# taz.de -- Die Kunst der Woche: Wenn der Raum sich öffnet | |
> Damien Hirst produziert Diamanten, Dittmar Danner aka Krügers steigert | |
> die Rahmung im Rechteck. Und Noa Eshkols Bewegungsstudien werden neu | |
> aufgelegt. | |
Bild: Installationsansicht der Performance The Noa Eshkol Chamber Dance Group i… | |
Immer ist sofort und sehr emphatisch von Schmerz, Vergänglichkeit und der | |
Sinnlosigkeit des Lebens die Rede, wenn es um die Kunst von Damien Hirst | |
geht. Klar, davon handelte ja seine Kunst, und zwar sehr plakativ, man | |
denke an die bunten Pillen gegen Krankheit und Schmerz, die kurzen Pracht | |
der Kirschblüte, die flüchtige Schönheit der Schmetterlinge und an all die | |
toten Tiere, inklusive dem Menschen, dessen in Titan nachgebildeter | |
Totenschädel Hirst mit Diamanten schmückte. | |
Dabei wird die Ironie dieser Geste – jenseits des Jokes um Material- versus | |
Kunstwert – gerne übersehen, obwohl sich in ihr ein wesentliches Moment von | |
Hirsts Werk zeigt: Dass nämlich die Form sich dem Motiv widersetzt. | |
Der Diamant steht für die Ewigkeit der Kunst, für Schönheit, die weit über | |
die üblichen Zyklen des Lebens hinausgeht. Damien Hirst besingt in Farbe | |
und Material nicht die Nacht, sondern den Morgen. Die Kirschbäume in | |
„Honesty“ und „Control“ aus der Serie „The Virtues“ (2021), die die | |
Besucher:innen gleich beim Betreten der [1][Galerie Bastian] empfangen, | |
sind gerade erblüht, in dicht an dicht gesetzten Farbtupfern aus einer | |
reichhaltigen Palette. Man meint, die Farbe sei mit langen Pinseln dick auf | |
die Leinwand aufgetragen. Doch die Bilder sind Giclées, Kunstdrucke, | |
hergestellt mit modernsten Tintenstrahldruckern, deren Farbflüssigkeiten, | |
sogenannte „archival inks“, auf Pigmenten basieren und daher besonders | |
haltbar sind. | |
Neben Skalpellen und Rasierklingen, die sich dem Gesetz der Schwerkraft | |
folgend in der unteren Rundung des verglasten Tondos angesammelt haben, als | |
das Hirst sein Schmetterlingsbild „Que Muero Porque No Muero“, also „dass | |
ich sterbe, weil ich nicht sterbe“ 2005 gestaltete, finden sich auf dem | |
roten Bildgrund witterungsbeständige Pillen. Echte Diamanten, allerdings | |
künstlich hergestellt, hat der Künstler dann zwischen die Schmetterlinge | |
von „Oranges and Lemons“ (2008) platziert. Es sind nur wenige der Insekten | |
auf der zweiteiligen, einmal rot und einmal gelb grundierten Leinwand zu | |
sehen, die etwa vier Meter dreißig mal zwei Meter zehn misst. Man kann sie | |
ohne Mühe zählen. | |
Damien Hirst weiß den Raum zu genießen, sei es der Raum der Leinwand, sei | |
es der der Galerie. Nur fünf Gemälde und die Skulptur „Unicorn – The Dream | |
ist dead“ (2005), ein Pferdeschädel, dem die Säge eines Sägerochens | |
aufgesetzt wurde, bevölkern Bastians großzügig bemessene Räumlichkeiten. Da | |
ist nichts zu viel. Eine perfekte Inszenierung insofern sie zeigt, dass der | |
Affront von Damien Hirsts Arbeiten nicht im Kokettieren mit dem Kitsch oder | |
dem Ekel liegt, sondern in der absolut gesetzten ästhetischen Betrachtung | |
der Welt. | |
## Im schwebenden Rechteck | |
Was geschähe mit Dittmar Danner aka Krügers Bildern in einem ähnlich | |
großzügig bemessenen Raum? Jetzt hängen sie dicht an dicht bei Semjon | |
Contemporary. Das ist eine Möglichkeit. Sie betont den seriellen Charakter | |
der Arbeiten in der Ausstellung „You want it darker – let’s kill the | |
flame!“. Denn das Bildmotiv des Künstlers, der 1988 als Meisterschüler von | |
Johannes Geccelli an der damals Hochschule der Künste genannten UdK | |
abschloss, ist stets die einfache geometrische Form des aufrechtstehenden | |
Rechtecks. Alle seine Gemälde sind Hochformate, in den Abmessungen von 240 | |
x 180 cm bis zu gerade mal 24 x 18 cm. In diese Dimensionen malt er mit | |
leuchtenden, manchmal neon- oder metallisch strahlenden Farben – Pink, | |
Orange, Violett, Rosa, Gelb, Blau – weitere Rechtecke ineinander, also | |
einen je größeren Rahmen in einen je kleineren, wobei sich oft nicht sagen | |
lässt, ob der eine jetzt vor oder hinter dem anderen steht oder besser | |
schwebt. | |
Das Vorgehen Danners erinnert natürlich an Josef Albers und dessen Homage | |
to the Square. Allerdings geht es Danner nicht um die Wirkung einer | |
bestimmten Farbe in einem jeweils andersfarbigen Umfeld, sondern ihn | |
interessieren die Intensivierung der Farbe in der Verschachtelung und die | |
