# taz.de -- Nachruf auf F.C. Gundlach: Habicht mit Posen | |
> Besonders in seiner Mischung von Menschlichkeit und Forschheit: Zum Tod | |
> von F.C. Gundlach, dem Hamburger Universalisten der Fotografie. | |
Bild: 2016: F.C. Gundlach in einer Ausstellung seiner Modefotografie-Sammlung i… | |
Er hatte die Angewohnheit, die Nase zu rümpfen, als wollte er die Brille in | |
ihre Position schieben, und das verband sich mit dem Anflug eines Grinsens. | |
Sein unbeirrbarer Blick, der Schnauzbart, diese gewisse Nervosität – im | |
Bestiarium der fotografischen Berühmtheiten wäre er als Falke porträtiert | |
worden. Oder als Habicht. | |
Franz Christian Gundlach war ein Mann von ungewöhnlicher Willenskraft und | |
Beharrlichkeit. Man wunderte sich einst sehr, warum er sein Lebenswerk, das | |
Haus der Photographie in Hamburg, mit einer CDU- und rechtspopulistisch | |
geführten Stadtregierung einfädelte. Tatsächlich aber waren die Pläne | |
jahrelang mit Christina Weiss geschmiedet worden, in einem SPD-geführten | |
Senat. | |
Er hat vieles erfunden, zuallererst aber sich selbst, F.C., den | |
weltreisenden Gentleman, der Jean Marais auf seinem Hausboot porträtierte | |
oder dem staunenden deutschen Nachkriegspublikum Oscar Niemeyers Villa | |
oberhalb von Rio de Janeiro aus der Nähe zeigte. Es gab Reportagen aus | |
Hongkong und über Angkor Wat. | |
Für Film und Frau, eine raffinierte Hamburger Zeitschrift des Luxus und der | |
Moden, war er ein Wunderknabe und Tausendsassa, das Wirtschaftswunder in | |
Person. Er wurde aber dann nicht Reporter beim Stern, sondern Modefotograf | |
mit einem großen Vertrag bei der Brigitte. | |
## Ein Auge für Stoffe, Pelze, Schuhe, Schmuck | |
Die Mode musste, Ende der fünfziger Jahre, heraus aus dem Atelier. Der | |
junge Gundlach hatte ein Auge für Stoffe, Pelze, Schuhe, Schmuck, für | |
optimistische Modelle (heute: Models), die er vor dem Reichsbahnhotel in | |
Stuttgart warten ließ, die kokett durch das olle St. Pauli flanierten oder | |
auf der Avus als Rennfahrerinnen posierten. Noch Jahrzehnte später verwies | |
er amüsiert auf den „Ausfallschritt“ – die gefrorene Pose mit gestrecktem | |
Bein –, ein Muster, das er langsam versuchte aufzulösen: Schaulaufen in | |
Paris; Luftsprünge in Nairobi. | |
F.C. mit vierzig Jahren lief zu großer Form auf mit den hypergrafischen, | |
Op-Art-inspirierten Moden um 1966/67, experimentierend zugleich mit steilen | |
Kontrasten im Schwarzweiß und zartesten Schattierungen in der Farbe. Um | |
Frühjahrskollektionen zu fotografieren, flog man im Winter nach Marokko, | |
nach Ägypten, später sogar bis Kapstadt. | |
Schon in den fünfziger Jahren hatte F.C. Gundlach mit der Lufthansa einen | |
abenteuerlichen Tauschvertrag geschlossen, PR-Fotos gegen Meilen, so dass | |
er ohne Nachzudenken um die Welt reisen konnte. Aufgewachsen war er als | |
„Christl“ in einer größeren Pension zwischen Kassel und Bebra, die die | |
Eltern betrieben. | |
Als ältester Sohn sollte er den Betrieb übernehmen, aber Gastwirt im | |
Zonenrandgebiet zu sein, sah er nicht als seine Bestimmung nach dem Krieg. | |
Lieber lernte er „moderne Lichtbildkunst“ bei Rolf W. Nehrdich in Kassel | |
und wohnte seit 1956 in Hamburg, dessen Bild als Stadt der Medien er selbst | |
mit prägen sollte. | |
## Der Unternehmer F.C. Gundlach | |
1979, ein heller Junitag. F.C. läuft rückwärts unter Bäumen, das Tele der | |
Leica gerichtet auf zwei Ladys, die im Abstand von einigen Metern auf ihn | |
zu marschieren, während Gehilfen vom Gehwegrand her versuchen, mit | |
Reflektoren nachzuhelfen – einer davon bin ich. Mit Anfang fünfzig | |
fotografierte Gundlach Titelbilder nur noch aus Routine, während er seit | |
einem Jahrzehnt ein großes Unternehmen führte. | |
Gestartet als Creative Color GmbH, kam dann der Photo Professional Service | |
(PPS.) dazu, mit dem er sich über mehrere Etagen im Bunker auf dem | |
Heiligengeistfeld, Feldstraße 66, einquartiert hatte: eine kuriose | |
Standortwahl, wenn man bedenkt, dass Nazideutschland den jungen Hessen in | |
einem irrsinnigen „letzten“ Kriegseinsatz beinahe in den Tod geschickt | |
hatte. Als Personenfahrstuhl des Hauses klapperte damals noch ein | |
Paternoster. | |
Was F.C. nach amerikanischem Vorbild geschaffen hatte, war ein Unternehmen | |
für Fotografen, das – nach damaliger Technik – alles einschloss: Verkauf | |
und Verleih von Kameras und Studioequipment; Diaentwicklung in allen | |
Formaten innerhalb von zwei Stunden; Ateliervermietung; Retuschen. Zuletzt | |
dazugekommen war ein „Bookshop“ und 1975 die Galerie. | |
