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# taz.de -- Ausstellung Dokumentarfotografie: Verantwortungsvolle Fotos
> Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt preisgekrönte
> Dokumentar-Fotografie, die das Genre sehr weitläufig auslegt.
Bild: Malte Wandel legt in seiner Arbeit ein Archiv der Vertragsarbeiterinnen d…
BRAUNSCHWEIG taz | Ein Klassiker im Programm des Braunschweiger Museums für
Photographie ist alle zwei Jahre die [1][Ausstellung zu dem renommierten
Förderpreis Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung]. Seit 1994 in
Zusammenarbeit mit der Fotografischen Sammlung des Museums Folkwang Essen
ausgeschrieben, können sich AbsolventInnen deutscher Hochschulen bewerben.
Vier von ihnen werden mit einer Projektförderung prämiert, sie dürfen dann
ein selbst gewähltes Thema in Angriff oder eine begonnene, aufwendige
Arbeit vollenden.
Die Ergebnisse werden zu einer Wanderausstellung mit Katalog
zusammengestellt, derzeit touren die Preisträger der 11. Auslobung von
2015. Seit Ende 2017 arbeiten aber bereits die nächsten vier an ihren
Projekten. Unter ihnen: die Südkoreanerin Jiwon Kim, sie konnte mit ihrer
poetischen Abschlussarbeit an der Hochschule für Bildende Künste
Braunschweig in der 12. Jurierung punkten.
So vielfältig wie die Teilnehmerschar ist mittlerweile auch ihre Auslegung
des Begriffs „Dokumentarfotografie“. Denn wer bei diesem Genre an Heroen
wie Walker Evans oder Dorothea Lange denkt, die nach der
Weltwirtschaftskrise von 1929 in staatlichem Auftrag die ärmlichen
Lebensverhältnisse in den ländlichen Regionen der US-Südstaaten
aufzeichneten – im Falle Evans mit nahezu unmenschlich innerer Distanz –,
muss seine Vorstellung erweitern. Das betrifft nicht nur einen sich stärker
subjektiv ermächtigenden und künstlerischen Bildzugriff der jungen
Generation, sondern auch ihre Techniken.
Seit [2][dem letzten Förderpreis-Durchgang] etwa zählt die Präsentation als
audiovisuelle Installation zum Repertoire. In diesem kommen die
großformatige „Tapete“ und das filmische Bewegtbild hinzu. Und: im
Nachhinein stellte sich erstmals ein verbindendes Thema für die vier
Ansätze heraus. „The Voids“, also Lücken oder Leerstellen bestimmten die
Sichtweisen der in den 1980er Jahren geborenen BildautorInnen.
Am sinnfälligsten zeigt sich dieses Phänomen in dem 2-Kanal-Video „We can“
von Alina Schmuch, zusammen mit Franca Scholz. Wer Angela Merkels freie
Transformation des Barack Obama-Slogans zu „Wir schaffen das“ assoziiert,
liegt inhaltlich schon mal richtig.
Die Arbeit zeigt HelferInnen, HandwerkerInnen und Orte, die sich 2015 auf
die Ankunft von Flüchtlingen einstellen. Diese sieht man dann aber während
der gesamten 16-minütigen Dauer der Projektionen kein einziges Mal,
allenfalls ist eine physische Existenz mittels Kameraschwenk über 1.000
drangvoll belegte Boxen im Hangar Tempelhof spürbar. Die Menschen sind
dabei also vor allem abwesende Subjekte der Fürsorge und Auseinandersetzung
– bis hin zum fremdenfeindlichen Pegida-Aufmarsch in Dresden.
## Per Slide-Show durch den Kosovo
Die Schweizerin Susanne Hefti, Absolventin der Folkwang Uni Essen, fuhr für
ihre zweiteilige Slide-Show durch den Kosovo. Das kleine Land mit nicht
einmal zwei Millionen Einwohnern kann ein Netz nagelneuer Autostraßen eines
amerikanisch-türkischen Investors aufweisen, als „Highway to the Future“
von ihm beworben. Daran reihen sich sagenhafte 1.500 Tankstellen. Sie
firmieren unter fantasievollen Mineralölnamen: „Exfis“, „Ilirian“, „…
oder „Sophia-Petrol“, „Beki-“ oder „Bingo-Benz“.
Sie machen in der Regel einen gepflegten Eindruck, mit kleinen Grünflächen
und Blumenrabatten. Auffällig: meist ist kein Benzinpreis ausgewiesen,
selten sieht man ein tankendes Auto. Dafür häufig ein Motel nebenan: Orte
der Prostitution, Geldwäsche, des Menschenhandels, der organisierten
Kriminalität eines „Human Trafficking“. In ihrer begleitenden Tonspur
erzählt Hefti von Anmachen kosovarischer Männer auf diesen Straßen,
versucht, ihnen romantische Aspekte abzugewinnen.
## Isolierte „Madgermanes“
Malte Wandel aus München hat ein komplettes Archiv aus Fotos und
persönlichen Dokumenten zu sogenannten VertragsarbeiterInnen angelegt, die
ab 1979 aus dem sozialistischen Bruderstaat Mozambique in die DDR kamen.
Über die Jahre waren es 16.000 der in ihrer Heimat [3][als „Madgermanes“
Bezeichneten], sie lebten bis zur Wiedervereinigung isoliert und kaum
öffentlich wahrgenommen in Berlin, Halle oder Dornburg an der Saale. Um die
Hälfte ihres Lohnes betrogen, der, statt in Mozambique angespart,
Staatsschulden tilgte, verbindet sie seit ihrer Rückkehr ein hoher
Organisierungsgrad beim Eintreiben ihrer Außenstände, die Erinnerung – und
die Tristesse der Arbeitslosigkeit.
Eine dokumentaristische Auslegung des Porträts steuert Andrzej Steinbach
bei. Der gebürtige Pole folgt einer These des Soziologen Ulrich Bröckling,
dass eine Gemeinschaft dreier Personen bedarf, um als solche zu
funktionieren. Wie schon in einer vorherigen Arbeit, dem 2015 im Sprengel
Museum Hannover ausgestellten Projekt „Figur I, Figur II“, lässt er nun
drei markante Protagonistinnen in einer ausgeklügelten Choreografie in
unterschiedliche Business- und Streetwear schlüpfen, will so die Ambiguität
von persönlicher Aura und äußeren Attributen vorführen.
Das erinnert an den großen Porträtisten August Sander, der in den 1920er
Jahren allerdings noch daran glaubte, dass der Habitus eines Menschen von
seinem gesellschaftlichen Status zeugt. Steinbach arbeitet mit dem wohl
offensten System der vier Ausstellenden, seine, wenngleich eindringliche,
fotografische Perfektion legt keine Deutungserschließung mehr nahe.
Gleichwohl wünschte man sich die neuerliche Engführung des Begriffs
„Dokumentarfotografie“. Sie ist laut Museumsleiterin Barbara
Hofmann-Johnson sowohl ein Genre, als auch eine gesellschaftsorientierte
Bildsprache, eine fotografische Haltung. Und der käme angesichts
massenmedial verbreiteter Fake-News eigentlich eine immens aufklärerische
Bedeutung, vor allem: Verantwortung zu.
7 Aug 2018
## LINKS
[1] https://www.wuestenrot-stiftung.de/veranstaltung/ausstellungseroeffnung-dok…
[2] /!5281974/
[3] /!5475457/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
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