# taz.de -- Inka Schube, Kuratorin: "Eine nüchterne Art von Zuneigung" | |
> Der hannoversche Fotograf Heinrich Riebesehl prägte mit seinen Aufnahmen | |
> von norddeutschen Landschaften die künstlerische Fotografie in | |
> Deutschland. Am Wochenende ist er 72-jährig gestorben. Sein Archiv | |
> verwaltet das Sprengel-Museum in Hannover, dessen Abteilung für | |
> Fotografie von Inka Schube geleitet wird. | |
Bild: Das Foto "Klein-Waabs (Schleswig-Flensburg), 1978, aus der Serie "Agrarla… | |
taz: Frau Schube, welcher Teil von Heinrich Riebesehls Werk wird in die | |
deutsche Fotografiegeschichte eingehen? | |
Inka Schube: Viele seine Serien, insbesondere aber die Serie der | |
Agrarlandschaften. Es ist sicher sein berühmtestes Werk und wurde 1979 | |
publiziert. Es gilt als eines der erste Autoren-Fotobücher, die in | |
Deutschland publiziert wurden. | |
Worum geht es bei den Agrarlandschaften? | |
Heinrich Riebesehl hatte über Jahre hinweg Norddeutschland als agrarisch | |
genutzte Fläche fotografiert. Es sind Bilder, die das flache Land zeigen, | |
Felder, Rinder, Dörfer, immer in sehr tief angesetztem Horizont. | |
Worin liegt der künstlerische Aspekt? | |
Heinrich Riebesehl entwickelte einen sehr nüchternen, fast strengen | |
fotografischen Blick. Die amerikanischen Fotografen der New Topographics | |
machten in jenen Jahren auf sich aufmerksam - unter anderem Robert Adams, | |
Stephen Shore, Bernd und Hilla Becher, die als Deutsche kurzerhand | |
eingemeindet wurden. Auch die Schnörkel- und Umstandslosigkeit der | |
Fotografie eines Walker Evans kam Riebesehl sicher sehr entgegen. Riebesehl | |
wurde einmal als "Landvermesser" bezeichnet. Das trifft es ganz gut: Der | |
Blick ist so nüchtern, dass sich die Landschaft quasi frei stellt. Die | |
Landschaft dient nicht der Kommunikation individueller Befindlichkeit, | |
sondern wird auf einer übergreifenderen Ebene sozusagen vermessen. | |
Wobei man schon den Eindruck hat, dass er das mochte, was er fotografierte. | |
Das widerspricht sich nicht. Es ist eben eine sehr nüchterne, vielleicht | |
typisch norddeutsche Art von Zuneigung. | |
Ist Riebesehl letzten Endes ein Heimatfotograf? | |
Ich weiß gar nicht so genau, was dieser Begriff meint. Er riecht im | |
Zeitalter globaler Dauermobilität ein ein bisschen muffig, oder? Die | |
Fotografiegeschichte weiß von vielen Fotografen, die ihren Aktionsradius | |
auf ein kleines Feld beschränken und gerade auf diese Weise eine sehr | |
besondere fotografische Intensität und Präzision entwickeln. Aus der | |
vermeintlichen Enge heraus entwickeln sich Zugänge zu sehr komplexen und | |
allgemeingültigen Fragen - und Bilder, die diese Fragen kommunizieren. | |
Was hat Riebesehl am meisten interessiert an der norddeutschen Landschaft? | |
Da kann man natürlich nur spekulieren. Ich denke, es ist die Nutzung von | |
Landschaft. Es ist ein Blick, der sagt: Das ist etwas, mit dem wir | |
alltäglich umgehen. Also eine Gebrauchsweise von Landschaft. | |
Ein anderes berühmtes Foto ist Riebesehls Portrait von Joseph Beuys aus dem | |
Jahr 1964. Welche Rolle spielt das Foto in seinem Werk? | |
Riebesehl hatte bei Otto Steiner an der Folkwangschule für Gestaltung in | |
Essen Fotografie studiert. Man unternahm gemeinsam Ausflüge, besuchte | |
Ausstellungen. Das Bild stammt aus der Serie "Happenings", in der er Mitte | |
der 60er Jahre eine ganze Reihe Veranstaltungen dieser Art dokumentierte. | |
Wie kam Riebesehl danach zu den Landschaften? | |
Er zog nach dem Studium über Umwege nach Hannover und setzte sich sehr | |
intensiv mit dem fotografischen Portrait auseinander. Da gibt es zum | |
Beispiel die Serie "Menschen im Fahrstuhl": Riebesehl fotografierte an | |
einem spätherbstlichen Donnerstag des Jahres 1969 mit einer versteckten | |
Kamera im Fahrstuhl des Hannoveraner Pressehauses. Es ist eine Portrait- | |
und Beobachtungssituation auf engstem Raum. Knapp zwei Jahre später | |
entstehen Selbstdarstellungen, von den Porträtierten mittels Selbstauslöser | |
aufgenommen. Er versuchte sich in einer am Surrealismus geschulten | |
Bildsprache und kam dann offenbar irgendwann in Niedersachsen, in diesem | |
flachen Land von spröder Schönheit an. | |
Hatte er Schwierigkeiten, als Künstler anerkannt zu werden? | |
Heinrich Riebesehl gehörte der Generation an, die die Anerkennung der | |
Fotografie als Kunst in Deutschland mitbewirkt hat. Er hat als Professor an | |
der Fachhochschule in Hannover Fotografie unterrichtet und 1972 gemeinsam | |
mit Kollegen die Spectrum Photogalerie gegründet. Die ist dann nach der | |
Eröffnung des Sprengel Museum Hannover in das Museum umgezogen und ist | |
damit die Keimzelle der heutigen Abteilung für Fotografie in diesem Haus. | |
Nicht umsonst gibt es den Internationalen Spectrum-Preis für Fotografie der | |
Stiftung Niedersachsen. Heinrich Riebesehl hat das Bewusstsein für | |
Fotografie in dieser Region wesentlich mitgeprägt. | |
Wie steht es um seinen Bekanntheitsgrad über Niedersachsen hinaus? | |
Heinrich Riebesehl gehört - in dem ganzen Spektrum seines Werkes und seiner | |
Aktivitäten - ohne Zweifel auch international zu den Großen der Fotografie. | |
Welche Rolle spielte das Thema Ruhm für ihn? | |
Fotografie war Arbeit an der Fotografie, nicht eine Art Weg zum Ruhm. Es | |
ging und geht darum, Arbeitsmöglichkeiten zu finden, Projekte verfolgen zu | |
können - der Ruhm kann in diesen Dingen hilfreich sein, ist aber kein | |
Selbstzweck. Heinrich Riebesehl war ein eher bescheiden auftretender | |
Mensch. Ich habe ihn relativ spät kennen gelernt und an ihm auch seinen | |
freundlichen, trockenen, unaufdringlich ironischen Humor geschätzt. Seine | |
Fotografie hat in ihrer Sprödigkeit eine Art umgedrehte Halbwertszeit. Sie | |
wird, je mehr Zeit vergeht, umso bedeutsamer. | |
3 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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