# taz.de -- Bildband „New Queer Photography“: Queer durch die Welt | |
> Der Band „New Queer Photography“ versammelt 52 junge Künstler:innen. Sie | |
> zeigen Menschen, die Diskriminierung trotzen und ihr Glück suchen. | |
Bild: Lucky und John aus Kenia, aus Robin Hammonds Photoserie „where love is … | |
Die Trophäe über dem Kopf. Sich nicht kleinmachen, sich nicht wegducken, | |
auf keinen Fall unsichtbar bleiben. Sondern maximale Größe zeigen. Mit der | |
linken Hand stützt die Ballroom-Dragqueen den Pokal, den sie beim | |
Wettbewerb gewonnen hat, über den Kopf. Mit den Fingern der rechten hält | |
sie ihn stabil. Sie trägt Samt und Strapse mit Spitze. Und ein Paar | |
schwarzer Federschwingen. | |
Auf dem Holzboden liegt ein leerer Becher. Kabel, wohl für Klang und Licht, | |
ziehen sich halbchaotisch durch den Mittelgrund. Doch solcherlei | |
Nebensächlichkeiten können dem Moment nichts anhaben; sie stören nicht die | |
Gestik des Gewinns. Die queere Person of Color triumphiert. Im Gesicht | |
lässt sich keine Überheblichkeit, wohl aber Selbstgewissheit ablesen. Ein | |
Funken Stolz. | |
Es ist dies eine der Schwarz-Weiß-Fotografien von Dustin Thierry, der mit | |
seinen Arbeiten die queere Ballroom-Kultur einfängt – in der | |
„afrokaribischen Diaspora“, wie er selbst sagt, von Amsterdam, Berlin, | |
Paris und Mailand. Eine sich selbst empowernde Szene, wie man sie | |
vielleicht aus der grandiosen Netflix-Serie „Pose“ kennt, die die Ursprünge | |
der Ballroom-Kultur im nichtweißen Harlem in den 1980ern erzählt. | |
Die Fotografien von Dustin Thierry bilden das erste von 52 Kapiteln im | |
prächtigen Hardcover-Bildband „New Queer Photography“, herausgegeben von | |
Artdirector Benjamin Wolbergs. Während der letzten vier Jahre hat Wolbergs | |
sich sozusagen auf Perlentauchgang begeben – um nun 52 fotografische | |
Positionen zu versammeln. Queer, divers und jung – größtenteils eine | |
Generation nach Wolfgang Tillmans oder Bruce LaBruce, Walter Pfeiffer oder | |
Pierre & Gilles. | |
Wie die Genannten, kommen viele der Fotograf:innen ursprünglich ästhetisch | |
aus dem Underground, etwa queeren Selfmade-Fanzines, edgy und kinky – und | |
konnten dann doch große Auftraggeber gewinnen, etwa das Modelabel Gucci | |
oder gleich die Vogue, das Modemagazin schlechthin. Dazu kann man | |
unterschiedlich stehen: Wird queere Ästhetik kommerziell vereinnahmt? Oder | |
bieten die Big Player den Queers eine wertvolle Bühne? | |
Beim Bilderlesen von „New Queer Photography“ hat man jedenfalls nie den | |
Eindruck, ein steriles Stylebook zu durchblättern: Der Fokus liegt auf | |
jeder Seite bei den Menschen, ihren Gesichtern, ihren Körpern und | |
Geschichten, die gewissermaßen gesellschaftlich unter Beschuss stehen – | |
aber sich darüber erheben, in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Glück. | |
## Keine Homosexuellen in Iran? | |
„New Queer Photography“ ist eine hochsinnliche, hochemotionale | |
Weltreise, kontextualisiert von englischsprachigen Begleittexten. Maika | |
Elan aus Vietnam führt uns dort in Privatwohnungen. In strahlenden Farben | |
porträtiert sie queere Paare, die miteinander zärtlich sind – beim | |
Musikhören, Nägellackieren und beim Obstnaschen. All diese Bilder zeichnet | |
eine große Farbkraft und eine erfrischende Entspanntheit aus. M. Sharkey | |
geht es in seiner Fotoserie „Queer Kids in America“ um, nun ja, queere Kids | |
in Amerika; etwa einen trans Jungen mit blondiertem Haar und warmherzigem | |
Blick – und Narben von der Brust-OP. | |
Zwar haben es, auch in und aus den USA, in den letzten Jahren verstärkt | |
schwule Bewegtbilder in den Mainstream geschafft, etwa die Liebesfilme | |
„Call Me by Your Name“ oder „Love, Simon“ – doch die meisten dieser F… | |
haben Figuren gezeigt, die es Heteros extrem leicht machen; sie agieren, | |
abgesehen von ihrer Homo- oder Bisexualität doch recht konform, | |
konventionell. „New Queer Photography“ nun versucht zwar nicht, Queers als | |
in jeder Hinsicht „anders“ zu zeigen; aber verschließt eben auch nicht die | |
Linse vor Bildern, die wir nicht so gewöhnt sind. Wie besagte Narben. | |
Insgesamt zeigt der Band viele Körper von trans Menschen und People of | |
