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# taz.de -- Fotografie-Ausstellung in Braunschweig: Poesie statt Plakativität
> Im Braunschweiger Museum für Photographie beschäftigen sich acht junge
> Künstler:innen mit Protestkulturen und digitalen Bildwelten.
Bild: Kirche vs Kohle: Der Immerather Dom muss dem Braunkohletagebau Garzweiler…
Braunschweig taz | „Drücken Sie den Home-Button zum Entsperren“, liest man
auf Kyrillisch im Display von Igor Samolets Mobiltelefon. Als wechselnde
Hintergrundbilder verwendet der Moskauer Fotograf ganz offensichtlich gerne
Szenen mehr oder weniger aktiven Aufbegehrens. Da wären behelmte
Sicherheitskräfte und Menschen hinter Absperrgittern, Partytreiben auf dem
alten Parkett einer Wohnung oder das kleine Putin-Foto, das irgendjemand
achtlos zwischen zwei Fensterflügel geklemmt hat.
Der 1984 in der russischen Provinz geborene Samolet hat unter anderem an
der Moskauer Rodchenko-Schule für Fotografie und Multimedia studiert. Er
heimste in den vergangenen Jahren einige Auszeichnungen in der Schweiz ein
sowie bereits 2014 den Deutschen Fotobuchpreis in Silber für sein Bild-,
Text- und Grafikopus „Be happy!“.
Derzeit ist er einer von acht jüngeren Künstler:innen oder
Noch-Studierenden, die das [1][Museum für Photographie in Braunschweig] für
eine Querschnittsschau zu Protestkulturen und digitalen Bildwelten
eingeladen hat. Samolet hat dafür einige stark vergrößerte Handy-Fotos
seiner Serie „Cuddle Porn“, deutsch: Kuschel-Porno, recht simpel auf
Styroporblöcke aufgezogen und zu einer äußerst uneitlen Installation direkt
auf dem Fußboden arrangiert.
Als Kurator:innen der Ausstellung bestätigten sich die beiden
wissenschaftlichen Mitarbeitenden Franziska Habelt und Finn Schütt, vom
Alter her in der Generation der Ausstellenden zu Hause. Sie gingen
aktuellen gesellschaftlichen, aber auch ganz persönlichen Umbruchprozessen
nach, die sich in unterschiedlichen Formen dokumentierender Fotografie
niederschlagen. Diese Sparte der Fotografie hat im Braunschweiger Haus
ihren festen Platz, zyklisch etwa werden die prämierten Arbeiten des
Förderpreises Dokumentarfotografie der Wüstenrotstiftung gezeigt. Die
Preisschau fiel im Frühjahr 2020 allerdings dem ersten Coronalockdown zum
Opfer.
## Kamera als Waffe
Aber auch die „Kamera als Waffe“ gegen gesellschaftliche und politische
Missstände, wie sie der Schwarze US-amerikanische Fotograf Gordon Parks
verstand, hat eine Tradition im Museum. So verweisen die beiden
Kurator:innen auf das umfangreiche Ausstellungsexperiment „Kairo.
Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution“, das 2012 den Blick
auf die Digitalfotos sozialer Netzwerke während der so genannten
„Twitter-Revolution“, dem arabischen Frühling, richtete, ihre Rolle in der
politischen Mobilisierung untersuchte, aber auch den repressiven
Umkehrschluss in den Kontroll- und Propagandamechanismen staatlicher
Instanzen.
Von der deutschen Sektion des internationalen Kunstkritikerverbandes zur
„[2][Ausstellung des Jahres] 2013“ gewählt, machten die Kairo-Bilder spät…
unter anderem im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe Station.
## Protest als Poesie
„Transitions“, so der englische Titel der aktuellen Ausstellung, zeigt eine
ganze Bandbreite von fotografischen Interpretationen, die nicht plakativem
Protestgebaren Raum geben, sondern eher poetische Übersetzungsformen
favorisieren.
