# taz.de -- Börsendruck auf dem Wohnungsmarkt: Berlinverbot für Spekulanten | |
> Weil der Senat nicht enteignen will, fordern Mieterverein und Grüne, den | |
> Marktzugang für börsennotierte Wohnungskonzerne zu beschränken. Der Senat | |
> hat da Zweifel. | |
Bild: Wohnungen in Berlin oder wie Börsenunternehmen sagen: Anlageobjekte | |
BERLIN taz | Der Berliner Senat um Kai Wegner (CDU) hat bereits | |
durchblicken lassen, dass er das erfolgreiche Volksbegehren Deutsche Wohnen | |
und Co. enteignen ignorieren will. Zwar ist ein beschwichtigendes | |
Rahmengesetz zur Vergesellschaftung geplant, Finanzsenator Stefan Evers | |
(CDU) sagte aber kürzlich, dass das nur ein Formelkompromiss mit der SPD | |
sei – eine wie von der Initiative geplante Enteignung privater | |
renditeorientierter Wohnungsfirmen sei mit ihm nicht machbar. Die | |
Volksinitiative will entsprechend nun einen neuen Anlauf nehmen, um | |
[1][direkt über ein Gesetz abzustimmen] – und so letztlich die von über 57 | |
Prozent der Berliner*innen befürworteten Enteignungen zu erzwingen. | |
Umso dringender müsste der Senat aber beantworten, was er denn seinerseits | |
eigentlich tun will gegen weiter eklatant steigende Mieten – wenn | |
Schwarzrot nicht enteignen will und nachdem die CDU höchstselbst auch schon | |
den Mietendeckel weggeklagt hat und man sich im Bund Mietenstopps von der | |
FDP verbieten lässt. Das [2][Wohnungsbündnis des Senats] inklusive | |
Selbstverpflichtungen der privaten Immobilienwirtschaft ist gescheitert, | |
ebenso ist vielfach längst erwiesen, dass der [3][ohnehin stockende Neubau | |
allein auch keine Lösung] gegen steigende Mietpreise und Börsendruck auf | |
dem Wohnungsmarkt ist. | |
Und die Lage ist heikler denn je, weil sich zu den ohnehin stark | |
gestiegenen Lebenskosten nun auch noch der [4][Börsendruck auf den | |
Wohnungsmarkt] erhöht. Denn im Zuge der Baukrise ächzen private Konzerne | |
unter gestiegenen Zinsen, verwerfen Neubauvorhaben und erhöhen den | |
Preisdruck auf Mieter*innen. | |
Angesichts der verschärften Lage bringt Ulrike Hamann vom Berliner | |
Mieterverein eine weitere Möglichkeit ins Spiel, um langfristig den | |
Börsendruck auf Wohnungsmärkte zu verringern. Sie sagte der taz, dass man | |
prüfen müsse, [5][börsennotierte Konzerne schlicht vom Wohnungsmarkt | |
auszuschließen] – frei nach der alten mietenpolitischen Forderung „Wohnraum | |
darf keine Ware sein“. Sie erinnert daran, dass es rechtlich möglich sei, | |
die Marktzugangsberechtigung von börsennotierten Unternehmen zu beschränken | |
– eine Marktsperre für Börsenkonzerne. | |
## Senatsverwaltung hat Zweifel | |
Tatsächlich hat vor etwas über einem Jahr genau dies der | |
Wirtschaftsprofessor Stefan Klinski vorgeschlagen. In seinem | |
[6][52-seitigen Rechtsgutachten] und einem [7][Beitrag für den | |
Verfassungsblog] kam er zu dem Schluss, dass es juristisch möglich sei, den | |
Marktzugang für Börsenkonzerne auf Landesebene einzuschränken, weil das | |
Wirtschaftsrecht nicht abschließend durch den Bund geregelt ist – | |
[8][anders als etwa beim Mietendeckel]. Das wird seither in einer | |
Fachöffentlichkeit diskutiert, wirkliche Schlagkraft hat die Forderung aber | |
noch nicht entfaltet. | |
Auf eine taz-Anfrage bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und | |
Wohnen von Senator Christian Gaebler (SPD), inwiefern der Senat den | |
Vorschlag für eine geeignete Maßnahme hält, wirft die Pressestelle der | |
Senatsverwaltung vor allem Zweifel und Fragen auf: Man könne nicht | |
abschließend prüfen, ob Berlin wirklich die Kompetenz dazu hätte, heißt es. | |
Ebenso müsste die Verhältnismäßigkeit geprüft werden, weil es ja schon | |
Mietpreisbremse, Ersatzvornahmen bei Verwahrlosungen und Schutz gegen | |
Verdrängung durch „Herausmodernisierung“ gebe. Und natürlich durfte als | |
Gegenargument der Derailing-Dauerbrenner nicht fehlen, dass durch eine | |
Marktzugangsbeschränkung kein Neubau entstehe. | |
Insgesamt konstatiert der Senat, dass der Vorschlag eine ähnliche | |
Zielrichtung wie das Enteignungsvolksbegehren habe – und schon das halte | |
man ja „für verfassungsrechtlich umstritten“, und man sei in Bezug auf | |
seine Wirkung für mögliche Entspannung des Wohnungsmarktes „sehr skeptisch�… | |
– trotz der gegenläufigen Meinung der selbst einberufenen | |
[9][Expertenkommission] im Übrigen. | |
Die hatte im Übrigen auch ihrerseits „Kapitalmarktorientierung“ als | |
mögliches alternatives Enteignungskriterium aufgeführt. Demnach würde nicht | |
allein die Größe eines Unternehmens dieses „enteignungsreif“ machen, | |
sondern die Gesellschaftsform oder das Geschäftsmodell, wie es in einem | |