Gerade half ich, die Nacktbilder junger, schwarzer Tänzer eines Fotografen | |
namens Wolfgang von Wangenheim zu hängen. Gundlach: „Ich finde das sehr | |
gut, aber zu arschfixiert.“ Da war ich dann doch überrascht. Der Mann war | |
der Jahrgang meines Vaters! | |
## Aus Notwendigkeit und Pflicht wurde er Sammler | |
Gundlach zeichnete den Weg in die Professionalität vor und die anderen | |
folgten. Im Bunker mietete sich die Fotografenprominenz ein. Neben Hamburg | |
gab es auch eine Dependance in Düsseldorf, nach der Wende einen „PPS.“ in | |
Berlin, und bis zuletzt war er in Berlin bei „Pixelgrain“ beteiligt. Mit | |
seiner künstlerischen Sendung aber tat sich Hamburg schwer: Die Hochöfen | |
und Gasbehälter eines Fotografenpaares namens Becher, zum Beispiel, war das | |
relevant? | |
Die Rockerfotos von Irving Penn – schon besser. Gundlach, der „die | |
Fotografie“ in Hamburg groß gemacht hatte, wenn nicht riesig, arbeitete nun | |
an einem Begriff von ihr. Erst einmal für sich selbst. Da waren es noch | |
dreißig Jahre bis zur Gründung eines „Hauses der Photographie“ in der | |
kleineren der beiden Deichtorhallen. Fotografie im Umfeld von Kunst blieb | |
ein langwieriges Unternehmen, und sein riskantestes. Aus Notwendigkeit | |
wurde er Sammler. Er engagierte [1][sich früh für Wolfgang Tillmans] und | |
[2][nahm Andreas Mühe] unter seine Fittiche, als dieser noch ein | |
Fotolaborant war. | |
Ahnend, dass sein Beitrag zur Sozialgeschichte der Bundesrepublik – als | |
Chronist ihrer Posen, Moden und Locations – möglicherweise verloren gehen | |
konnte, machte sich Gundlach an seine eigene Historisierung. Zunächst | |
verlegte er „Modewelten“, ein Buch, das die retrospektive Bonner | |
Ausstellung von Klaus Honnef 1986 begleitete. Eine Honorar-Professur an der | |
Hochschule der Künste (heute UdK) in Berlin brachte ihm neue Kontakte: „En | |
Vogue, Berliner Mode in der Photographie“ (1993) im Martin-Gropius-Bau (in | |
der taz [3][besprochen von Katharina Rutschky]) ließ das 20. Jahrhundert | |
Revue passieren. | |
Gundlach dabei als Herausgeber, eine Rolle, die bis zur | |
Peter-Keetman-Retrospektive in Essen (2016) reichte und bisweilen die | |
Leistungen anderer überschattete. 2008 wurde sein eigenes Werk von jüngeren | |
Autoren systematisiert, in einem 416-seitigen Band bei Steidl, „F.C. | |
Gundlach – Das fotografische Werk“. | |
## Sein Haus der Photographie in den Deichtorhallen | |
Als vermögender Mann ohne Erben machte sich F.C. Gedanken über die Zukunft | |
seiner Nachwelt. Einen großen Teil seiner Sammlung, die er dem „Bild des | |
Menschen“ gewidmet hatte, gab er dem „Haus“ bei seiner Gründung als | |
Leihgabe mit – aber nur auf zwanzig Jahre. In seinem Townhouse in der | |
Parkallee 33 installierte er unterdessen eine Stiftung, deren täglicher | |
Betrieb den inzwischen 90-Jährigen gut in Trab halten sollte, während er | |
noch über den Sinn des Ganzen grübelte. | |
Auf dem Ohlsdorfer Friedhof ließ er sich von dem Architekten Roland | |
Poppensieker einen Betonkubus errichten, [4][ein Mausoleum ohne Namen], | |
dessen Bildrelief auf der Südseite ein berühmtes Modefoto zitiert: Karin | |
Mossberg und Micky Zenati in Badekappen vor den Pyramiden von Gizeh 1966. | |
F.C. Gundlach war besonders in seiner Mischung von Menschlichkeit und | |
Forschheit. Mal biss er sich am Detail fest, dann zählte wiederum nur der | |
große Überblick. Der lag in der letzten Dekade in der Binnenschau, denn die | |
Sehfähigkeit, ausgerechnet, hatte sehr nachgelassen. | |
Dafür blieb ihm aber sein Gehör, und in der Tat war er ein Mann des | |
Gesprächs, des Dialogs, ein Rhetor auf der Suche nach der unschlagbaren | |
Formel. Mitten in der „Flüchtlingskrise“ des Sommers 2015 bekannte er: „… | |
haben doch damals zwanzig Millionen Flüchtlinge aufgenommen – wo soll denn | |
jetzt das Problem sein?“ Als Folge globaler Aggression bedauerte er am | |
meisten den Verlust der Leichtigkeit des Reisens. | |
F.C. Gundlach war weder progressiv noch reaktionär, sondern ein moderner | |
Epikuräer, der bildliche Suggestion als Spiel betrieb und auch als solches | |
verstand. Fotografie war für ihn Antrieb und Stil; schließlich eine | |
Lebensform und komplette Agenda. Er war vielleicht nicht immer froh und bis | |
zu einem gewissen Grad sogar einsam. Aber es war ein geglücktes Leben. F.C. | |
Gundlach starb mit 95 Jahren am 21. Juli 2021 in Hamburg. | |
25 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulf Erdmann Ziegler | |
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