als wäre sie ein echter Mensch, echte | |
> Menschen tun so, als wären sie computergeneriert. Wie soll man da noch | |
> nachkommen? | |
Bild: Willkommen in der Wüste des Realen: die computeranimierte Influencerin L… | |
Ein leerer Blick. Starr gerade ausgerichtet. Abgehackte Bewegungen. | |
Manchmal laufen sie gegen Wände oder lassen Gegenstände fallen. Dieser | |
kuriose Trend, bei dem sich echte Menschen wie Roboter verhalten, | |
explodiert gerade [1][auf Tiktok]. Die Streamer [2][reagieren auf Sticker], | |
die ihnen von Zuschauenden live zugesandt werden. Mit jedem Aufkleber | |
verdienen sie Geld und geben dabei seltsame Laute von sich. Die Videos | |
wirken wie ein Glitch, eine Störung in einem Computerspiel, sind aber so | |
gewollt. Echte Menschen tun so, als wären sie computergeniert. | |
Gerade eben gab es das nur andersrum. Sommersprossen, Zahnlücke, markantes | |
Pony. Lil Miquela ist schlank und schön – die perfekte Influencerin eben. | |
Wie ihre Kolleg:innen teilt sie Fotos von Fashion-Shows und aus dem | |
Urlaub. Ich klicke auf [3][ihr Profil]. Es gibt sie noch. Gerade hält sie | |
sich in Barcelona auf. Posiert vor bunten Häuserfassaden und futtert sich | |
durch die Stände eines Street-Food-Markts. Zack, ein neues Foto: „An jeder | |
Ecke gibt’s hier Süßes.“ In den Kommentaren unter dem Bild heißt es: „… | |
dein Leben, babe“ und „OMG, du bist in Barcelona?“ | |
Andere Kommentare spotten: „Ihr wisst schon, dass sie nicht wirklich dort | |
ist“ oder „Danke, KI“. | |
[4][Lil Miquela] ist tatsächlich nicht real. Sie ist eine virtuelle | |
Influencerin, die vom einem Designstudio in LA mit dem Namen Brud | |
erschaffen wurde. Zwei Jahre lang ließ Brud Social-Media-Nutzer:innen im | |
Dunkeln tappen, bis sie das Geheimnis um ihre Kunstfigur lüfteten. Mit den | |
Worten „19-year-old Robot living in LA“ wird nun in der Bio darauf | |
hingewiesen, dass Lil Miquela eine CGI-Influencerin ist. | |
## Künstliche Intelligenz führt uns ins unheimliche Tal | |
Seit dem Launch vor sieben Jahren hat Lil Miquela 2,7 Millionen Follower | |
gesammelt. Sie ist Gesicht von großen Modelabels wie Prada und UGG und | |
sorgte bereits für Furore. Beispielsweise als sie in einer Werbekampagne | |
von Calvin Klein das (größtenteils) echte Supermodel Bella Hadid küsste. | |
Alles in bester Influencer-Manier natürlich. Vielleicht spielt es keine | |
Rolle, ob eine Influencerin real existiert oder ein Computerprogramm ist. | |
[5][Echte Influencer:innen inszenieren sich genauso]. Vielleicht ist | |
es sogar leichter, den absurden Grad an Perfektionismus mit dem | |
Influencer:innen auf Instagram ihren [6][angeblichen Alltag] | |
kuratieren, zu akzeptieren, wenn man weiß, dass kein realer Mensch | |
dahintersteckt? | |
Bereits vor einigen Jahren priesen einschlägige Agenturen die virtuellen | |
Influencer:innen: Sie werden nie krank, kriegen keine Kinder, stellen keine | |
Forderungen und sind Tag und Nacht einsatzbereit. Eine echte Goldgrube für | |
Unternehmen. [7][Und der Untergang für das menschliche Influencer-Dasein.] | |
Jedoch kam kein Untergang. Sondern Menschen, die so tun, als seien sie KI. | |
Was absurd klingt, macht doch Sinn. Die Illusion wird nämlich erst perfekt, | |
wenn die virtuelle Welt mit der realen Welt verschmilzt. Wenn Lil Miquela | |
also auf Fashion-Shows oder sonst wo zu sehen ist, dann steckt sie im | |
