| # taz.de -- Ausstellung „Zonenrandgebiet“: Vom Leben am Rand | |
| > Vom „Grünen Band“ bis Nordkorea: Das Braunschweiger Photomuseum | |
| > beschäftigt sich mit Grenzen und dem einstigen „Zonenrandgebiet“. | |
| Bild: Früher Grenzübergang, heute Gedenkstätte: Ansgar Marx’ zeigt den „… | |
| Braunschweig taz | Wortwörtlich alle Jahre wieder veranstaltet das | |
| Braunschweiger Museum für Photographie seine Mitgliederausstellung. In ihr | |
| ging es auch schon mal ganz konkret ums weihnachtliche Befinden, aber | |
| ebenso um die Eintracht (nicht nur als lokalen Fußballverein) sowie | |
| Zwietracht – oder es wurde gar kein inhaltlicher Bezugspunkt gesetzt. | |
| Dieses Jahr stehen 30 Jahre Mauerfall im Blickpunkt, in Braunschweig ja ein | |
| Thema mit großem Erinnerungspotenzial. Denn für die strukturschwache Region | |
| bedeutete die Lage im sogenannten Zonenrandgebiet zwar einerseits hoch | |
| willkommene Finanzspritzen aus dem Sonderabschreibungs- und | |
| Investitionsförderprogramm der Bundesregierung, andererseits aber auch ein | |
| kaum zu überschätzendes großes Trauma. Die so martialisch wie grotesk | |
| gesicherte, unüberwindbare Grenze der DDR beschnitt der Stadt nicht nur ihr | |
| historisches Hinterland: [1][Man fühlte sich hier stets ein wenig wie am | |
| Ende der Welt, mit dem Rücken zur Wand.] | |
| Allerdings wird wohl keine*r der ab den 1980ern Geborene*n dieses | |
| Lebensgefühl nachempfinden können. Und auch tief im Westen der alten BRD | |
| herrschten zwar jede Menge Probleme, aber halt anderer Art. Ganz zu | |
| schweigen vom Leben jenseits der Grenze in der DDR. So fallen dann die | |
| Bildbeiträge der 28 Mitglieder, die nach einem Workshop und einer Jurierung | |
| nun in die Ausstellung fanden, höchst unterschiedlich aus – je nach Alter, | |
| biografischem Bezug, Prägung Ost oder West. Getragen wird das Museum für | |
| Photographie von einem Verein, dem Berufsfotografen, Amateurlichtbildner | |
| und interessierte Laien angehören, sowohl regional Ansässige wie | |
| Auswärtige: Auch das spiegeln die Ausstellungsbeiträge wieder. | |
| Geradezu klassisch und naheliegend ist der Blick in die Anlagen der DDR zur | |
| Kontrolle der Ein- und Ausreise, meist ja zwecks Transits von und nach | |
| Westberlin. Der heute als Gedenkstätte umgewidmete Grenzübergang Marienborn | |
| war der höchstfrequentierte, denn er gewährte die kürzeste und mit | |
| Westmitteln gut ausgebaute Strecke durch die DDR nach Berlin. In seinem | |
| letzten Expansionsstadium Mitte der 1980er-Jahre besetzte er eine Fläche | |
| von 35 Hektar, allein zwischen 1984 bis zum Mauerfall wurden hier zehn | |
| Millionen Autos und fünf Millionen Lastwagen abgefertigt, insgesamt waren | |
| es wohl 35 Millionen. | |
| ## Mit dem Rücken zur Wand | |
| Ungefähr tausend Bedienstete waren hier tätig, ein Drittel von ihnen wohl | |
| auch als IM für die Stasi: Die Kontrolleure wurden also selbst | |
| kontrolliert. Dieses beklemmende Klima versucht die Gedenkstätte | |
| aufzuzeigen, Ansgar Marx nahm sie 2019 in aktuellen Augenschein. Und fand | |
| neben dem allgegenwärtigen Porträt des SED-Generalsekretärs Erich Honecker | |
| auch penible Dienstanweisungen. | |
| Die fast 1.400 Kilometer lange innerdeutsche Grenze forderte über die Jahre | |