Extrakapitel „Alternative“ im [10][Abschlussbericht der Expertenkommission] | |
heißt. | |
## Senat setzt weiter auf „bauen bauen bauen“ | |
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt schätzt der Senat als „weiterhin sehr | |
angespannt“ ein und rechnet damit, dass die kriselnde Wohnungswirtschaft | |
dazu führen wird, „dass alle Mieterhöhungsmöglichkeiten ausgeschöpft | |
werden“ oder die Instandsetzung heruntergefahren werde. Als Gegenmaßnahme | |
bleibe das oberste Ziel Neubau. Dazu setze man weiter auf das | |
„Wohnungsbündnis“ (dessen Selbstverpflichtungen scheiterten), auf erhöhtes | |
Wohnungsgeld (sprich: Umverteilung von staatlichen Geldern an | |
Privatunternehmen) und den Ausbau des Mieterschutzes im Bund (was die FDP | |
seit Regierungsantritt blockiert). | |
Die grüne Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger will darauf nicht warten. | |
Sie sagte der taz: „Wir sehen die Vergesellschaftung börsennotierter | |
Wohnungsunternehmen als zentralen Baustein für den gemeinwohlorientierten | |
Umbau des Berliner Wohnungsmarktes an.“ Es brauche aber auch Lösungen für | |
Berliner*innen, die bei anderen privaten Unternehmen wie Fortis oder | |
Hansereal mieten – „deren Ziel sind höchstmögliche Renditen durch den | |
Verkauf von Eigentumswohnungen. Diese Geschäftsmodelle müssen gestoppt | |
werden“, fordert Schmidberger. Sie müssten endlich zur Sozialpflichtigkeit | |
gezwungen werden oder keine Wohnungen in Berlin mehr erwerben dürfen. | |
Die Grünen wollen zusammen mit Zivilgesellschaft und Expert*innen einen | |
Entwurf für ein entsprechendes [11][Wohnungswirtschaftsgesetz] erarbeiten, | |
das unter anderem auch eine Marktzugangsbeschränkung beinhalten soll und | |
private Unternehmen „stärker in die Pflicht nehmen“ will. Das Ziel | |
beschreibt Schmidberger so: „Zugänge zum Wohnungsmarkt sollten für die | |
Unternehmen mit starken Auflagen verbunden sein und bei Nichterfüllung | |
verwehrt werden.“ | |
## „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“ | |
Die Situation sei angesichts des Börsendrucks besonders brenzlig, sagt | |
Schmidberger: „Es ist deutlich zu merken, dass der finanzielle Druck der | |
Immobilienkonzerne an die Mieter*innen weitergegeben wird. Nachdem die | |
Gewinne jahrelang sprudelten, wollen die börsennotierten | |
Wohnungsunternehmen den Druck vom Finanzmarkt ja sogar teils dem Staat | |
aufdrücken, ganz nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Verluste | |
sozialisieren.“ | |
Es sei eine neue Dimension, wenn der Staat nun auch noch die Dividenden | |
subventionieren soll, weil Unternehmen die Mieter*innen auffordern, mehr | |
Geld beim Jobcenter zu beantragen. Der Druck spiegele sich nicht nur in | |
höheren Mieten wider, sondern zeige sich auch durch weniger Engagement bei | |
der Beseitigung von Mietmängeln durch die Vermieter. Gerade jetzt, wo die | |
Unternehmen strauchelten, müsse man die Chance nutzen, Anteile zu erwerben. | |
Schmidberger fordert: „Der Senat sollte statt einem blödsinnigen | |
Rahmengesetz ein konkretes Umsetzungsgesetz für die Vergesellschaftung | |
erarbeiten.“ | |
Das den Grünen vorschwebende Wohnungswirtschaftsgesetz soll im Herbst | |
fertig sein und Anfang des Jahres ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden. | |
Es klingt aus Mieter*innensicht vielversprechend: Neben der | |
Marktzugangsbeschränkung soll es auch ein Miet- und Wohnungskataster | |
enthalten, das [12][Transparenz hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse] auf | |
dem Wohnungsmarkt schaffen soll. Zudem sollen Regulierungen von möbliertem | |
Wohnraum, Auflagen zum Abriss von Gebäuden, Regulierung von Verkäufen | |
enthalten sein. | |
22 Sep 2023 | |
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[1] /DW-Enteignen-plant-neues-Volksbegehren/!5936256 | |
[2] /Berliner-Wohnungsbuendnis/!5954419 | |
[3] /Experte-ueber-Wohnungspolitik/!5863156 | |
[4] /Wohnungsmarkt-in-der-Krise/!5955018 | |
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[6] http://gesellschaftfuernachhaltigkeit.de/wp-content/uploads/2022/03/Klinski… | |
[7] https://verfassungsblog.de/wohnungsmarkt-ohne-borsendruck/ | |
[8] /Mietendeckel-Gesetz-in-Berlin/!5766576 | |
[9] /Gutachten-zu-Enteignungen-in-Berlin/!5932840 | |
[10] https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/_assets/abschlussberic… | |
[11] https://gruene.berlin/beschluesse/konsequent-gegen-verdraengung-und-immobi… | |
[12] /Berliner-Volksbegehren-zum-Enteignen/!5764430 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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