Color, die in Mainstream-Bewegtbildern kaum je vorkommen, außer in | |
genannter Netflix-Serie „Pose“. | |
Die Fotoserie „There Are No Homosexuals in Iran“ bezieht sich in ihrem | |
Titel auf die absurde Aussage des ehemaligen iranischen Präsidenten Mahmud | |
Ahmadinedschad, es gäbe keine Homosexuellen in Iran. Die Fotografin | |
Laurence Rasti, in der Schweiz als Tochter iranischer Eltern aufgewachsen, | |
ist nach Denizli in der Türkei gereist, das für viele queere Flüchtlinge | |
aus Iran gleichsam eine Transitstadt ist. Viele der Paare wagen es nicht, | |
ihr Gesicht zu zeigen, doch die Liebe spürt man trotzdem. | |
## Von Uganda bis nach Ghana | |
Wie auch bei der Porträtserie „Where Love is Illegal“ von Robin Hammond, | |
der Queers aus Kenia, Uganda, Nepal, Jamaika, Russland, Malawi, Syrien, | |
Ghana und Tunesien in leuchtenden Pastellfarben porträtiert. Lucky und John | |
sind innig verbunden, halten sich die Hand. Julia Gunther entführt uns in | |
ihren von Community-Spirit beschwingten dokumentarischen Fotografien zu | |
einem lesbischen Schönheitswettbewerb im südafrikanischen Kapstadt. In den | |
Begleittexten erschließt sich übrigens, dass queerfeindliche Gesetze oft | |
von den europäischen Kolonialisten in afrikanische Länder exportiert | |
wurden. | |
Der Band „New Queer Photography“ ist wahrlich eine Weltreise: Mohamad | |
Abdouni, der zeitweise in Istanbul gearbeitet hat, dokumentiert im | |
libanesischen Beirut südwestasiatiche und arabische Queerkultur. Daniel | |
Jack Lyons zeigt die queere Kultur in Mosambik, im Mikrokosmos eines | |
verfallenen Art-déco-Baus, der nun als Stundenhotel fungiert. Danielle | |
Villasana wiederum begleitet trans Sexarbeiterinnen auf den Straßenstrich | |
in Peru. Mit den Arbeiten von Spyros Rennt fühlt man sich hingegen wie in | |
einem verschwitzten Berliner Techno-Club, wie vielleicht dem About Blank. | |
Insgesamt sind die Arbeiten in diesem fantastischen Bildband zu divers, zum | |
Glück, um den einen Trend auszumachen oder auch nur von einer Strömung zu | |
sprechen, wie man es beim New Queer Cinema in den 1990ern tat. Diese | |
Vielfalt der Herangehensweisen und Bildsprachen ist aber gerade eine | |
wünschenswerte Stärke. Der unbedingt sehenswerte Bildband stimmt auch | |
nachdenklich, aber vor allem macht er glücklich. | |
17 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
## TAGS | |
Queer | |
Queers of Color | |
zeitgenössische Fotografie | |
Fotografie | |
Bildband | |
Queer cinema | |
Transgender | |
Buch | |
Filmfestival Cannes | |
Berlin | |
Spielfilm | |
Kunst | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Queer Cinema“- Doku bei 3sat: Unterschiede feiern | |
Wie schwul, wie lesbisch, wie trans ist eigentlich das deutsche Kino? Eine | |
3sat-Dokumentation blickt zurück auf 100 Jahre queere Filmgeschichte. | |
Transfeindlichkeit in Russland: Doppelt gefangen | |
Der 38-jährige Nazar Gulewitsch ist trans. Eine Haftstrafe in einem | |
russischen Gefängnis wird für ihn lebensbedrohlich. | |
Ein Berliner Leben als trans Frau: Samt, Satin und Selbstachtung | |
Nora Eckert, geboren 1954, hat ein entspanntes, lesenswertes Memoir über | |
ihre Selbstfindung als trans Frau geschrieben. | |
Amazon sperrt Film „Der Prinz“: Liegt es am schwulen Sex? | |
In Venedig wurde das Gefängnisdrama gefeiert, doch der | |
Amazon-Streamingdienst verbannt es nun. Liegt es an der Gewalt im Film oder | |
am Sex? | |
Schwarzweiß-Fotoband über Berlin: Hängt ein Mann an der Wand | |
Die Fotografin Barbara Wolff tauschte 2018 ihre schwere Ausrüstung gegen | |
das Handy. Die Ergebnisse sind großartig lebendige Stadtmomente. | |
Film „Port Authority“ startet digital: Der Blick des Getriebenen | |
„Port Authority“ war 2019 der erste Film in Cannes mit einer nichtweißen | |
trans Frau in der Hauptrolle. Er erzählt von der Ballroom-Szene New Yorks. | |
Ausstellung in Berlin: Provokante Popos | |
Künstler Jürgen Wittdorf war in der DDR ein Star der Jugend – und wurde | |
dann fast vergessen. Der KVOST läutet nun sein Revival ein. | |
Queens of Color im Schwulen Museum: Die Definition von Queen | |
Die Ausstellung „Queens“ im Schwulen Museum* mit Fotos von Nihad Nino | |
Pušija zeigt queere, (post)migrantische Subkulturen im Berlin der 1990er. |