# taz.de -- Straße Deutsch-Sowjetischer Freundschaft: Zehn unpraktische Silben | |
> In DDR-Orten mit mehr als einer Hauptstraße gab es Straßen der | |
> Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Sie wurden erst zu DSF. Dann | |
> verschwanden sie. | |
Bild: Gemeinsam gefeiert: Freundschaftstreffen der Jugend von DDR und UDSSR | |
HAMBURG taz | In unserem Dorf gab es keine Straße der Deutsch-Sowjetischen | |
Freundschaft. Das lag vielleicht daran, dass es in unserem Dorf nur eine | |
richtige Straße gab, die hieß Hauptstraße. Sie war etwa zehn Häuser pro | |
Seite kurz und niemand war erpicht darauf, sie zu etwas Bedeutsamem zu | |
machen. Im Nachbarort, in dem ich zur Schule ging und der mit etwas über | |
tausend Einwohnern sogar eine Stadt sein durfte, gab es sehr wohl eine | |
Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. | |
Ich glaube, in allen Orten, die etwas mehr als eine Hauptstraße besaßen, | |
gab es Straßen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Die | |
[1][Deutsch-Sowjetische Freundschaft] gehörte zur DDR wie die | |
Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft LPG, die Jungen- und die | |
Thälmannpioniere, die Freie Deutsche Jugend und das Lager für Arbeit und | |
Erholung. | |
Ich war, wie jede/r meiner damaligen MitschülerInnen Mitglied in der | |
Gesellschaft Für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Ich habe immer noch mein | |
Mitgliedsbuch, ich wurde am 17. Juni 1983 aufgenommen. Mein Beitrag zu | |
dieser Gesellschaft bestand darin, dass ich jeden Monat zehn Pfennige | |
bezahlte, für die ich eine Marke bekam, die ich bis zum Dezember 1985 in | |
mein Mitgliedsbuch klebte. Wir alle waren vielleicht stolz darauf, Freunde | |
unseres großen Bruders, der Sowjetunion, sein zu dürfen, ich weiß es nicht | |
mehr. | |
Und das, obwohl ja unser Volk dem Volk der Sowjetunion sehr viel angetan | |
hatte. Aber der Große Bruder war großzügig, und es kam vor allem darauf an, | |
die Bande fester zu knüpfen, sich gegenseitig zu unterstützen, voneinander | |
zu lernen, freundschaftlich und solidarisch zu sein. | |
Aus diesem Grund hatte meine jüngere Schwester eine Briefpartnerin in der | |
Sowjetunion. Wir lernten russisch in der Schule und jeder, der wollte, | |
konnte solch eine/n Briefpartner/in haben. Die russische Briefpartnerin | |
meiner Schwester schickte ihr ein Bild von sich und eine ganze Schachtel | |
russischen Konfekts. Sie hatte dicke, blonde Zöpfe und große Schleifen | |
darin, sie sah sehr hübsch aus. Das Konfekt kam mir himmlisch vor, meine | |
Schwester gab mir nur ein Stück davon ab. | |
## Zehn Silben Straßenname | |
Daraufhin schrieb auch ich einen Brief an eine potenzielle Briefpartnerin. | |
Ihre Antwort erwartete ich fiebrig und wie eine Verliebte den Brief ihres | |
Liebsten. Meine Briefpartnerin schrieb fehlerfrei deutsch und auch sie | |
hatte ein Bild von sich beigelegt. Sie schien mir so hässlich, dass ich wie | |
vor den Kopf gestoßen war. Aus heutiger Sicht ist vor allem diese | |
Empfindung und erst recht meine Reaktion gemein und hässlich gewesen, aber | |
ich empfand eben so, ich will da nichts beschönigen. Ich habe ihr nie | |
geantwortet. | |
Unsere Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft im Nachbarort wurde von | |
niemandem so genannt, und das war sicherlich ein allgemeines Problem mit | |
diesem Straßennamen. Er hatte genau zehn Silben. Zehn Silben sind sehr viel | |
für einen Straßennamen. Unsere Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft | |
