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# taz.de -- Brief an Justizminister Buschmann: Verbände fordern Kündigungssch…
> Wer Mietrückstände nicht zahlen kann, dem droht trotz Krise die
> Wohnungslosigkeit. Mietervereine sprechen sich für effektiven Schutz aus.
Bild: Gas und Strompreise steigen, doch Regelungen zum Kündigungsschutz bleibe…
Berlin taz | Die Gas- und Strompreise steigen drastisch: Vielen der 48
Millionen Mieter*innen stehen deshalb saftige Nachzahlungen bevor –
womöglich im vierstelligen Bereich. Wer diese auch nur teilweise oder
vorübergehend nicht zahlen kann, der droht nach jetziger Rechtslage, aus
der Wohnung geworfen zu werden und im schlimmsten Fall auf der Straße zu
landen.
Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung von Anfang September sieht
zwar die Aussetzung von Strom- und Gassperren vor, Regelungen zum
Kündigungsschutz von Mietwohnungen sind allerdings vage. Fristgerecht
gekündigt werden kann faktisch derzeit weiterhin jeder, der im
Zahlungsverzug ist – Energiekrise hin, Rettungspakete her.
Wegen dieses ungelösten Problems hat sich ein breites Bündnis aus
Sozialverbänden, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, zahlreichen
Mietervereinen, Juristinnenverbänden sowie Trägern der Wohnungslosenhilfe
nun mit einem offenen Brief an den Justizminister Marco Buschmann (FDP)
gewandt: Darin fordert das Bündnis angesichts der Krise einen „effektiven
Kündigungsschutz“, um Wohnungen zu sichern. Die „sogenannte
Zahlungsverzugskündigung“ nennen sie im Brief „eines der brisantesten
wohnungspolitischen Problemfelder“. Der Brief liegt der taz vor.
Im Schreiben an Buschmann, das auch der Arbeitskreis der
sozialdemokratischen Jurist*innen der SPD mitträgt, kritisiert das
Bündnis, dass selbst durch eine Nachzahlung des Mietrückstands bisher nur
fristlose Kündigungen abgewendet werden können – während Kündigungen mit
ordentlicher Kündigungsfrist Bestand hätten. „Der Wohnungsverlust droht
dann ein paar Monate später, obwohl der Mietrückstand beglichen wurde“,
heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung.
Benjamin Raabe vom Republikanischen Anwält*innenverein sagte der taz:
„Es besteht hier dringender Handlungsbedarf.“ Seit einem [1][Urteil des
Bundesgerichtshof von 2005] laufe auch das zuvor gut funktionierende
Schutzsystem ins Leere, weil Wohlfahrtsbehörden im Bedarfsfall keine
Mietrückstände mehr zahlten. Deswegen müsse man eine
Zahlungsverzugskündigung wieder durch Bezahlung der Mietrückstände
ausgleichen können, fordert Raabe, selbst Fachanwalt für Mietrecht: „Alle,
die damit beruflich zu tun haben, fordern eine Reform – übrigens auch der
Bundesgerichtshof.“
Aus Sicht des Bündnisses stellt die jetzige Rechtslage für Betroffene ein
Dilemma dar: Sozialrechtliche Schutzvorschriften zur Verhinderung von
Obdachlosigkeit seien ausgehebelt – „denn Mieter*innen können von den
Sozialleistungsbehörden die Übernahme ihrer Mietschulden nur verlangen,
wenn dadurch Wohnungslosigkeit vermieden wird.“ Da die Nachzahlung eine
fristgerechten Zahlungsverzugskündigung aber nicht abwenden könne,
verweigerten die Sozialleistungsbehörden regelmäßig die Übernahme, heißt es
im Schreiben an Buschmann.
Der offene Brief verweist zudem darauf, dass dieser langjährige Misstand in
der Krise ein besonderes Problem in Städten mit Wohnungsmangel werden
könnte: „Besonders in angespannten Wohnungsmärkten wird häufig wegen
höherer Wiedervermietungsmieten von Vermieter*innen jede Möglichkeit
genutzt, den Mietvertrag zu kündigen. Hierdurch geraten Personen, die in
Zahlungsschwierigkeiten sind, unter den enormen Druck drohender
Wohnungslosigkeit.“
Rainer Tietzsch vom Berliner Mieterverein sagte: „Aufgrund der
Energiepreissteigerung und der davon galoppierenden Inflation wird der
Handlungsbedarf deutlicher denn je.“ Das Problem sei seit langem bekannt,
Mieter*innen und Sozialverbände hätten immer wieder vergeblich darauf
hingewiesen. Ebenso seien Bundesratsinitiativen ins Leere gelaufen.
Angesichts der Krise sei Zeit zu handeln, sagte auch Werena Rosenke von der
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe: „Jeder Wohnungsverlust muss
verhindert werden.“ Daher müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, „dass bei
einer Mietschuldenbefriedigung nicht nur die außerordentliche Kündigung,
sondern auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des
Mietverhältnisses geheilt ist.“ Rosenke erwarte damit nicht zuletzt die
Umsetzung einer ohnehin im Ampel-Koalitionsvertrag versprochenen Änderung
im Mietrecht.
