# taz.de -- Modefotografin Louise Dahl-Wolfe: Die Perfektionistin | |
> Sie liebte die Alten Meister und ihr Spiel mit dem Licht. Am 19. November | |
> wäre die große Modefotografin Louise Dahl-Wolfe 125 geworden. | |
Bild: „Mrs. Ramsey“ ist eines der berühmtesten Bilder von Louise Dahl-Wolf… | |
In Gatlinburg, Tennessee, war die Zeit stehen geblieben. Louise und Mike | |
hatten ein Holzhaus ohne Stromanschluss gemietet, für den Sommer 1931, | |
während der Great Depression, der schwersten Wirtschaftskrise in den USA. | |
Jede sechste Familie war von Arbeitslosigkeit betroffen, lange Schlangen | |
bildeten sich vor den Ausgabestellen für warme Mahlzeiten. Präsident Hoover | |
unternahm nichts, was die Lage für die Menschen spürbar verbessert hätte. | |
Mike malte und zeichnete, Louise experimentierte mit ihrer neuen | |
7x5-Zoll-Kamera, Großformat, für gestochen scharfe | |
Schwarz-Weiß-Fotografien. Sie fotografierte die Leute, die in den Bergen | |
lebten, und auch ihre Nachbarin. Mrs. Ramsey schaute fest in die Kamera, | |
sie führte eine Hand an ihre Wange, sie stützte mit der anderen Hand ihren | |
Ellbogen ab. Sie hielt still, trug ihren Hut mit Würde. | |
Niemals wäre ihr wohl in den Sinn gekommen, dass ihr Porträt einmal im | |
Museum of Modern Art in New York ausgestellt werden würde. Doch die | |
Aufnahme gehörte zu den Prints von Louise Dahl-Wolfe, die das MoMA | |
ankaufte und 1937 in der ersten Fotografie-Ausstellung des Museums zeigte. | |
1933 war das Porträt „Mrs. Ramsey“ bereits in der Zeitschrift Vanity Fair | |
erschienen, Dahl-Wolfes erstes publiziertes Foto überhaupt. | |
Obwohl das Bild eine einfache Frau mit sonnengeerbter Haut in einem | |
einfachen Kattun-Kittel zeigt, war Louise Dahls Stil nicht zu verwechseln | |
mit den Reportage-Fotos von Dorothea Lange oder [1][Walker Evans], die das | |
Schicksal der Wanderarbeiter und der verarmten Farmer dokumentierten. Auch | |
sie schufen ikonische Bilder, aber die Fotografien von Louise waren anders, | |
weil sie künstlerisch und formal durchgestaltet waren. | |
Mrs. Ramsey sitzt an einem Tisch, auf dem wie zufällig ein Teller mit einem | |
Kürbis und Äpfeln steht. Dahinter ragt eine Petroleumlampe auf, mit einem | |
bauchigen Tank und einer Glashaube aus fein geschliffenem Glas, in dem sich | |
die Fenster spiegeln. Porträt und Stillleben sind wie bei | |
Renaissance-Bildnissen ineinander verschränkt. Wie die Alten Meister legte | |
Louise Wert auf eine schattenwerfende, die Dinge modellierende | |
Beleuchtung. Der verknitterte Stoff, die faltige Haut, die von der Wand | |
abblätternde Farbe sind im Bild in ihrer porösen Materialität präsent. | |
Louise Dahl, die vor 125 Jahren am 19. November 1895 in San Francisco | |
geboren wurde, liebte Stillleben und wollte eigentlich nach ihrem | |
Kunststudium die Malerei zu ihrem Lebensinhalt machen. Doch ihr Lehrer | |
entmutigte sie, vielleicht unabsichtlich, jedenfalls verlegte sich die | |
junge Frau auf Werbegrafik und brachte sich die Fotografie selbst bei. Sie | |
reiste durch Europa und Nordafrika, wo ihr der Bildhauer Mike Wolfe über | |
den Weg lief. | |
So sorgfältig wie das Porträt von Mrs. Ramsey bis ins letzte Detail | |
arrangiert ist, so präzise komponiert sollten auch ihre Modefotografien | |
sein, die sie in den späten dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren für | |
die Modezeitschrift Harper’s Bazaar schaffen sollte. Die Kleidung wurde | |
damals lässiger, auch für Frauen. Das entsprach Dahl-Wolfes Lebensgefühl, | |
sie brachte Natürlichkeit und Witz in die festgefahrenen Konventionen der | |
Modefotografie. | |
Sie beschäftigte sich zudem intensiv mit den Möglichkeiten der | |
Farbfotografie, die damals aufkam. Sie erkundigte sich vorab nach den | |
Farben der Kleider und stimmte die Kulisse darauf ab. Es heißt sogar, dass | |
sie den Art Director um die geplanten Seiten-Layouts bat. | |
Aus der gescheiterten Malerin wurde eine gefeierte Modefotografin, die für | |
Harper’s Bazaar zu den großen Modenschauen nach Paris fuhr oder zu | |
Fotosessions nach Rom, Kairouan oder Mexiko. Als die Leitung des Magazins | |
Ende der 1950er Jahre wechselte, verließ sie den Verlag. Nach einigen | |
Jahren freier Arbeit zog sich Louise Dahl-Wolfe nach New Jersey zurück, in | |
die alte Meierei, die sie mit Mike umgebaut hatte. Sie starb am 11. | |
Dezember 1989 im Alter von 94 Jahren. | |
In Retrospektiven, die auch ihre Porträtfotografie würdigen, wird stets | |
die Fotografie von Mrs. Ramsey gezeigt, meist ein Handabzug von Dahl-Wolfe. | |
Die Laborarbeit war für Louise bis ins Alter ein wichtiger Bestandteil der | |
Fotografie. | |
Auch damals in der Hütte ohne Stromanschluss in Gatlinburg mussten Abzüge | |
gemacht werden. Aber wie das Rotlicht in Gang setzen? Mike verband das | |
Lampenkabel mit der Batterie ihres Ford Model A, und Louise verschwand in | |
ihrer improvisierten Dunkelkammer. | |
19 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Carmela Thiele | |
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