| # taz.de -- Foto-Ausstellungsreihe „True Pictures?“: Die Vorreiter:innen | |
| > Die Ausstellungsreihe „True Pictures?“ zeigt in Hannover, Wolfsburg und | |
| > Braunschweig drei Generationen von Fotokünstler:innen aus Nordamerika. | |
| Bild: Schön-schaurig inszenierte Gefühlswelten: Arbeit von Gregory Crewdson, … | |
| Fotografie aus Nordamerika: Da erinnert man Porträts hoher Militärs und | |
| Bilder getöteter Soldaten, die während des Sezessionskrieges aufgenommen | |
| wurden. Dieser Krieg ist ja einer der ersten, der auch fotografisch | |
| dokumentiert wurde – auf aufwändige und gefährliche Weise, weil | |
| Dunkelkammerwagen mit dem Pferdegespann über die Schlachtfelder manövriert | |
| werden mussten. | |
| Einer gewissen Nationalheroik im Abbild, so scheint es, blieb die | |
| amerikanische Fotografie seitdem treu: in den Landschafts- und Naturbildern | |
| eines Ansel Adams etwa, in den sozialdokumentarischen Erfassungen während | |
| der Weltwirtschaftskrise durch Walker Evans und Dorothea Lange oder auch in | |
| den „man altered landscapes“ der New Topographics um Robert Adams, Lewis | |
| Baltz oder Stephen Shore in den 1970er-Jahren. Danach feierte die | |
| europäische Fotografie ihren fulminanten Einzug in hiesige Museen, | |
| Sammlungen oder Kunstschauen. Das ging zu Lasten der Wahrnehmung | |
| amerikanischer Positionen und ihrer Vorreiterrolle für viele Formen der | |
| Fotografie. | |
| Es ist also an der Zeit, mit systematischen Überblicken und ausgewählten | |
| Einzelpositionen der Entwicklung seit den 1980er-Jahren, aber auch ganz | |
| aktuellen Ambitionen nachzuspüren. Diese Arbeit leistet nun die dreiteilige | |
| Ausstellungsreihe „True Pictures?“ in Hannover, Wolfsburg und Braunschweig. | |
| Das Fragezeichen im Titel darf dabei als gesunde Skepsis gegenüber der | |
| authentischen Abbildqualität der Fotografie nicht erst in Zeiten digitaler | |
| (Post-)Produktion, medialer Verwertungszusammenhänge oder gar Fake-News der | |
| Ära Trump gelesen werden. | |
| Das Sprengel-Museum in Hannover zeigt derzeit 339 teils äußerst | |
| großformatige Bilder oder Serien von 36 Fotokünstler:innen – eine | |
| Bestandsaufnahme dreier Generationen nordamerikanischer Fotografie. Zu dem | |
| gemeinsamen Kulturraum zählt Kurator Stefan Gronert auch Kanada, im | |
| Gegensatz zu Mexiko oder den karibischen Staaten. | |
| Dieser Zusammenschluss scheint selbstverständlich, trifft man bereits in | |
| der ersten betrachteten Generation doch auch auf die Großformate und | |
| Leuchtkästen von Jeff Wall. Er wurde 1946 in Kanada geboren, gilt als | |
| Begründer einer informellen Vancouver School, zu der auch weitere in | |
| Hannover gezeigte Fotografen wie Rodney Graham, oder Stan Douglas gehören. | |
| Ihre Werke wurden in Europa allesamt als „amerikanisch“ rezipiert, ihre | |
| Pionierfunktion in der Etablierung der Farbfotografie und der Großformate | |
| gewürdigt. Zur ersten Generation zählen auch die in Europa gut bekannten | |
| und in Sammlungen vertretenen US-Amerikanerinnen Cindy Sherman oder Sherrie | |
| Levine. Sie sind Teil einer Appropriation Art, die mit kunsthistorischen | |
| Rückgriffen Kategorien wie Urheberschaft und künstlerische Originalität | |
| infrage stellt: Sherman mit ihren Selbstporträts in fiktiven Szenen aus | |
| Film, Genremalerei oder Zirkus, Levine mit abfotografierten Fotografien von | |
| Eugène Atget bis Walker Evans. | |
| Zur zweiten, in Europa unbekannteren Generation, die nicht erst durch die | |
| Digitalisierung das autonome Bild weitertreibt, zählt etwa Gregory | |
