# taz.de -- Ausstellung zum Fotografen Arno Fischer: Er war dabei, im Kalten Kr… | |
> Hervorragend inszenierte Modefotos und ein Buch, das nie erschien: die | |
> Überblicksschau des Fotografen Arno Fischer im Berliner Haus am | |
> Kleistpark. | |
Bild: Alltag einer berufstätigen Frau: Arno Fischer, Abflug/Ankunft Berlin-Sch… | |
„Situation Berlin“ sollte der Bildband heißen. Wobei die Situation folgende | |
war: Die ehemalige Hauptstadt des Deutschen Reiches war geteilt, [1][unter | |
Kontrolle der Alliierten. Im Westteil der Amerikaner, Briten und | |
Franzosen], im Ostteil unter Kontrolle der Sowjets. Noch konnte man sich | |
frei von West nach Ost und umgekehrt bewegen. Das hatte auch der Bildautor | |
Arno Fischer getan und etwa das Arbeitsamt Nord in West-Berlin oder die | |
Friedensfahrt am Prenzlauer Berg in Ost-Berlin fotografiert. | |
Doch drei Wochen vor Erscheinungstermin schottete sich der Ostteil durch | |
eine Mauer vom Westteil ab. Damit gab es, wie die Verantwortlichen in | |
Ost-Berlin feststellten, keine Situation Berlin mehr. Und auch kein Buch. | |
Nur ein Dummy ist geblieben; Doppelseiten mit Klebe-Layout, die sich jetzt | |
über die Stirnwand des großen Ausstellungsraums im [2][Haus am Kleistpark] | |
ziehen, wo noch bis Mitte August die Ausstellung „Arno Fischer. Eine Reise“ | |
zu sehen ist. Man tritt frontal auf den Buchentwurf mit Fotos und | |
einmontierten Texten zu. Es lohnt sich, vor allem letztere genauer | |
anzuschauen. Sie degradieren den Bildband zu einem bemerkenswert einfach | |
gestrickten Propagandawerk. | |
Da wettert William S. Schlamm vor dem Rhein-Ruhr-Club gegen „die läppischen | |
Intellektuellen“, weil die meinen, Schulen seien wichtiger als | |
Panzerkreuzer oder es wird die Werbung für die westdeutsche | |
Landser-Heftreihe Vormarsch in Frankreich angeführt, die „wertvolle Bücher�… | |
wie „Fertigmachen zum Erschießen“ von G. Fraschka anpreist, um mit einem | |
Zitat von Johannes R. Becher dagegenzuhalten, in dem er von Trostmitteln | |
aller Art und für jedermanns Geschmack spricht, die die Unmenschlichkeit | |
bereithält. | |
## Westdeutsch-kapitalistische Mercedes-Limousinen | |
Vielleicht war es ein Glück für Arno Fischer, dass das Buch in dieser Form | |
nie erschienen ist. „Situation Berlin“ war in der Bildstrecke durchaus | |
parteiisch, was die Bildmotive und die konkrete Sicht auf das Motiv betraf. | |
So verschwindet die Feier zum 1. Mai in West-Berlin, die unter dem Motto | |
„Berlin bleibt frei“ im Tiergarten stattfand, bei Arno Fischer hinter der | |
mächtigen Kühlerhaube einer schwarzen Mercedes-Limousine, die sich | |
bildbeherrschend in den Vordergrund schiebt. | |
Wenig verwunderlich ist bei ihm auch der Kurfürstendamm identisch mit einem | |
riesigen Mercedes. Überhaupt taucht das Auto noch öfter als einfacher | |
Indikator westdeutsch-kapitalistischer Dekadenz auf. Ja, was soll man | |
sagen: [3][Arno Fischer war dabei], im Kalten Krieg. | |
Aber deshalb war er kein schlechter Fotograf. Ganz im Gegenteil. Es | |
gelangen ihm großartige Schwarz-Weiß-Aufnahmen, wie die Brandmauer mit dem | |
„Riss in der Mauer“ (1953) oder später die melancholische Studie der | |
kleinen Menschengruppe auf der „Staten Island Ferry“, die er 1978 aufnahm. | |
Fischer besuchte New York dann noch einmal 1984 im Auftrag des Ministeriums | |
für Kultur der DDR, um beispielhafte Arbeiterfotografien für die Gestaltung | |
des Reliefs auf dem Marx-Engels-Forum zu suchen. | |
Was Arno Fischer aber vor allem suchte – das spiegelt sich in seinen | |
Aufnahmen deutlich wider –, waren [4][Robert-Frank-Momente]. Mit ihm war er | |
seit 1958 befreundet und kannte daher auch sein Buch „The Americans“. | |
## Antiquierte New-York-Aufnahmen, fehlende Wahrnehmung | |
Doch dieser Kompass führte Fischer in die Irre. New York, man erinnere | |
sich, war Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre noch nicht von den | |
Superreichen gekapert. Es gab noch billige Mieten und preiswerte kleine | |
Restaurants für die arbeitende Bevölkerung, die Nachkriegsavantgarde hatte | |
eine lebendige Pop- und auch schon postmoderne Kunstszene abgelöst und die | |
Off-Off-Bühnen florierten mit ihren Theaterexperimenten. [5][Punk war auf | |
dem Vormarsch] und Mitte der 80er Jahre traf man in den Clubs schon auf den | |
ersten HipHop. | |
Ja, New York sah heruntergekommen aus, war es aber nicht. Letzteres nahm | |
Arno Fischer nicht wahr. Das belegen seine leicht antiquierten | |
New-York-Aufnahmen mit der schwer mit Schmuck behangenen alten Frau, die | |
die Straße überquert und mit dem obdachlosen Schwarzen oder dem bulligen | |
Geschäftsmann in Midtown, der böse dreinblickt. | |
Richtig glücklich wird man in der Ausstellung bei den Modefotos, die Arno | |
Fischer in Farbe aufnahm. Gerade hier zeigt sich das visuelle Vermögen des | |
1927 im Wedding geborenen Fotografen, der Kunst studierte, bevor er sich | |
der Fotografie zuwandte. Die Modebilder sind gestellt, inszeniert, was | |
Fischer hervorragend macht. Letztlich war er eben doch der Bildhauer, der | |
er einmal werden wollte. | |
Alleine was er mit den Beinen seiner Models anstellt, wäre einen kleinen | |
Essay wert. Oder kann man die forsch Unter den Linden dahin schreitenden | |
Uniformträger im Hintergrund lässiger der Lächerlichkeit zeihen als mit dem | |
Model im Vordergrund, das im Tweedanzug mit komisch angewinkelten Beinen | |
auf der Kante eines in der Straßenmitte stehenden Stuhls balanciert? | |
Die rechten Beine nüchtern parallel, die linken keck überkreuzt, so | |
posieren 1966 zwei seiner Modelle im knappen Kostüm im Hauseingang einer | |
noch kaum bezogenen, blendend weißen und sehr fotogenen modernen Wohnanlage | |
in Berlin: ganz im Sinne der subtilen Werbung für ein neues Deutschland. | |
Vor der Kulisse der Flugzeuge in Schönefeld erklärt die breitbeinige Pose | |
einer Anzugträgerin schließlich das Abenteuer Fliegen zum | |
selbstverständlichen Alltag der berufstätigen Frau. | |
4 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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