Frage, inwieweit die Farbe – oder der Rahmen? – jeweils einen eigenen Raum | |
eröffnet. Die beste Antwort erkenne ich in einem Bild, das die Regel ein | |
wenig bricht. In „It’s not dark yet M87-2023“ hat der Künstler nämlich … | |
Rahmen nicht ganz zu Ende gemalt. | |
Aber es scheint nur so. Tatsächlich sind die Rahmen fertig gemalt, aber | |
nicht in der gleichen Farbe, sondern einer helleren, leuchtenderen, was den | |
Eindruck der unvollendeten Linie hervorruft. Aber gerade dadurch fällt | |
gewissermaßen Licht ins Bild, von links oben nach rechts unten, und es | |
entsteht Raum. Es entsteht Raum, nicht Tiefe, weil die Richtung des Blicks | |
nicht mehr auf den inneren Kern, die letzte umrahmte Farbfläche des | |
Gemäldes zielt. Das ist in den anderen Bildern die einzige Richtung, die er | |
zwangsläufig kennt: immer tiefer in die sich verjüngenden Farbgründe zu | |
tauchen. Ist der Blick freier, lassen sich die Rahmen als Türen wahrnehmen, | |
die von einem Raum in den nächsten führen, ins Freie, statt in den Abgrund | |
– wo es dann wirklich dunkel ist. | |
## Wie Körper sich bewegen | |
„Jetzt ist nicht die Zeit, zu tanzen“, soll Noa Eshkol (1924-2007) ihrer | |
kleinen Tanztruppe, der „Chamber Dance Group“ in Cholon 1973 beschieden | |
haben. Sie war schockiert über den Angriff ägyptischer und syrischer | |
Soldaten am höchsten Feiertag Jom Kippur, in dessen Folge ihr einziger | |
männlicher Tänzer in die israelische Armee eingezogen wurde. Sie wandte | |
sich der bildenden Kunst zu und schuf aus Stoffresten über 500 | |
Wandteppiche. Für diese Teppiche ist Eshkol inzwischen international | |
bekannt. [2][Neugerriemschneider], die durch Sharon Lockhart auf die 1924 | |
im Kibbuz Degania B geborene Tänzerin, Tanzpädagogin und Künstlerin | |
aufmerksam wurden und heute ihren Nachlass verwalten, haben sie schon früh | |
gezeigt. | |
Nach ihrer Tanzausbildung, unter anderem bei Rudolf Laban in Manchester, | |
entwickelte sie 1954 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Architekten Avraham | |
Wachman, das Eshkol-Wachman-Notationssystem für Tanz. Diese „movement | |
notations“ sind nun Titel der Ausstellung bei neugerriemschneider, die | |
Eshkols Ideen zum Tanz thematisiert und Notationen und Objekte aus ihrem | |
Archiv zeigt, in denen sie ihr Konzept visualisierte und niederschrieb. | |
Filmmaterial und Fotografien von Tanzperformances vermitteln einen Eindruck | |
von Eshkols minimalistischem Bewegungsstil. | |
Gleichzeitig will „movement notations“ einen Ausblick auf das kommende Jahr | |
geben, in dem die Choreografin und Künstlerin 100 Jahre alt geworden wäre – | |
Anlass für eine große Ausstellung im [3][Georg Kolbe Museum]. In | |
Zusammenarbeit mit den [4][KW], wo an den vergangenen Wochenenden zwei | |
Tanz-Performances stattfanden, präsentiert das Museum dann am 28 Februar | |
2024 die Neuauflage der Publikation „Movement Notation“. | |
Dabei handelt es sich um eine abstrakte Bewegungsnotation auf | |
dreidimensionaler geometrischer Basis, mit der sich die Bewegungen | |
beliebiger Körper beschreiben lassen, also auch von Insekten, Vögeln, und | |
Robotern, sofern diese in Gliedmaßen mit Gelenken unterteilt sind. In | |
komplexen Liniensystemen setzen Eshkol und Wachman die so abstrahierten | |
Körper und die Zeit in eine eindeutige, durch Bewegungsabfolgen definierte | |
Beziehung zueinander. | |
Die wunderbaren schwarz-weißen Tuschegrafiken, die die der Designer, | |
Theoretiker und Performer John G. Harris für das sogenannte | |
„Referenzsystem“ schuf, erinnern stark an die grafischen Arbeiten der | |
Nachkriegsavantgarde, allerdings der nach dem Ersten Weltkrieg. Meist sind | |
sie informativ, aber die stark stilisierten Blätter glänzen dazwischen | |
immer wieder einfach durch große poetische Kraft. Auch die „Models of | |
Orbits in the System of Reference“, Drahtkugelkörper, die Amos Hertz 1974 | |
für Eshkol und Wachman baute, sind gewissermaßen bezaubernd | |
suprematistisch-konstruktiv. Dagegen überraschen die Tanzperformances mit | |
ihrer puristischen Inszenierung schwarz gekleideter Körper auf einer | |
leeren, hellen Bühne. | |
8 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bastian-gallery.com/ | |
[2] https://www.neugerriemschneider.com/ | |
[3] https://georg-kolbe-museum.de/ | |
[4] https://www.kw-berlin.de/pause-the-noa-eshkol-chamber-dance-group/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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