Körper einer realen Person, die später digital mit den Merkmalen des | |
Avatars versehen wird. Sie ist also weder ein richtiger „robot“, wie in | |
ihrer Bio steht, noch ist sie KI-generiert. Noch kann man virtuelle | |
Menschen nicht als Hologramme im Raum projizieren. Auf technischer Seite | |
sind wir scheinbar lange nicht so weit, wie wir gerne wären. | |
Dass Tiktok-Streamer auf den Zug aufspringen und sich als Roboter ausgeben, | |
ist zwar gewöhnungsbedürftig, bei dem aktuellen KI-Hype aber nicht | |
verwunderlich. Die menschliche Faszination gegenüber Virtual Reality fasste | |
der japanische Robotiker Masahiro Mori bereits 1970 unter dem Begriff | |
„Uncanny Valley“ zusammen. Er bezieht sich auf das Gefühl des Unbehagens, | |
das wir empfinden, wenn etwas dem menschlichen Aussehen nahe genug kommt, | |
wir uns aber gleichzeitig nicht komplett täuschen lassen. Zum Beispiel wenn | |
sie zu perfekt sind. | |
Der Ursprung der KI-Faszination liegt also im Grusel. Diesen Gruselfaktor | |
teilen sich die CGI-Influencer wohl noch so lange mit den Tiktok-Streamern, | |
bis die perfekte Simulation menschlicher Imperfektion möglich ist. | |
11 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tiktok.com/discover/Pinkydoll?lang=de-DE | |
[2] https://www.youtube.com/shorts/VWNrPIPbc6w | |
[3] https://www.instagram.com/lilmiquela/ | |
[4] /Brennen-ohne-zu-verbrennen/!5812980/ | |
[5] /Doku-Girl-Gang-ueber-junge-Influencerinnen/!5885618 | |
[6] /Streit-um-werbliche-Posts-bei-Instagram/!5540485 | |
[7] /Kuenstliche-Intelligenz-und-Arbeitsmarkt/!5950985 | |
## AUTOREN | |
Eva Keller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
Influencer | |
TikTok | |
Postmoderne | |
GNS | |
Social Media | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Feministischer Kampftag | |
Feminismus | |
Soziale Medien | |
wochentaz | |
Digitale Wirtschaft | |
Institut zur Zukunft der Arbeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Virtual-Reality-Brillen: Meeting im Raumschiff | |
VR-Brillen sollen das nächste große Ding werden. Wie sie unsere Arbeit | |
bereichern können und sich auf unsere sozialen Beziehungen auswirken. | |
Werben mit virtuellen Influencern: Sind die bitte echt? | |
Erste digitale Models und Influencer*innen sind bereits erfolgreich. | |
Aber wie nahbar können KI-generierte und virtuelle Schönheiten sein? | |
Kim Kardashian: Im 32. Semester Kimologie | |
Warum ist die Über-Influencerin Kim Kardashian so berühmt? Die Arte-Doku | |
„Kim Kardashian Theory“ fragt nach. Sie fragt auch: Ist das Feminismus? | |
US-Bundesrichter urteilt in Montana: TikTok-Verbot blockiert | |
Das Verbot der Online-Plattform TikTok in Montana könnte gegen die | |
Verfassung verstoßen. Darum hat ein US-Bundesrichter es vorerst gestoppt. | |
Künstleragentin über Attraktivität: „Schönheit formt sich im Blick“ | |
Als Chefin einer Künstleragentur kennt sich Heike-Melba Fendel bestens aus | |
mit Looks. Ein Gespräch über Schönheit, Makellosigkeit – und Selbstzweifel. | |
Buch über digitalen Kapitalismus: In Zeiten des Überflusses | |
Neue Märkte, neue Unternehmen, neue Menschen? Philipp Staab geht den | |
Veränderungen durch die digitale Ökonomie auf den Grund. | |
Prekäre Tätigkeit der Clickworker: Gesichtslos, emotionslos, nie krank | |
Clickworker arbeiten meist einsam, anonym und prekär. Vom Versuch, sich in | |
diese angebliche Zukunft der Arbeit einzufügen. |