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# taz.de -- Ulrich Domröse tritt ab: „Die Vielfalt sichtbar machen“
> Ulrich Domröse, ab heute ehemaliger Leiter der Fotografischen Sammlung
> des Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, im
> Gespräch.
Bild: Ulrich Domröse mit Loredena Nemes anlässlich ihrer Ausstellung
taz: Herr Domröse, als Sie 1991 als Kurator zur Berlinischen Galerie kamen,
brachten Sie einen großen Bilderschatz mit: eine von Ihnen über ein
Jahrzehnt aufgebaute Sammlung künstlerischer Fotografie aus der DDR. Welche
Sammlungsstrategien waren für Sie seither leitend?
Ulrich Domröse: In dieser Frage war ich mir mit Janos Frecot, der die
Fotografische Sammlung bis 2002 leitete, absolut einig: Wir wollten unseren
Fokus auf die innovativen Aspekte des Mediums legen. Welche neuen
Verfahren, Themen und Ideen gibt es, die die jeweils nächste Generation mit
der Fotografie verfolgte? Wir wollten die Fotogeschichte erzählen, indem
wir uns ansehen, was neu entsteht. Das funktioniert auch im historischen
Rückwärtsgang.
Als Frecot 1979 anfing, die Sammlung aufzubauen, konnte er sich große
Schätze sichern. Es gab seinerzeit nicht nur noch viel Geld, sondern er
hatte auch ein unglaubliches Gespür für Qualität. So legte er innerhalb
ganz kurzer Zeit einen bedeutenden Grundstock für die Sammlung. Das wäre
heute vollkommen unbezahlbar, aber vor allem ist davon vieles gar nicht
mehr zu haben.
Als ich dann hinzukam, haben wir die Kompetenzen ein wenig verteilt, und
ich war für die Zeit nach 1945 verantwortlich. Sichtbar machen wollte ich
vor allem die Vielfalt von fotografischen Positionen, die aus der ganzen
Welt nach Berlin kamen. Die Berliner Lotto-Stiftung, auf deren
Unterstützung wir uns fortgesetzt verlassen konnten, war dabei enorm
wichtig.
Das klingt für mich so, als hätten Sie den Fokus auf Berlin nicht wirklich
als eine Beschränkung empfunden?
Um ehrlich zu sein, im ersten Augenblick habe ich das schon so empfunden.
Ich kam aus der DDR und dachte, nun bin ich in der großen weiten Welt
angekommen. In den ersten ein, zwei Jahren war ich ein wenig ernüchtert.
Aber das ist schnell verflogen, denn Berlin wurde, vielleicht ähnlich wie
in den zwanziger Jahren, ja wieder zu einem wirklichen Mittelpunkt.
Wir hatten den internationalen Kontext direkt vor der Haustür. Davon
abgesehen ist der von Ihnen angesprochene Fokus eigentlich ein Privileg. In
der Berlinischen Galerie können wir in die Tiefe bohren und uns ganz und
gar jenem künstlerischen Reichtum widmen, der in Berlin entsteht.
Gewiss werden sich noch viele an Ihre Ausstellungen etwa zu Friedrich
Seidenstücker oder Tobias Zielony erinnern, und erst in diesem Jahr fand
die große Umbo-Retrospektive statt. Bei welcher Ihrer Ausstellungen waren
Sie selbst von den Publikumsreaktionen überrascht?
Wirklich überrascht war ich von den Reaktionen auf „Positionen
künstlerischer Photographie in Deutschland seit 1945“, die ich 1997 gemacht
habe. Das war ein erster Versuch, fotografische Entwicklungen in West- und
Ostdeutschland zusammenzuführen. Es war erstaunlich, wie unterschiedlich
hierauf reagiert wurde, sehr zustimmend, aber auch ganz ablehnend.
Und noch immer freut mich, wie groß die Resonanz auf „Geschlossene
Gesellschaft“ von 2013 war. Diese Ausstellung zur DDR-Fotografie hat mit
82.000 Besuchern für lange Jahre den Rekord aufgestellt. Das war für unsere
Verhältnisse gewaltig.
Ich selbst habe besonders gut „So weit kein Auge reicht“ von 2008 in
Erinnerung, ebenfalls ein Publikumsmagnet. Arwed Messmer zeigte
großformatige Panoramas aus dem Berlin zwischen 1949 und 1952. Er nutzte
dafür Kontaktabzüge eines anderen Fotografen, Fritz Tiedemann. Wie blicken
Sie selbst auf dieses bemerkenswerte Projekt zurück?
Das hat zwei wichtige Seiten: Einmal wurde klar, dass sich Stadtfotografie
einfach nicht abnutzt. An solchen Ausstellungen sollte man unbedingt
festhalten. Zum anderen aber war es ja wirklich ungewöhnlich, dass ein
zeitgenössischer Künstler auf der Basis eines Archivs von Kontaktkopien
etwas Neues schafft. Und ich finde, dass ist ihm wunderbar gelungen. Damit
ist übrigens auch gesagt, dass man bei allem Wert, den Vintages haben, so
etwas tun sollte, weil es eine ganz eigene Qualität von Weltwahrnehmung
bedeutet.
2004 ist die Berlinische Galerie in ihr eigenes Haus, ein zum Museum
umgebautes Glaslager, in die Alte Jakobstraße gezogen. Wie hat das Ihre
Arbeit verändert?
Das Problem mit Martin-Gropius-Bau, wo wir vorher ausstellten, war ja, dass
keiner das Sammelsurium unterschiedlicher Institutionen in einem einzigen
Haus verstanden hat. Wir hatten dort eine recht gut versteckte Fotogalerie
auf einer Empore. Demgegenüber fanden wir uns im neuen Haus in einem
physisch wirklich erfahrbaren Raum wieder. Ich finde ihn bis heute klasse.
Mit „Geschlossene Gesellschaft“ haben wir dann zum ersten Mal für eine
einzige Ausstellung das ganze Erdgeschoss eingenommen, und wir haben
gemerkt, wie gut das funktioniert, und sind seither bei diesem Modell
geblieben. Diese neuen Verhältnisse haben unser Denken über künftige
Ausstellungen vollkommen verwandelt. Wir können das jetzt alles viel
großzügiger angehen, wir sind viel mutiger geworden.
Wie werden Sie weiter kuratorisch tätig sein?
Ich habe mich entschieden, für mindestens ein halbes Jahr, vielleicht auch
länger, erst einmal völlig aus dieser Art von Arbeit auszusteigen. Ich
würde gern herauskriegen, was mich an dieser Welt der Fotografie wirklich
interessiert, wenn ich nicht mehr jeden Tag damit zu tun habe. Also kein
vollgestopfter Terminkalender fürs neue Jahr, ich will erst einmal zur
Seite treten und ganz in Ruhe schauen.
29 Nov 2020
## AUTOREN
Steffen Siegel
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
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Fotografie
Berlin
zeitgenössische Kunst
Kunst
zeitgenössische Fotografie
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