hieß Lindenstraße. | |
So hieß sie früher, so heißt sie auch jetzt wieder: Lindenstraße. Aufgrund | |
der Linden, die sie säumen. In der DDR konnte man allerdings nicht immer | |
einfach Lindenstraße zur Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft | |
sagen. Vor allem nicht in schulischen und anderen öffentlichen | |
Zusammenhängen. Deshalb sagten wir dann: Straße der DSF, DSF-Straße oder – | |
am allerkürzesten – DSF. Sie wohnt in der DSF, hieß es dann. | |
In unserer DSF-Straße gab es ein Mahnmal für die gefallenen sowjetischen | |
Soldaten. Zu diesem Zweck war ein Flügel eines Flugzeugs, das dort | |
abgestürzt sein sollte, in die Erde eingegraben. Drumherum waren Blumen | |
gepflanzt, und an verschiedenen Festtagen stellten wir uns gemeinsam mit | |
ein paar sowjetischen Soldaten um das Ehrenmal herum, sangen sozialistische | |
Lieder und gelobten irgendwas. Jemand sagte ein Gedicht auf. Ich, zum | |
Beispiel, sagte öfter Gedichte auf, weil ich das sehr gut konnte und schon | |
immer einen Hang zur Bühne hatte. | |
Dann gingen wir mit den Soldaten in unsere Schule, wo wir auf unseren | |
Schulbänken Blechkuchen mit ihnen aßen. Die sowjetischen Soldaten sahen | |
alle gleich aus. Sie hatten abrasierte Haare, sie waren hohlwangig, sehr | |
jung und sehr dünn. Ich habe niemals auch nur einen einzigen wohlgenährten | |
sowjetischen Soldaten gesehen. Ein sowjetischer Offizier konnte wohlgenährt | |
sein, ein sowjetischer Soldat nicht. | |
Diese hohlwangigen, jungen, geschorenen sowjetischen Soldaten waren immer | |
sehr erfreut, wenn sie mit uns an unseren Schultischen Blechkuchen essen | |
durften. Wir redeten ein wenig russisch mit ihnen, und sie schenkten uns | |
kleine Passbilder von sich, auf deren Rückseite ihr Name stand. Ich hatte | |
eine ganze Zeit ein Passbild von einem sowjetischen Soldaten mit seinem | |
Namen auf der Rückseite, und ich sah es mir öfter in meinem Bett an, weil | |
dieser Soldat wirklich ganz hübsch aussah. Eine Freundschaft mit ihm war | |
mir vorstellbar. | |
## Dunkle Gerüchte | |
Unsere Eltern waren, trotzdem auch sie zur Freundschaft mit der Sowjetunion | |
vom Staate erzogen wurden, feindlicher oder wenigstens skeptischer | |
gegenüber den jungen, sowjetischen Soldaten eingestellt. Es gab Gerüchte | |
und dunkle Geschichten, die wir als Kinder natürlich alle kannten, weil | |
Kinder immer die Gerüchte und die dunklen Geschichten, die Erwachsene vor | |
ihnen verheimlichen wollen, kennen. | |
Es hieß, dass einige dieser jungen Soldaten zu fliehen versucht hatten, | |
weil sie es nicht mehr ausgehalten und sie nach Hause gewollt hatten, und | |
dass man sie eingefangen und kurzerhand erschossen hätte. Ich weiß nicht, | |
was daran ist, aber es scheint mir nicht unwahrscheinlich. | |
Es gab auch andere Geschichten, über die Kasernen, richtige kleine Städte, | |
in denen diese Soldaten wohnten. Sie befanden sich auf abgeriegeltem | |
Gelände, zwischen den Ortschaften, oft von Wald umgeben. Da wurden | |
Geschäfte mit den Einheimischen gemacht, da sollen richtige Orgien gefeiert | |
worden sein, da wurde verhandelt, gefeilscht, unter der Hand verkauft, | |
„organisiert“, da gab es einen Staat im Staate, einen ausgewachsenen, | |
kapitalistischen Geschäftssinn innerhalb des sozialistischen Prinzips. | |
Russenkaserne, hieß es. Russen, hieß es. Es gab eine allgemeine Weigerung, | |
das Sowjetische anzuerkennen. Auch wenn es gar nicht alles Russen waren, | |
auch wenn dieses „Russen“ einen recht feindlichen Beiklang hatte. | |
