# taz.de -- Schwarzweiß-Fotoband über Berlin: Hängt ein Mann an der Wand | |
> Die Fotografin Barbara Wolff tauschte 2018 ihre schwere Ausrüstung gegen | |
> das Handy. Die Ergebnisse sind großartig lebendige Stadtmomente. | |
Bild: Ausschnitt aus Barbara Wolff, Metropolis #46, Rosenthaler Platz, 2018 | |
Mit dem Smartphone arbeiten war eine Befreiung.“ Das sagt [1][die in Berlin | |
lebende Profi-Fotografin Barbara Wolff,] Jahrgang 1951. Jüngst ist ihre | |
Smartphone-Serie „Metropolis, Berlin“ [2][im Lunik Verlag als Fotobuch] | |
erschienen. Jahrzehnte schleppte sie Kameras, oft Großbildapparatur, als | |
notwendiges Handwerkszeug mit sich. | |
Dann entschied sie, ihre Metropolis mit dem Handy zu fotografieren. „Ich | |
war überrascht, wie unbeschwert und unauffällig ich mit einem Smartphone | |
agieren konnte“, hatte sie zuvor während einer Reise nach Sri Lanka | |
festgestellt. „Das fesselt mich an dieser Technik“, berichtet sie in einem | |
Skype-Gespräch. | |
Wolffs Metropolis: Zwei Jahre lang, von 2018 bis 2020, streifte die | |
Fotografin zu Fuß durch ihre Metropole, die Stadt Berlin. Sie fotografierte | |
im eigenen Kiez im Prenzlauer Berg; sie schwärmte mit S- und U-Bahnen aus, | |
spazierte an Zielorten weiter. Das Ungewöhnliche: Entstanden sind Bilder | |
in klassischer Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine gewisse Zeitlosigkeit | |
ausstrahlen. | |
## Die Spontanität des Smartphones | |
Auch verweist ihre aktuelle Metropolis-Geschichte auf den gleichnamigen, | |
legendären Film von Fritz Lang aus dem Jahr 1927. Wolffs Metropolis ist in | |
so mancher Aufnahme von einer verblüffenden Dichte und die Spontaneität, | |
die ihr das mobile Telefon ermöglichte, hat ganz eigene Blüten getrieben. | |
Ein Beispiel: Drei Handwerker baumeln an Seilen am Bahnhof Berlin | |
Alexanderplatz. Sie haben den Job, alle Dachfenster zu putzen. Im | |
Hintergrund die Großstadtkulisse: Gebäude am Alex, der Fuß des | |
Fernsehturms. Im Vordergrund warten Passagiere auf die S-Bahn. Alle | |
Abgebildeten sind als Silhouetten sichtbar. Eine kräftige Sonne fügt | |
Schlagschatten auf dem S-Bahnsteig hinzu. Das Bild spiegelt Wolffs präzise | |
Wahrnehmung des dichten, innerstädtischen Raums, es ist komponiert in | |
traditioneller Bildsprache. | |
„Bei dem Handy, das mich gereizt hat, sind manuelle Einstellungen möglich | |
und es hat einen Schwarz-Weiß-Sensor“, so Wolff. Erste Bilder vergrößerte | |
sie, die technische Qualität überzeugte. Dann stellte sie ihre | |
Metropolis-Fotos zeitnah auf ihren Instagram-Account ein. „Ich freute mich | |
auf die Reaktionen, die Arbeit wurde intensiver dadurch. Es entwickelte | |
sich eine Art Sucht“, hat sie irgendwann festgestellt. | |
## Reicher Vorrat an Erfahrung | |
Barbara Wolff reist mit einem reichen Vorrat an Erfahrung. Die Tochter | |
eines Fotografen wuchs im brandenburgischen Kyritz auf, „mit dem Geruch des | |
Fixierbades“, erinnert sie. Fotografenlehre, ein Studium in Leipzig an der | |
Hochschule für Grafik und Buchkunst folgte. Sie fotografiert für | |
DDR-Verlage. 1985 Aussiedlung in die BRD mit ihrem Lebenspartner. In | |