| Crewdson, 1962 in New York geboren. In Hannover ist er noch durch seine | |
| Deutschlandpremiere, 2005 im Kunstverein, in Erinnerung, seine penibel | |
| inszenierten schön-schaurigen Großformate reflektieren menschliche | |
| Gefühlswelten, die zivilisatorische Verlorenheit oder elementare | |
| Bedrohungsängste. Mit wenigen prominenten Ausnahmen wurden beide | |
| Generationen durch weiße männliche Akteure und Sichtweisen dominiert, erst | |
| die jüngste Fotograf:innen-Generation der nach 1970 Geborenen ist so divers | |
| wie die nordamerikanischen Gesellschaften, die sie fotografisch | |
| widerspiegeln. | |
| Sie thematisiert die Diskriminierung afroamerikanischer Bevölkerungsanteile | |
| und Fragen ethnisch kultureller Identität, die Marginalisierung sozial | |
| Benachteiligter, bezieht feministische Positionen. Taryn Simon etwa | |
| porträtiert in einer eindrucksvollen Serie zu Unrecht Verurteilte, die | |
| mitunter jahrzehntelang unschuldig für Mord, Vergewaltigung oder Raub in | |
| Haft sitzen mussten. Die 1975 in New York Geborene zählt sicher zu den | |
| Entdeckungen in Hannover. | |
| Bemerkenswert ist aber auch, dass die beklemmenden Innenraummonumente von | |
| Vikky Alexander, die der zweiten Generation zugerechnet wird, oder die | |
| inszenierten Selbstporträts der Indigenen Meryl McMaster, eine Vertreterin | |
| der dritten Generation, erstmals im musealen Kontext in Europa zu sehen | |
| sind; beide kommen aus Kanada. | |
| Zur dritten Generation, und in Hannover mit drei Fotos beteiligt, zählt | |
| auch die Schwarze US-amerikanische Fotografin LaToya Ruby Frazier, der das | |
| Kunstmuseum Wolfsburg eine Einzelausstellung mit 150 Fotografien und Videos | |
| widmet. Frazier, 1982 in einer Stahlarbeiterstadt in Pennsylvania geboren, | |
| stellt sich in die Tradition einer sozialdokumentarischen | |
| Schwarz-Weiß-Fotografie der USA. Sie hat hautnah den Untergang der | |
| Industrien im Rust Belt erlebt, die gesellschaftlichen Erosionen und | |
| existenziellen Nöte der Menschen. Sie verdichtet daraus, teils durch Texte | |
| ergänzte Bilderzählungen, bleibt für lange Zeit an der Seite ihrer | |
| Protagonist:innen. Frazier beschränkt sich aber nicht auf das anklagende | |
| Dokument, sie stellt ihre Arbeit in den Dienst politischer Forderungen. | |
| Ihre Methodik ist eine Symbiose aus Kunst und Aktivismus: für sauberes | |
| Trinkwasser an einem ehemaligen Standort von General Motors, für die Rechte | |
| der Arbeiter:innen, für elementare Menschenrechte und soziale | |
| Gerechtigkeit. Auch in einer belgischen Bergbauregion begleitet sie seit | |
| 2016 das Schicksal südeuropäischer und türkischer Arbeitsmigrant:innen, | |
| erzählt von vielen Corona-Opfern in den prekären Lebensverhältnissen. | |
| Das Museum für Photographie in Braunschweig flankiert mit fünf | |
| amerikanischen Fotograf:innen, die zwischen 1938 und 1980, teils nicht in | |
| den USA, geboren wurden. Gleichwohl scheinen sie repräsentativ für eine | |
| nationale Bildproduktion, die von gradlinig klassischen, schwarz-weißen | |
| Landschaftsbildnissen eines Owen Gumps bis zu ganz freien, auch | |
| fotogrammetrischen und kameraunabhängigen, farbintensiven Experimenten | |
| durch Ketuta Alexi-Meskhishvili reichen. 1979 in Tblisi geboren, ist sie in | |
| New York aufgewachsen, lebt aber seit Jahren in Berlin – und empfindet | |
| trotzdem als Amerikanerin. | |
| 22 Nov 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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