Einen klassischen Beitrag etwa hat der deutsch-französische Fotograf Daniel
Chatard verfasst. Er verfolgte zwischen 2017 und 2021 in konzentriert
dokumentarischer Weise die Proteste in der rheinischen Braunkohleregion um
das Aktionszentrum Hambacher Forst. Er fotografierte Baumhäuser der
Waldbesetzer:innen, die riesigen Verwüstungen nach dem Wirken der
Schaufelradbagger in diesem „Niemandsland“, so der Titel, oder auch den
Immerather Dom St. Lambertus. Diese historistische Kathedrale auf
romanischem Vorgängerbau, erbaut im Jahr 1891, fiel im Januar 2018 dem
Abriss zum Opfer. Der 1996 in Heidelberg Geborene hat im Hannover
Fotojournalismus und Dokumentarfotografie studiert und setzt derzeit sein
Studium in Den Haag fort.
Ebenfalls noch Studierende, in diesem Fall an der Hochschule für bildende
Künste in Hamburg, sind Georg Kußmann, 1989 in Halle geboren, und Kristina
Savutsina, sie kam im selben Jahr in Riga als Kind belarussischer Eltern zu
Welt. Zusammen mit Kußmann hat sie einen 57-minütigen Film über das
provinzielle Leben in Belarus verfasst, dessen unfreiwillige Komik viel
über das Sich-einrichten-müssen in diesem widersprüchlichen System erzählt.
Kußmann begleitet mit einem Konvolut älterer Kleinbilddias. Es läuft als
Endlosschleife, zeigt austauschbare Orte eher melancholischen Charmes in
Ost- wie Westdeutschland, darunter auch Motive aus Braunschweig.
## Private Momente der Jugend
Divergente Jugendkulturen, besonders in Osteuropa, interessierten Julia
Autz für ihre prämierte Serie „While I was waiting“. Sie unterscheidet
zwischen dem Agieren ihrer Protagonist:innen im öffentlichen Raum, das
sie in klaren schwarz-weißen Bildpaaren aus unterschiedlicher Nähe
dokumentiert, und privaten Momenten. Für sie wählte Autz eine eher
verträumte Bildsprache in Farbe, gibt so diesen noch unklaren Lebensphasen
adoleszenter Selbstfindung ästhetischen Raum. 1988 in Heidelberg geboren,
hat Autz in Darmstadt und Bielefeld studiert, lebt in Berlin und arbeitet
an Bildreportagen im In- und Ausland.
Unter dem Künstlernamen Bob Jones beschäftigt sich die Studentin der
Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, Eli Eichler, mit den
Erosionsprozessen menschlicher Begegnung während der Pandemiejahre. Wie
verloren im Digitalen habe sie sich in den obligaten Videobesprechungen
gefühlt, erzählt die 1988 in Marburg Geborene, und suchte deshalb Formen
der Rematerialisierung.
Sie fertigte Screenshots einzelner Gesichter, druckte sie auf alte
Overheadfolien, die in ihrer Küchendunkelkammer dann als Negative für
Schwarz-Weiß-Abzüge fungierten. Durch diese Transformation haben die
Physiognomien zwar viel ihrer individuellen Erkennbarkeit eingebüßt, die
analoge Technik suggeriert aber ein anderes Maß an Authentizität und
Unmittelbarkeit einer Begegnung.
Ein Tableau in der Manier Christian Boltanskis versammelt die Bildnisse und
stellt dabei auch die Frage, was eigentlich mit unserem so leichtfertig im
digitalen Austausch zurückgelassenen Konterfei passiert. Ist nicht das
Recht am eigenen Bild ein mindestens ebenso existenzielles Gut wie unsere
sogenannten „personenbezogenen Daten“?
6 Feb 2022
## LINKS
[1] /Foto-Ausstellungsreihe-True-Pictures/!5814102
[2] https://www.aica.de/auszeichnungen/ausstellung-des-jahres/index.html
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
zeitgenössische Fotografie
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Museum für Photographie Braunschweig
Braunschweig
Schwerpunkt Hambacher Forst
zeitgenössische Fotografie
Fotokunst
Stadtentwicklung
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