# taz.de -- Nachlass eines ermordeten Fotografen: Eine hochexplosive Gesellscha… | |
> Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt Bilder des 2005 | |
> ermordeten Fotografen Nikolaus Geyer, der seine Diplomarbeit, Beirut | |
> widmete | |
Bild: Ende der 1990er-Jahre in Beirut: Palästinenser haben Berufsverbot. | |
BRAUNSCHWEIG taz | Ende der 1990er-Jahre steckte die Hamburger | |
Wochenzeitung Die Zeit in der Krise. Gute Tageszeitungen wurden dicker, | |
produzierten ähnlich tiefgründige Themen – und das tagtäglich. Die Zeit | |
reagierte 1999 mit einen neuen Ressort: Leben. Es sollte ein Magazin im | |
Zeitungsformat herausbringen und mit anspruchsvoller, großformatiger | |
Farbfotografie punkten. | |
Schnell stieß ein vielversprechender Fotograf hinzu: Nikolaus Geyer, damals | |
der gefeierte Newcomer eines jungen deutschen Bildjournalismus. Schon seine | |
Diplomarbeit „Weder Freund noch Feind – Geschichten aus Beirut“ hatte 1998 | |
Aufsehen erregt und ihm zwei Auszeichnungen sowie Ausstellungsbeteiligungen | |
beschert. | |
Für diesen Foto-Essay, eine sensible Studie des nach langem Bürgerkrieg | |
wieder aufblühenden zivilen Lebens in der libanesischen Hauptstadt, hatte | |
er rund sechs Monate vor Ort gelebt. Ein Foto gelangte dann auch als | |
Doppelseite in die Zeit-Beilage. Geyer lieferte Titelbilder und hat zehnmal | |
für die Rubrik „Ich habe einen Traum“ Prominente aus der Politik ebenso wie | |
Sternchen des Showbusiness porträtiert. | |
Was machte diesen Fotografen aus, der, 1968 in Hannover geboren, in | |
Braunschweig aufwuchs und 2005, mit nur 37 Jahren, ermordet wurde? Dieser | |
Frage geht derzeit das Museum für Photographie in Braunschweig nach. Es | |
übernahm 2014 den fotografischen Nachlass Nikolaus Geyers. | |
Ein Team um die Leiterin Gisela Parak erschloss diesen während gut eines | |
Jahres. Es präsentiert nun in einer ersten Ausstellung das Beirut-Konvolut | |
mit modernen Prints in großzügiger Hängung und wagt mit bislang | |
unveröffentlichtem Material ein hypothetisches Psychogramm zur weiteren | |
künstlerischen Entwicklung. | |
Eine Kamera, die Geyer zur Konfirmation bekam, soll den Berufswunsch des | |
Fotografen geweckt haben. Das akademische Elternhaus tolerierte diese | |
Absicht des Sohnes, während die zwei Töchter, vollkommen standesgemäß, | |
Pfarrerin und Ärztin wurden. | |
## Verpöntes Farbmaterial | |
Nach dem Zivildienst studierte Nikolaus Geyer also Fotografie sowie | |
Kommunikationsdesign in Köln und an der Folkwangschule Essen (heute | |
Universität der Künste), hier bei Inge Osswald. Sie ermutigte ihre Schüler | |
zur künstlerisch erweiterten Dokumentarfotografie, auch im damals noch als | |
vulgär verpönten Farbmaterial. | |
Anders als in vielen Studiengängen, wo die Abschlussarbeit meist nur eine | |
lästige Pflicht ist, die nicht unmittelbar eine Karriere initiiert, vermag | |
in künstlerischen Disziplinen bereits ein relevantes, gut angelegtes und | |
durchgestandenes Thema das Interesse von Kuratoren, Sammlungen oder | |
Auftraggebern zu wecken. Nikolaus Geyer bereitete seine Diplomarbeit lange | |
und sorgfältig vor. | |
Aus Interesse, geweckt durch libanesische Freunde, wurde Faszination, | |
Kontakte nach Beirut wurden geknüpft. Dort vermochte er dann, sehr | |
systematisch und mit analytischer Klarheit, in die zwar irgendwie | |
befriedete aber nach wie vor hochexplosive Gesellschaft aus 16 Konfessionen | |
und unzähligen Ethnien einzudringen. | |
## Behutsam eingetaucht | |
Geyer ging dabei sehr behutsam vor, nahm die Kamera nie bei einem | |
allerersten Besuch mit, selten bei dem nächsten. Seine Auswahl von 88 Fotos | |
gliederte er für das Diplom in zehn Kapitel, jeweils mit einer prägnanten | |
Überschrift versehen. | |
Bereits im Titel des ersten Kapitels, „Wer baute das siebentorige | |
Theben?“,wurde Geyers Anliegen deutlich. Das Zitat aus Bertolt Brechts | |
„Fragen eines lesenden Arbeiters“ beschrieb seinen gleichfalls fragenden | |
Blick hinter die offiziellen Kulissen neuer (und alter) Machthaber, die er | |
in sozialen wie architektonischen Zuständen der Stadt widergespiegelt fand, | |
aber auch hinter die Konventionen des Dokumentarfotos. | |
„Wem gehört die Stadt?“, mögen heute Aktivisten in satten Metropolen | |
fragen. Im Beirut Ende der 1990er-Jahre stellte sich diese Frage für viele | |
existentiell. Palästinenser etwa waren lediglich geduldete Flüchtlinge, in | |
Elendsquartieren von Bildung und Arbeit ausgeschlossen. Nur die | |
Amerikanische Universität Beirut, eine private Elite-Einrichtung, nahm | |
Palästinenser als Schüler und Studenten an. Geyer widmete der als | |
stabilisierend empfundenen amerikanischen Kultur ein eigenes Kapitel, | |
ebenso ethnischen oder konfessionellen Gruppen und der erstarkenden | |
schiitischen Hisbollah. | |
Er fotografierte aber auch einzelne Persönlichkeiten, so den deutschen | |
Botschafter, nebst Gattin und Kleinkind im schicken Ambiente eines | |
Dachterrassenhauses residierend. Als dieses Foto doppelseitig in der | |
Zeit-Beilage erschien, irritierte es auf mehrschichtige Weise: dieser | |
leicht dekadente Luxus inmitten einer kriegsgebeutelten Stadt, die von den | |
internationalen Medien bereits wieder vergessen war! | |
Für einen nicht mehr abgeschlossenen freien Werkzyklus recherchierte | |
Nikolaus Geyer ab 2000 in Japan. Hier interessierte ihn die Mischung aus | |
„High-Tech und Ostzone der 1960er-Jahre“, wie er dazu einmal sagte. Und er | |
erkannte eine spezifische Diskretion in der alltagskulturellen | |
Kommunikation: „die japanische Haut“. | |
Der Begriff wurde seine Metapher für die feine Grenze, die er hier als | |
Fremder, anders als in Beirut, nicht durchdringen konnte oder wohl auch | |
nicht wollte, und die er in seinen Fotos respektierte. Menschen und | |
Architektur sind nun erkennbar inszeniert, mitunter leicht skurril | |
verfremdet. | |
Michael Biedowicz, langjähriger Bildredakteur der Zeit, betonte bei der | |
Ausstellungseröffnung in Braunschweig den tiefgründigen Humor, mit dem | |
Nikolaus Geyer immer wieder das Vertrauen auch schwieriger Porträt-Partner | |
zu gewinnen vermochte – und das er nie visuell ausbeutete, wie jeder sehen | |
kann. | |
24 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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