# taz.de -- Fotoausstellung „Double Dialogues“: Ein Bild ist nicht genug | |
> In der Braunschweiger Fotoausstellung „Double Dialogues“ treffen zwei | |
> historische Fotografinnen mit zwei zeitgenössischen Künstlerinnen | |
> zusammen. | |
Bild: Vom Zirkus fasziniert: 1973 und 1974 fotografierte Ute Mahler ihre Serie … | |
Das [1][Braunschweiger Museum für Photographie] wurde im Jahr 1984 mit dem | |
durchaus selbstbewussten Anspruch gegründet, auch eine eigene Sammlung mit | |
regionalen Bezügen zusammenzutragen. Und in der Tat verfügt das Haus | |
mittlerweile über interessante Bestände, die im Stadtarchiv konservatorisch | |
gesichert lagern: Nachlässe des lokalen [2][Bildjournalisten Hans Steffens] | |
oder von [3][Nikolaus Geyer], historische Fotografien durch Ankäufe aus der | |
[4][Sammlung Robert Lebeck] oder auch Schenkungen, die vom Hannoveraner | |
[5][Heinrich Riebesehl] bis zum Kölner Boris Becker reichen, der nach einer | |
Ausstellungsbeteiligung eine Arbeit hinterließ. | |
Das Herzstück und der fotohistorisch bedeutendste Teil aber ist das | |
[6][Werkarchiv der Braunschweiger Fotopionierin Käthe Buchler] (1876–1930), | |
das dem Museum 2003 übergeben wurde: 1.000 Glasplattennegative, Rollfilme, | |
Dias ihrer Lichtbildervorträge, Abzüge in Alben sowie, als echte Rarität, | |
etwa 250 Autochrome, eine frühe Form der Farbfotografie. | |
Buchler, die als Industriellengattin über die finanziellen Mittel für ihre | |
umfangreiche fotografische Arbeit verfügte, verdichtete um den Ersten | |
Weltkrieg einen sozial empathischen Schaffensaspekt. Sie dokumentierte das | |
karitative Engagement des Bürgertums, in Braunschweiger Lazaretten, | |
Kinderheimen oder beim Sammeln von Wertstoffen wie Glas und Blechdosen. Sie | |
nahm die Verwerfungen, aber auch Innovationen, in den Blick, die der Krieg | |
auslöste und hinterließ: Frauen, die Männerberufe übernahmen, Engpässe in | |
der alltäglichen Versorgung und Käuferschlangen vor Geschäften, soziale | |
Segregationen ganz allgemein. | |
Ein Auszug aus diesem Komplex wurde zwischen 2017 und 2019, konzipiert als | |
[7][Wanderausstellung mit Partnern wie der Universität Birmingham], | |
erstmals außerhalb Deutschlands in mehreren britischen Städten gezeigt. | |
2019 erhielt das Museum ein weiteres, sehr fragiles Stück aus dem Nachlass | |
Käthe Buchlers: ein Märchenalbum aus Fotografien, die sie um 1909 im Studio | |
eines Braunschweiger Berufsfotografen in Szene setzte. Die Bilder von | |
Aschenbrödel und Co entstanden zu wohltätigen Zwecken für ein | |
„Krüppelheim“, so sei es der Beschriftung zu entnehmen gewesen, sagt | |
Museumsleiterin Barbara Hofmann-Johnson. Wie genau eine erlösbringende | |
Distribution erfolgte, gilt es noch zu erforschen, sie möchte das Album | |
gern restaurieren lassen und vielleicht ein Faksimile herausbringen. | |
Aktuell bot es ihr erst einmal Anlass zum mehrfach verschränkten Dialog | |
unter vier Fotografinnen unterschiedlicher Generationen und Ausrichtungen, | |
die sich aber alle, poetisch bis imaginativ, phantasievollen Bildentwürfen | |
und Gegenwelten widmeten. Ein thematischer Rundgang beginnt mit weiteren | |
Fotografien Buchlers, etwa ihres Sohnes Walter, der 1911 mit einem Freund | |
Cowboy und Indianer spielt, ganz im Geiste des allerdings schon etwas | |
abflauenden Westernkults um Buffalo Bill. | |
## Dekadenz mit Ananas | |
Aus der Sammlung des Museums stammt auch die exotisch anmutenden Szenerie | |
von [8][Julia Margaret Cameron] (1815–1879), fotohistorisch eine sogenannte | |
Kalotypie von etwa 1867: eine junge Frau, das Haar umkränzt wie Göttin | |
Flora aus der antiken Mythologie, präsentiert, einem Kunstobjekt gleich, | |
eine Ananas in einem Gefäß – damals ein Symbol für Reichtum, aber auch | |
Dekadenz. | |
Cameron verbrachte wesentliche Lebensjahre in den britischen Kolonien und | |
begann erst 48-jährig mit der Fotografie. Ihre stets mit einer Unschärfe | |
operierenden Porträts und Close-up-Nahaufnahmen – ein Umstand, der nicht | |
nur der damaligen Technik geschuldet war –, galten Prominenten oder | |
