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# taz.de -- Fotografie zwischen Fiktion und Realität: Im Bett mit Monsieur Bov…
> Bilder, die eher Rätsel aufgeben, als etwas zu erklären: Das Photomuseum
> in Braunschweig zeigt „Illusionen der Beobachtung“.
Bild: Spiel mit Geschlechterrollen: Daniela Comani ist auf ihren Fotos Gatte un…
Braunschweig taz | Das meint man visuell ja zu erinnern: Bilder von lange
zusammen seienden und gemeinsam alternden Lebenspartnern, die sich
physiognomisch und körperlich so stark angleichen, dass sich selbst
Geschlechterunterschiede aufzuheben scheinen. Mit diesem
sozial-psychologischen Phänomen operiert die Fotokünstlerin [1][Daniela
Comani] in ihrer seit 2003 betriebenen Langzeitserie „[2][Eine glückliche
Ehe]“. Allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Comani schlüpft in
die Rolle der Ehefrau und des Mannes, kombiniert ihre situativen Momente in
ausgetüftelter Digitaltechnik zu stimmigen Settings.
So setzt sie dem in konservativen Kreisen ja gern beschworenen
„Gender-Wahnsinn“ subtil beobachtete Alltäglichkeiten entgegen, die
humorvoll mit Rollenbildern und geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen
spielen.
Im Supermarkt etwa prüft der Mann schon mal das Spirituosenangebot, während
die Frau sich hinter ihm noch mit dem sperrigen Einkaufswagen abmüht. Im
Büro sitzt sie am Telefon, er konzentriert sich am Computer. Und im Bett
liest er „Monsieur Bovary“ von Gustave Flaubert, sie Hemingways „The old
Woman and the Sea“.
Wobei: diese Titel? Auch das war eine Serie von Comani: Ihre
„[3][Neuerscheinungen]“, nämlich in der Mann-Frau-Subjektzuweisung
revidierte Originaleinbände von Literaturklassikern – eben so etwas wie
„Die Frau ohne Eigenschaften“ oder „Die Schwestern Karamasow“ – gab s…
2009 in Buchform heraus, und lieferte so eine hintersinnige Visualisierung
zu Judith Butlers „Unbehagen der Geschlechter“.
Die 1965 in Bologna geborene, seit den 1990er-Jahren in Berlin lebende
Daniela Comani ist derzeit eine von drei Künstlerinnen, die Barbara
Hofmann-Johnson zu einer gemeinsamen Ausstellung in das [4][Museum für
Photographie in Braunschweig] eingeladen hat, das sie seit nun fast vier
Jahren leitet.
Mit dabei ist zudem die Finnin [5][Sanna Kannisto], 1974 geboren,
Absolventin der „[6][Helsinki School]“, jener renommierten Abteilung für
Fotografie der Aalto-Universität, und in der Hauptstadt ansässig, sowie als
Jüngste [7][Kata Geibl]. Sie kam 1989 in Budapest zur Welt, studierte dort,
in Helsinki sowie in den Niederlanden und lebt seitdem teils in Den Haag.
Die drei Fotokünstlerinnen nehmen sich aus unterschiedlichem Blickwinkel
traditioneller Aufgaben der Fotografie an, die sie sehr frei
interpretieren. Da wäre, wie im Falle Comanis, die empirische Erfassung,
nicht nur sozialer Zustände. Comani hat in einer neuen Serie 360 Luftbilder
von Städten weltweit zusammengestellt und in alphabetischer Folge der
Ortsnamen an den Wänden installiert, die dazugehörige, fast 800 Seiten
starke Publikation „[8][Planet Earth: 21st Century]“ liegt aus.
## Ansichtskarten vom Satellit
Die Aufnahmen von schräg oben auf markante Bauten und von Menschen
bereinigte, städtische Situationen sind einschlägigen Bildsystemen von
Apple und Google entnommen, digital bearbeitet und in SW-Postkarten
transformiert.
Die moderne Aufnahmetechnik per Satellit, bildkulturell ziviler Nachfolger
der Luftaufklärung militärischen Ursprungs, wird so zu antiquiert
anmutender Luftbildfotografie, wie sie etwa Nadar bereits 1863 aus dem
Heißluftballon unternahm. Und natürlich zum alten Kommunikationsmittel der
Ansichtskarte, das einen Vorort-Besuch suggerieren wollte. Allerdings
irritieren die geringe Auflösung und die mitunter nur schemenhafte
Detailqualität der modernen Postkarten – kein ambitionierter Fotograf hätte
jemals so etwas abgeliefert.
Sanna Kannisto, der gerade in ihrer Heimatstadt eine große
Einzelausstellung gewidmet ist, orientiert sich an der reichen Tradition
wissenschaftlicher Fotografie. Kannisto nimmt seit Langem an
naturkundlichen Expeditionen auch in exotische Regionen teil, immer ihr
kleines mobiles Studio dabei, und arbeitet an ihrem ganz eigenen Bildfundus
zu Flora und Fauna.
Grundsätzlich interessiert sie, wie die Natur in Wissenschaft und Forschung
dargestellt wird. Denn auch die vermeintlich objektivierende
Inventarisierung ist nicht frei von subjektiven Sichten.
In ihrem Studio gewährt Kannisto Fledermäusen, Insekten und Reptilien,
besonders aber Vögeln die nötige Ruhe und Zeit, sich auf bizarrem Astwerk
zu platzieren, das sie bewusst artifiziell mit technischen Hilfsmitteln
arrangiert. Die Vögel bestimmen ihren eigenen Rhythmus, finden ihren
individuellen Platz und werden so zu Co-Autoren der Fotografien. Immer ist
ein Teil des Studioaufbaus zu erkennen, um die Konstruktion bekannter
Darstellungsmethoden der Naturkunde aufzuzeigen: Perfekt inszenierte, vor
neutral weißem Hintergrund freigestellte Objekte stehen im Zentrum auch der
Bilder Kannistos.
## Sisyphusarbeit
Kata Geibl arbeitet ebenfalls mit wissenschaftlichen Versuchsaufbauten,
zumindest aber dem Anschein solcher. In ihrer Serie „Sisyphus“ sind es etwa
die Akustikauskleidung eines Tonstudios oder das wundersame Interieur eines
naturkundlichen Museums, die eher Rätsel aufgeben, als dass sie etwas
erklären. Die malerische Hängung der Serie verrät zudem mehr von ihrer
erzählerischen Absicht, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zum
Fließen zu bringen.
Die Kamera sehe mehr als das menschliche Auge, so Geibls Credo, sie liefere
vor allem auch die Erfahrung gefährlicher Momente, etwa einer
Atombombendetonation aus sicherer Distanz. Was ist derartige Anschauung
aber mehr als eine Realitätsvermutung? Und die menschliche Beobachtung mehr
als eine Illusion, wie der Ausstellungstitel die fotografischen Praktiken
der drei Künstlerinnen subsummiert?
16 Jul 2020
## LINKS
[1] http://www.danielacomani.net/
[2] https://www.amazon.de/Eine-gl%C3%BCckliche-Ehe-Marriage-matrimonio/dp/39059…
[3] https://www.amazon.de/Neuerscheinungen-hrsg-von-Daniela-Comani/dp/390550978…
[4] https://www.photomuseum.de
[5] https://www.sannakannisto.com/
[6] /Ausstellung-finnischer-Fotokunst/!5657965/
[7] http://www.katageibl.com/
[8] https://www.amazon.de/Planet-Earth-Century-Daniela-Comani/dp/8899385726
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
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