# taz.de -- Fotografien der Nacht der Einheit: Deutschlandschal, Deutschlandmü… | |
> Der Fotograf Andreas Rost war dabei, als Ost und West sich zur | |
> Einheitsfeier 1990 trafen. Seine Bilder sind in Dresden und in einem | |
> Fotoband zu sehen. | |
Bild: Um null Uhr wurde die deutsche Fahne gehisst, Ausschnitt einer Fotografie… | |
Fackeln, Würste und Bier aus der Dose; Krawatten, Kostüme, Blousons und | |
viele Schnauzer in den Gesichtern der Männer. Dazwischen, am Rand, das | |
Emblem der inzwischen vergessenen Partei „Die Republikaner“ am Revers und | |
ein Arm, der sich zum „Deutschen Gruß“ in den Himmel reckt. | |
Die [1][Reichskriegsflagge ist hin und wieder zu sehen], meist aber die | |
Trikolore, einmal mit Bundesadler in der Mitte. Die Leute tragen | |
Deutschlandfahnen, Deutschlandschals und Deutschlandmützen. Der eine hat | |
einen Stahlhelm der NVA auf dem Kopf, der andere einen Tropenhelm: deutsche | |
Geschichte vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, dargestellt in Kostüm | |
und Geste. | |
In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 trafen sich Ost und West vor | |
dem [2][Brandenburger Tor zur Einheitsfeier]. [3][Der Fotograf Andreas Rost | |
w]ar dabei, um den historischen Augenblick mit seiner Mittelformatkamera | |
und starkem Blitz bildlich zu erfassen. Rost war Student der Leipziger | |
Hochschule für Grafik und Buchkunst, sein wichtigster Lehrer hieß Arno | |
Fischer. | |
In einer derzeit in Dresden zu sehenden Ausstellung und in einem Buch mit | |
dem Titel „3. Oktober 90“ sind nun 30 der damals entstandenen Bilder zu | |
sehen. Im Buch wie in der Ausstellung zeigt Rost viele Fotos so, wie sie | |
entstanden sind. Aber er hat auch sprechende Details aus den Bildern | |
herauspräpariert und nachträglich herangezoomt. | |
Das ist Rosts Kommentar, er kommt ohne Worte aus. Das Sprechen ist Matthias | |
Flügge und Rolf Sachsse vorbehalten. Letzterer liest die Einheitsnacht als | |
Karneval und die Herangehensweise von Rost, nämlich im wahrsten Sinne des | |
Worts nah an die Porträtierten heranzugehen, im Kontext einer Ästhetik des | |
Punk. Er erwähnt eine Besonderheit dieser Aufnahmen: „Wenn das Blitzlicht | |
genau axial in die Augen der Abgebildeten fällt, wird deren | |
Augenhintergrund reflektiert – und diese Reflexion ist immer präzise und | |
scharf. Die Blitzlichtfotografie friert jede Bewegung gnadenlos ein.“ | |
## Ende der friedlichen Revolution der DDR | |
Rost zeigt kleine Gruppen, Paare, einzelne Personen. Als vorletztes Bild | |
wählte er eine Gruppe fröhlicher junger Männer aus, deren Habitus sich | |
nicht leicht einordnen lässt. Sie sehen auf den ersten Blick so aus, wie | |
man damals aussah. Noch dominiert der Stil der Achtziger mit geometrischen | |
Mustern, kurzen Haaren, Lederjacke. Aber wie sind die Nickelbrillen und der | |
Lodenjanker einzuordnen? Sind das Hipster oder Jura studierende | |
Burschenschaftler? | |
In dieser Nacht endete die friedliche Revolution in der DDR, der lange | |
Prozess der Wiedervereinigung begann. Matthias Flügge zeigt in seiner | |
Einführung, dass dieser Prozess präzise mit den „Worten des Jahres“ | |
beschrieben ist. 1989 war das Wort des Jahres „Reisefreiheit“, 1990 „Die | |
neuen Bundesländer“, 1991 „Besserwessi“, 1992 „Politikverdrossenheit�… | |
1993 „Sozialabbau“. | |
In den Fotografien Rosts sind nicht alle diese Entwicklungen abzusehen. Die | |
Fotos zeigen aber, in welchem mentalen Rahmen sie sich abspielen werden. | |
Große Freude ist zu sehen. Ein verkrustetes System ist überwunden, die | |
Mauer weg. Zugleich ist die Nation sichtbar zur relevanten Bezugsgröße | |
geworden. „Deutschland“ ist wieder da. Für die einen ist das ein | |
glücklicher Umstand, für die anderen das Medium ihrer Aggression. | |
28 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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