München arbeitet sie für die Firma Linhof, freischaffend, sie gibt Seminare | |
zur klassischen und digitalen Fotografie. 2011 zieht Barbara Wolff nach | |
Berlin. | |
Wolffs Metropolis ist in acht Kapiteln mit englischen Titeln gegliedert. | |
Laut dem Vorwort von Marc Barbey symbolisieren sie: Change (Veränderungen | |
der Stadt), Mystery (das Mysterium Stadt, das Zusammenspiel der Bewohner | |
und die soziale Spaltung), Humans (in ihrer Normalität und in ihrer | |
Selbstinszenierung), Tracks (U- und S-Bahn-Trassen, Treppen), Night | |
(Nachtaufnahmen), Illusion (Illusion und Realität), Nature (in natürlicher | |
und künstlicher Form), 2020 (Covid und geschlossene Nachtclubs). | |
Welche Rolle Langs Film „Metropolis“ bei der Motivsuche spielte? Wolff: | |
„Mich interessierte der Zusammenhang zwischen Menschen, Stadt, Architektur, | |
das Zusammenspiel, nicht der Mensch alleine. Der Titel war sofort da: | |
Metropolis. Erst ein halbes Jahr später war die Uraufführung (der | |
restaurierten Filmfassung) im (Kino) Babylon mit großem Orchester. Ich habe | |
den Film zweimal angeschaut, ich war erstaunt, wie nahe ich am Thema schon | |
dran war.“ | |
## Die stählerne Robot-Frau | |
Im Bildband ist ihr Foto aus dem Kino zu sehen, detailliert, scharf, dank | |
der technologischen Entwicklung in der Fotografie: das Publikum, das | |
spielende Orchester, zur stählernen Robot-Frau wird gerade das Antlitz von | |
Langs Maria rübergebeamt – eine bekannte Szene, die Klammer im Buch. | |
Insbesondere im Kapitel „Mystery“ fließt alles Wissen zusammen. Ein Mann | |
hängt an einer hohen Brandmauer, er hält seinen rechten Arm fremd entspannt | |
längs des Körpers, der linke ist von einem Retter auf dem Dach fest | |
umklammert. Eine haarsträubende Szene. Eine, mit der man im Berliner Alltag | |
konfrontiert sein könnte. Metropolis #106 heißt das Bild. Was das ist? | |
Wolff besuchte in den Uferhallen im Wedding eine Performance. Sie suchte | |
unter anderem Events auf, die den gegenwärtigen Sound Berlins wiedergeben. | |
In „Mystery“ ist auch ein seltsam dichtes Architekturfoto zu finden. Wolff: | |
„Das sind Architekturmodelle in der UDK Berlin. Die Schichtungen im | |
Original waren bereits sehr faszinierend“, fand die Fotografin, die früher | |
selbst viele Collagen gemacht hat. | |
## Durch den Lockdown wurde #Metropolis zum Buch | |
Sie begann spielend, fütterte ihren Instagram-Account, hatte Spaß am Echo. | |
Sie ließ von ausgewählten Motiven des Instagram-Feeds Negative herstellen, | |
druckte sie auf Baryt-Papier ab. Für Sammler. Bis Covid heranwehte. Erst | |
durch den Lockdown wurde #Metropolis zum Buch. | |
Es ist ihre Antwort auf abgesagte bzw. geschlossene Ausstellungen. „Nach | |
der ersten Starre, die wir ja alle irgendwie hatten, bin ich einfach weiter | |
durch die Straßen gelaufen“, der Verlag hatte Interesse signalisiert. | |
Barbara Wolffs „Metropolis“ ist ein aktuelles Zeitbild Berlins und Ausdruck | |
ihrer nachhaltigen Neugierde. | |
26 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5515741&s=Barbara+Wolff&SuchRahmen=Print/ | |
[2] https://www.lunik.de/ | |
## AUTOREN | |
Gunda Schwantje | |
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