## Buschmann will Vermieter schützen
Im [2][Koalitionsvertrag] aus dem vergangenen Herbst versprach die Ampel
tatsächlich, Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen. Man wolle
das Mietrecht evaluieren und entgegensteuern, „wo Schonfristzahlungen dem
Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen“. Zudem will die Ampel
mit einem nationalen Aktionsplan die Obdachlosigkeit bis 2030 ganz
abschaffen. Derzeit ist hingegen eher zu befürchten, dass sie im Zuge der
Energiekrise zunimmt.
Denn auch im [3][letzten Entlastungspaket] findet sich nichts Konkretes zu
Kündigungsschutz. Es war neben der Aussetzung von Strom- und Gassperren nur
vage angekündigt, Mieter*innen „durch die Regelungen des sozialen
Mietrechts angemessen“ zu schützen, wenn sie von Steigerungen der
Betriebskostenvorauszahlungen kurzfristig finanziell überfordert seien.
Was das konkret heißt, ist indes unklar: Diskussionen um
Kündigungsmoratorium im Vorfeld des dritten Entlastungspakets hatte bisher
keine Folgen.
Und auch Bundesjustizminister Buschmann blieb auf Anfrage der taz zunächst
unkonkret und ließ auf finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der Ampel
verweisen. Fragen zum auch im Koalitionsvertrag vereinbarten effektiveren
Kündigungsschutz wiegelte Buschmann trotz Krise und drohender Armut
ausdrücklich ab – mit Klintelpolitik für Vermieter*innen und
Wohlhabende.
Sein Sprecher übermittelte auf Anfrage an Buschmanns Ministerium dazu ein
Zitat aus einem [4][Interview mit der Funke-Mediengruppe von Ende Juli]:
„Ein großer Teil der Wohnungen in Deutschland wird von Privatleuten
gestellt, für die das die Altersversorgung ist – und die selber die
Finanzierung bedienen müssen, weil die Wohnung noch nicht abbezahlt ist.
Auch diese Wohnungsbesitzer darf man nicht schutzlos stellen. Das würde
sonst zu ungerechten Ergebnissen führen.“ Staatliche Eingriffe in laufende
Vertragsverhältnisse hätten zur Folge, dass Probleme von einer auf die
andere Vertragspartei verschoben werden, so Buschmann. Ansonsten arbeite
man an der Umsetzung der im Koalitionsvertrag verabredeten mietrechtlichen
Vorhaben, heißt es.
Auf erneute Rückfrage, dass die Schonfristzahlungen aber doch explizit im
Koalitionsvertrag erwähnt sind, heißt es dann wiederum, man prüfe derzeit
die Umsetzung des Vorhabens. Kurzum: Mieter*innen droht die Kündigung,
der FDP-Justizminister denkt zuerst an die armen Hausbesitzer. Was für die
Mieter*innen am Ende rausspringt, bleibt unklar.
Immerhin gibt es in der Ampel Gegenwind: Sonja Eichwede, rechtspolitische
Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, verwies auf taz-Anfrage auf den
Passus im Entlastungspaket, Mieter*innen mit sozialem Mietrecht
ausreichend zu schützen: „Ich setze mich innerhalb der Koalition mit
Nachdruck dafür ein, diese Vereinbarung umgehend ins Wirken zu setzen“,
sagt Eichwede.
Auch bei den Kaltmieten besteht laut der SPD-Politikerin dringender
Handlungsbedarf: „Dazu müssen wir die im Koalitionsvertrag festgelegten
Mieterschutzvorhaben unverzüglich umsetzen.“ Besonders wichtig sei dabei,
„dass Mieterinnen und Mieter mit einer Nachzahlung der ausgebliebenen Miete
eine ordentliche Kündigung abwenden können“, so Eichwede.
Angesichts der Krise nannte sie zudem die weiteren im Koalitionsvertrag
vereinbarten Mieter*innenschutzvorhaben als besonders dringend:
Absenkung der Kappungsgrenze, die Verlängerung der Mietpreisbremse, die
Einbeziehung der Mietverträge der letzten sieben Jahre in die Berechnung
qualifizierter Mietspiegel sowie die Verpflichtung zur Erstellung
qualifizierter Mietspiegel für Gemeinden über 100.000 Einwohner*innen.
Keine Rede ist weiterhin von einem Mietendeckel auf Bundesebene, wie ihn
auch mietenpolitische Bündnisse immer wieder gefordert hatten. Dieser
Forderung mit großen Entlastungspotential will wiederum das
Mietenstopp-Bündnis mit 160 Initiativen, Verbänden und Organisationen in 50
Städten bei einem [5][bundesweiten Protesttag am 8. Oktober] auf die Straße
bringen.
28 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/infobrief-116-2018/die-verz…
[2] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_…
[3] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/20220903_Massnahmenpaket.p…
[4] https://www.waz.de/politik/marco-buschmann-corona-selbstbestimmung-gaspreis…
[5] https://mietenstopp.de/jetzt-mitmachen-in-der-kampagne-mietenstopp/aktionst…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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