| Todesopfer, man schätzt ihre Zahl auf 800. Herbert Döring-Spengler widmet | |
| ihnen – und weiteren, statistisch wohl nie offiziell Erfassten – ein | |
| Gedenken. Er vermerkt in seiner fotografischen Überblendearbeit etwa | |
| Todesfälle wie „Herzinfarkt während der Kontrolle“. | |
| Die Grenze war ein auch psychologisch hoch komplexes System aus mehreren | |
| „Schutzstreifen“ sowie einem fünf Kilometer breiten Sperrgebiet auf Seiten | |
| der DDR. Dörfer oder Einzelbauten, die hier lagen, mussten meist aufgegeben | |
| werden, ihre Bausubstanz wurde dem Verfall überlassen. | |
| So auch das Renaissanceschloss auf mittelalterlicher Burg und seine | |
| barocken Wirtschaftsgebäude in Harbke, westlich von Marienborn. Den | |
| verfallenden vormaligen Besitz der Familie von Veltheim dokumentierte die | |
| Braunschweigerin Bettina Akinro zwischen 1989 und 1991, heute ist er nur | |
| noch eine einsturzgefährdete Ruine. Lediglich der gehölzkundlich bedeutende | |
| Schlosspark und eine spätklassizistische, künstlich angelegte Turmruine | |
| erschienen der gesamtdeutschen Denkmalpflege erhaltbar. | |
| Der pittoreske Bauverfall in der DDR zog nach der Grenzöffnung westliche | |
| Katastrophentouristen an. Michael Ewen fand 1989 in Halberstadt noch | |
| komplette, wenngleich verwaiste Straßenzüge mit Fassaden, Türen und | |
| Reklamen auf Vorkriegsniveau. Auch von diesen beklagenswerten Architekturen | |
| musste nach der Wende so manches weichen, und sei es nur einem großen | |
| Stellplatz für Wohnmobile unterhalb des Dombereichs. | |
| Mehr Glück hatten da die Bauhausbauten in Dessau. Henrike Junge-Gent nahm | |
| sie 1991, während ihrer Dienstzeit als abgeordnete niedersächsische | |
| Beamtin, ins Visier. Selbst die Meisterhäuser, in denen Gropius und | |
| Kolleg*innen einst logierten, sind pünktlich zum diesjährigen | |
| Bauhaus-Zentenarium ja wiederauferstanden, zum Teil aus wahren Ruinen. | |
| Versöhnlich will sich das „Grüne Band“ auf der ehemaligen innerdeutschen | |
| Grenze über all diese Erinnerungen legen: Das ökologische Vorzeigeprojekt | |
| des BUND, ein Refugium für mehr als 1.200 seltene und gefährdete Pflanzen- | |
| und Tierarten, inspirierte gleich mehrere Fotograf*innen. Wer das Auge | |
| offen hält, findet Relikte der ehemaligen Funktion, etwa die Doppelreihen | |
| aus Betonplatten, den sogenannten Kolonnenweg. | |
| Es gibt weiterhin Nationen, die geteilt sind, am präsentesten ist wohl | |
| Korea. Leonhard Hofmann schaute vom Berge Inwangsan auf Seoul, die | |
| Hauptstadt Südkoreas. Von hier sind es etwa 60 Kilometer bis zum Reich Kim | |
| Jong-uns, also Nordkorea. Die angetroffenen Soldaten beobachten somit nicht | |
| die Grenze, sondern die eigene Stadt, die eigenen Landsleute. Südkorea gilt | |
| laut Demokratieindex als „unvollständige Demokratie“, besonders wegen | |
| Defiziten in seiner politischen Kultur, verboten sind auch Informationen | |
| aus dem Norden. | |
| Den ganz persönlichen Zonenrandgebieten widmet etwa Andreas Bormann höchst | |
| humorvolle Alltagsstillleben: Müll neben japanisch anmutender Akkuratesse, | |
| Vegetation neben versiegeltem Boden und kleine Spiegelflächen zur | |
| Selbsterkenntnis. | |
| 18 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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