| # taz.de -- Phototriennale in Hamburg: Zu schön, um wahr zu sein | |
| > Eine Ausstellung befasst sich mit „Heimat“ und zeigt, wie Ideologien auch | |
| > die dokumentarische Fotografie beeinflussen. | |
| Bild: Bild einer untergegangenen Welt: Blankeneser, 1911 | |
| HAMBURG taz | Der Fischer steht mit Frau und Pfeife zufrieden in Tracht vor | |
| seiner blumengesäumten Fachwerkkate, der Bauer betet auf dem Kartoffelfeld, | |
| die Erntehelferinnen pausieren in blütenweißer Schürze vor dem | |
| Pferdefuhrwerk: Die Fotografien um 1900 beweisen, dass früher alles echter, | |
| besser und schöner war. Die Bilder der Sonderausstellung zur [1][Triennale] | |
| der Photographie im [2][Altonaer Museum] zeigen eine ländliche Welt, die | |
| trotz andernorts dynamischer Industrialisierung und ihren sozialen | |
| Verwerfungen hier in Norddeutschland ganz und gar in Ordnung ist. Es ist zu | |
| schön, um wahr zu sein. | |
| Ist es auch nicht. Von den gut Hunderttausend Fotos im Archiv des einst im | |
| preußischen Altona als Norddeutsches Heimatmuseum konzipierten Hauses sind | |
| zumindest im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts nahezu alle Bilder | |
| inszeniert. Im Geiste der Heimatschutzbewegung sind die Szenen theatralisch | |
| überhöht. Sie zeigen eine ganz traditionelle Lebensweise, die schon zum | |
| damaligen Zeitpunkt außer an Festtagen kaum mehr praktiziert wurde. | |
| Obwohl meist im offiziellen Auftrag des Museums, erstellen die Fotografen | |
| keine objektive Dokumentation. Sie interpretieren die ländlichen Themen aus | |
| städtischer, an künstlerischen Vorbildern geprägter Sicht zu einer | |
| Wunschwelt – schon damals übrigens auch mit dem tourismusfördernden | |
| Gedanken, zu Ausflügen und Reisen an diese so „ursprünglichen“ Orte zu | |
| werben. | |
| ## Bauernstuben als Bühnenbild | |
| Das extremste Beispiel für einen musealisierten Blick auf das typisch | |
| Norddeutsche ist Emil Puls (1877–1941). Der Altonaer Fotograf – von dem | |
| allein das Museum etwa 6.000 Glasplattennegative besitzt – nutzte die | |
| siebzehn fest im Museum eingebauten Bauernstuben wie ein Bühnenbild. In | |
| feinster Tracht agieren junge Frauen in traditioneller Weise in den | |
| bäuerlichen Prunkräumen. | |
| Die aber waren beim Einbau 1914 selbst schon teilweise idealisiert worden. | |
| So entstehen Scheindokumente, die eine romantisierte Projektion einstigen | |
| Lebens zeigen. Dieser Blick, der an der Malerei des 19. Jahrhunderts | |
| geschult ist und an bis ins 17. Jahrhundert zurückgehenden niederländischen | |
| Genreszenen, gelangt aber als vorgeblicher Moment zeitgeschichtlicher | |
| Realität ins Archiv. | |
| Über ihre heimatgeschichtlichen Inhalte hinaus sind diese in diesem Umfang | |
| erstmalig vergleichend gezeigten Beispiele aus der Museumssammlung auch | |
| Dokumente der Mediengeschichte und der historischen Museumsarbeit im | |
| preußischen Norddeutschland. Denn deren damaliges Ziel war es, ein ideales | |
| Bild der Heimat zu geben und in ästhetischer Anschauung zur sittlichen | |
| Erbauung durch Rückbesinnung auf die Werte der Tradition zu führen. | |
| ## „Die Sonderart in Boden und Volk“ | |
| Otto Lehmann, der Gründungsdirektor des Museums, schrieb, er habe den | |
| Wunsch, „… die charaktervolle Sonderart in Boden und Volk, wie ich sie | |
| erlebt, aber auch Schritt für Schritt schwinden sah, wenigstens im Museum | |
| noch zu erhalten“. Die von ihm aufgebaute heimatkundliche Bilddatenbank | |
| wurde in bester Absicht gerade nicht mit volkskundlichen Dokumenten, | |
| sondern mit einer sich ausdrücklich über die einfache technische Wiedergabe | |
| erhebenden Kunstfotografie bestückt. | |
| Aber aus der bürgerlichen Idee, Bauern und Fischer als „ursprünglich“ | |
| gebliebene Individuen und stille Heroen eines vorbildlichen | |
| vorindustriellen Lebensstils aufzuwerten, entstanden vielfach pittoreske, | |
| politisch nationalkonservative Klischees. Und deren Typisierung wirkt | |
| seitdem fast ungebrochen fort – bis zur aktuellen bildanalytischen | |
| Aufarbeitung. | |
| Nicht nur die Ideen der Heimatschutzbewegung prägen die typisierten Bilder | |
| des norddeutschen Kulturraumes und seiner Menschen. Die dort propagierte | |
| Sichtweise geht ihrerseits auf Topoi zurück, die die Malerei seit Langem | |
| formuliert hatte. Die damaligen Kunstfotografen bezogen sich oft | |
| ausdrücklich auf diese Tradition, waren gelegentlich sogar Maler und | |
| Lichtbildner in einer Person. | |
| ## Natur als Landschafts-Kunstwerk | |
| Die Natur wird in solcher Tradition als Landschafts-Kunstwerk begriffen, | |
| die in und mit ihr Arbeitenden bloß als Staffage. Bauern, Fischer und das | |
| einfache Landvolk sind für den städtischen Bürger einerseits ein | |
| vorbildhaftes moralisches Korrektiv, gelten sie doch als im eigenen Tun | |
| bescheiden und zufrieden, auch tapfer sich aufopfernd, andererseits | |
| repräsentieren sie aber als überwundene Lebensform etwas Exotisches, und | |
| obwohl gleich nebenan, als fast schon atavistisch Fremdes. | |
| Ein Vorteil der Museumssammlung ist, dass sie über genügend Material | |
| verfügt, die Bezüge zur Malerei mit eigenen Bildern zeigen zu können. Um | |
| aber auch zu ihrem Thema aktuelle Fotografie zu bieten, gibt es wie bei den | |
| beiden anderen Ausstellungen der Historischen Museen Hamburg zu den | |
| hauseigenen Fotografie-Sammlungen, auch hier in Altona einen neuen Beitrag | |
| aus dem Foto-Kollektiv „Sputnik“ aus Warschau. | |
| Agnieszka Rayss sollte sich in Norddeutschland umgucken und ein aktuelles | |
| Heimatbild finden. Gefunden hat sie das Regionale in wenigen blassfarbenen | |
| Horizonten am Meer und an einem naheliegenden Zufluchtsort: in den Archiven | |
| der Museen. Sie zeigt wie mit Leichentüchern verhüllte Objekte, abgelegte | |
| Köpfe oder Arme oder ein hinter einem Tuch hervorschauendes Horn des | |
| mythischen Einhorns. Ihre Bilder von Verpackungen und Etikettierungen | |
| können durchaus metaphorisch gesehen werden und verweisen nochmals darauf, | |
| wie wenig die Vergangenheit unveränderlich objektiv ist. Alle Historie ist | |
| immer eine Konstruktion der Gegenwart. | |
| Bis 22. November | |
| 4 Aug 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.phototriennale.de/ | |
| [2] http://www.altonaermuseum.de | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
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