arbeiteten mit literarischen wie historischen Bezügen. Ein neues Medium | |
erkundete so seine Ästhetik, die viktorianische Gesellschaft ihre | |
kulturelle wie nationale Positionierung. | |
Der Aspekt des Märchenhaften wiederum interessierte [9][Ute Behrend], | |
Jahrgang 1961, in Braunschweig aufgewachsen und in Köln lebend, als vor | |
rund 20 Jahren ihre zwei Töchter ins entsprechende Alter kamen. Sie ging | |
nun mit aufgeklärter Distanz ans Werk: Jeder großformatig verträumten oder | |
malerischen Szene, etwa zwei Prinzessinnen in rosa Kleidchen vom Kölner | |
Karneval, stellt sie eine thematisch sachlichere Fotografie – Pflanzen, | |
Tiere, Phänomene des Alltags –, zur Seite, die narrativ oder formal | |
korrespondiert. Hatte sie anfangs lediglich befürchtet, sich mit dem | |
Märchenthema allein als professionelle Fotografin künstlerisch zu | |
diskreditieren, fand sie dann in dem Kunstgriff der Bildpaare eine | |
Herangehensweise, die sie fortsetzte. | |
## Fiktive Initiationsrituale | |
„Ein Bild ist nicht genug“, meint sie, zwei gehen einen konzentrierten | |
Dialog ein, drei wären bereits eines zu viel. Wie humorvoll dieser Dialog | |
geführt werden kann, zeigt Behrends Serie „[10][Cowboys]“. Was schnell zu | |
vordergründigen Männlichkeitsmythen gerinnen könnte, erhält durch den | |
Bildpartner eine feine Brechung. Ein knorriger Olivenbaum, eine | |
vertrocknete Landschaft oder eine im Bild angeschnittene schwarze Kuh | |
stellt sie zu stereotypen Westernbildern, aufgenommen etwa in den | |
Attrappendörfern, die Behrend seit 2017 in den USA, in der spanischen | |
Sierra Nevada oder auch im Harz besucht. | |
Für ihre Arbeit „[11][Bärenmädchen]“, entstanden zwischen 2015 und 2018, | |
erfand Behrend eine komplette Bildgeschichte, ausgehend von dem fiktiven | |
Initiationsritual eines indigenen Stammes. Pubertierende Mädchen werden | |
dort in große Bärenfelle gekleidet, gleichermaßen Empowerment wie Schutz | |
vor verfrühter Sexualisierung. Sie dürfen sich so in Ruhe entwickeln und | |
selbst bestimmen, wann sie das Fell ablegen und als erwachsene Mitglieder | |
des Stammes gelten, gar Kriegerinnen werden möchten. | |
Die sehr assoziativ angelegten Bildfindungen widmen sich einer sensiblen | |
weiblichen Lebensphase, früher stark tabuisiert, heute von fremden, | |
männlichen wie kommerziellen Projektionen bestimmt. Für diese Arbeit | |
erhielt Ute Behrend 2019 den ersten Preis im Julia Margaret Cameron Award | |
sowie den Fotobuchpreis in Bronze für das entsprechende Druckwerk. | |
Vierte im Bunde ist [12][Ute Mahler], Jahrgang 1949 und bekannte | |
Protagonistin einer künstlerisch eigenständigen Fotografie unter den | |
Bedingungen der DDR, etwa im Mode- und Kulturmagazin „[13][Sibylle]“. Für | |
ihre Abschlussarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig | |
begleitete sie 1973 über ein Jahr den Privatzirkus Hein, der, 1933 | |
gegründet, ab 1948 seine Arbeit im Osten Deutschlands wieder aufnehmen | |
durfte, bis er 2001 den Betrieb aufgab. Mahler gelang in ihrer realsozialen | |
Bildstudie der durchaus metaphorische Blick in die Mühen, aber auch | |
Freiheiten einer Parallelwelt, die in ihrem offiziellen Auftritt mit der | |
großen Illusion zu beeindrucken wusste. | |
6 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://www.photomuseum.de/ | |
[2] https://www.amazon.de/Hans-Steffens-Braunschweig-Presse-Dokumentarfotografi… | |
[3] /Nachlass-eines-ermordeten-Fotografen/!5303385 | |
[4] /Der-Praktiker/!1300142/ | |
[5] /Inka-Schube-Kuratorin/!5132882 | |
[6] /Historische-Fotografie/!5084247 | |
[7] https://www.voicesofwarandpeace.org/voices-activity/beyond-the-battlefields/ | |
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Julia_Margaret_Cameron | |
[9] http://utebehrend.de | |
[10] http://utebehrend.de/cowboys.html | |
[11] http://utebehrend.de/baerenmaedchen.html | |
[12] https://www.ostkreuz.de/fotografen/ute-mahler/ | |
[13] https://www.dw.com/de/wie-das-modemagazin-sibylle-frauen-in-der-ddr-pr%C3%… | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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