Die Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft jedenfalls erwies sich als | |
Einbahnstraße. (Um dieses schlechte Wortspiel kommen wir, Sie und ich, | |
leider nicht herum) Als „der Russe“ plötzlich sich dem Westen etwas öffnen | |
wollte, gar Reformen anstrebte, mit der sogenannten Perestroika, ab dem | |
Jahre 1986, da hörten nicht nur meine Marken der Gesellschaft für | |
Deutsch-Sowjetische-Freundschaft auf, da erstarb gar ganz still und leise | |
im Sozialistischen Deutschland die Deutsch-Sowjetische Freundschaft, obwohl | |
es sie als Gesellschaft noch bis in die 90er-Jahre gab. | |
Man war sich uneinig darüber, ob der Große Bruder nicht plötzlich vom Kurs | |
abgekommen war und sogar dabei, große Fehler zu machen. Für uns Kinder war | |
das eine Zeit der großen und fröhlichen Verunsicherung. Unsere Lehrer | |
erzählten uns dies und jenes und hatten sehr verschiedene Meinungen zu den | |
Dingen, wo sie vorher alle dieselbe zumindest gelehrt hatten. Es gab einen | |
heftigen Riss in dieser knöchernen, künstlichen Welt und das ließ etwas | |
frische Luft auch in unser schulisches Leben. | |
Die Veranstaltungen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft hörten auf. Die | |
Ehrenbekundungen am Flugzeugflügel hörten auf. Unsere Straße hieß noch | |
immer so. Aber auch öffentlich begann man schon wieder, „Lindenstraße“ zu | |
sagen. So verschwand unsere Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Die Soldaten | |
zogen ab. Die Kasernen verfallen nun, in einige sind Flüchtlinge | |
eingezogen, andere wurden zu pastellfarbenen Wohnanlagen umgebaut. | |
## Straßen der Freundschaft blieben | |
Und doch, und doch, trotz der Absurdität und der Unnatürlichkeit ihrer | |
Zelebrierung ist doch etwas geblieben, von dieser Deutsch-Sowjetischen | |
Freundschaft. In vielen Orten gibt es sie nämlich noch, – als einfache | |
Straße der Freundschaft. Manch pfiffige Stadtverwaltung hat sie gleich so | |
genannt – Straße der Freundschaft – anstatt Straße der Deutsch-Sowjetisch… | |
Freundschaft. | |
Denn Straße der Freundschaft, das lässt sich noch aussprechen, das sind nur | |
fünf Silben, statt zehn. In der DDR wusste zwar jeder, dass mit | |
Freundschaft nur eine Freundschaft gemeint sein konnte: Die einzige, die | |
große Freundschaft zur UDSSR. Aber gegen Freundschaft an sich lässt sich ja | |
nichts sagen. Straße der Freundschaft, das ist vielerorts noch geblieben, | |
oder wurde kurzerhand aus Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft | |
gemacht. | |
Und dann ist noch etwas anderes geblieben. Wir haben russische Bücher | |
gelesen, wir kennen die wirklich fantastischen russischen Märchen, die | |
großen russischen Romane, russische Komponisten, russische Malerei, sogar | |
russische Gerichte. Jeder hatte einen bemalten russischen Löffel zu Hause, | |
eine Matroschka, ich hatte Bücher über Samarkand und Usbekistan, ich war | |
auf Klassenreise in Moskau, im Februar, bei fünfzehn Grad Minus, die Sonne | |
schien und die Stadt funkelte. | |
Jetzt gibt es Misstrauen gegen das Russische, gegen alles, was einst | |
sowjetisch war. Das liegt vielleicht an Putin, aber warum ist es uns | |
möglich, so ohne Probleme amerikanische Kultur zu konsumieren, ist denn | |
dieses gelbhaarige Kind von einem Präsidenten mit seiner Politik | |
annehmbarer? | |
26 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Eine-nie-dagewesene-Freundschaft/!5636726/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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