# taz.de -- Berliner Senat verkündet Klimanotlage: „Viele neue Aufgaben für… | |
> Rot-Rot-Grün will die Klimanotlage verkünden. Alle Maßnahmen müssen dann | |
> auf die Folgen fürs Klima gecheckt werden, erklärt Georg Kössler (Grüne). | |
Bild: Wird schon länger gefordert: Ausrufung des Klimanotstands | |
taz: Herr Kössler, am Dienstag wird der Senat voraussichtlich die | |
sogenannte Klimanotlage für Berlin verkünden. Ein Erfolg für die Grünen? | |
Georg Kössler: Wenn es so kommt, ist das ein Erfolg der Koalition. Aber es | |
ist auch ganz klar ein Erfolg der Bewegung. Das kam ja in verschiedenen | |
Städten der USA und Großbritanniens auf und ist schließlich nach | |
Deutschland herübergeschwappt. In dieser Deutlichkeit hätten wir das sonst | |
nicht. | |
Nochmal kurz zum Begriff: Von „Notstand“ wird nicht mehr die Rede sein? | |
Das EU-Parlament hat am vergangenen Donnerstag eine [1][„Climate Emergency“ | |
ausgerufen]. In der deutschsprachigen Version des Beschlusses ist von | |
„Klimanotstand“ die Rede, allerdings verbunden mit der Erläuterung, dass | |
das nicht im Sinne von „Notstandsgesetzen“ gemeint ist, dass also stets „… | |
Rahmen eines demokratischen Prozesses“ entschieden wird. Dadurch, dass wir | |
von einer „Klimanotlage“ sprechen, ersparen wir uns hoffentlich diese ganze | |
Debatte. | |
Berlin wäre das erste Bundesland, das die Notlage feststellt? | |
Genau. [2][Einzelne Kommunen haben das bereits getan], aber Bundesländer | |
haben ja noch ein paar Kompetenzen mehr und tragen mehr Verantwortung. Da | |
hoffen wir auch auf Nachahmer. | |
Die Beschlussvorlage der Umweltverwaltung an den Senat ist teilweise schon | |
an die Öffentlichkeit gedrungen. Was sind aus Ihrer Sicht die Kernpunkte | |
darin? | |
Meines Erachtens zwei: Einmal soll Berlin sein Energiewendegesetz (EWG) | |
endlich an die Klimaziele von Paris anpassen und die Vorbildwirkung der | |
öffentlichen Verwaltung ernst nehmen. Das zweite ist der Auftrag an unsere | |
Klimasenatorin, einen Klimavorbehalt zu erarbeiten. Das wäre wirklich | |
Neuland, und ich bin sehr gespannt, wie dieser Auftrag umgesetzt wird. | |
Wie sollte so ein Vorbehalt aussehen: Sollen Gesetze oder Senatsbeschlüsse | |
gekippt werden können, wenn sie im Sinne des Klimaschutzes nicht zu | |
verantworten sind? | |
Der erste Schritt ist es, Transparenz zu schaffen. Jede Senatsverwaltung, | |
die ein Vorhaben plant, sollte das mit einem öffentlich einsehbaren | |
Klima-Check – einer Klimafolgen-Abschätzung – verbinden. Darüber sind wir | |
uns in der Koalition grundsätzlich einig. In Bremen plant die rot-grün-rote | |
Koalition das übrigens ganz easy digital mit einer App, in der eine | |
Verwaltung anhand standardisierter Fragen relativ leicht abschätzen kann, | |
welche Klimawirkung etwa eine Baumaßnahme oder ein Gesetz haben. Das ist | |
keine exakte Berechnung, aber man hat schon mal eine grobe Einschätzung. | |
Wie geht es dann weiter? | |
Wenn eine Maßnahme besonders CO2-intensive Auswirkungen hat, muss eine | |
Studie in Auftrag gegeben werden, die prüft, wie viel CO2 genau freigesetzt | |
wird. Beim Weiterbau einer Autobahn müsste man sich das ziemlich sicher | |
noch einmal genauer anschauen, für einen neuen Radwegschnellweg bräuchte es | |
wohl eher keine Studie. | |
Was wäre der zweite Schritt? | |
Als zweiter Punkt wäre zu klären, ob und wer ein Veto einlegen kann, um das | |
Vorhaben zu stoppen oder zumindest zu verzögern. Der Sachverständigenrat | |
der Bundesregierung für Umweltfragen hat ein suspensives Veto | |
vorgeschlagen. Das würde bedeuten, dass eine Vorlage für drei Monate | |
angehalten wird, um Alternativen zu erarbeiten. Das kann schon sehr viel | |
helfen. | |
Das wäre dann der Job der Umweltverwaltung? | |
Ja, das würde ich vorschlagen. Dafür müsste aber ihr Klimareferat | |
entsprechend aufgestockt werden. Es wäre auch eine Möglichkeit, den | |
Berliner Klimaschutzrat zu professionalisieren und mit Mitteln | |
auszustatten. Aktuell arbeitet der ehrenamtlich und sehr fleißig, aber eher | |
im Verborgenen. Der könnte sich dann bestimmte Senatsvorhaben auf den Tisch | |
ziehen und sagen: Stopp, das müssen wir prüfen und Alternativen erarbeiten. | |
Beim Autobahnbau ist die Sache einigermaßen klar, aber wie sieht es | |
beispielsweise mit der Errichtung von Wohngebäuden aus? Das hat ja auch | |
erhebliche klimatische Auswirkungen. Bremst so ein Instrument nicht den | |
Wohnungsbau aus? | |
Nein. Aber mit einem Klimavorbehalt würde endlich genau geprüft: Ist die | |
Versiegelung nötig? Sind alternative Verkehrskonzepte möglich? Wir würden | |
dann endlich Passivhäuser bauen, mit dezentraler | |
Regenwasserbewirtschaftung, mit einer guten ÖPNV-Anbindung und innovativen | |
Verkehrskonzepten. All das, wofür wir jetzt umständlich einzeln kämpfen | |
müssen und wo angebliche Wirtschaftlichkeitsberechnungen den Klimaschutz | |
ausbremsen, würde im Idealfall die zuständige Verwaltung von vornherein | |
richtig planen. So lange, bis sie sagen kann: Wir haben nach Kräften | |
versucht, den CO2-Fußabdruck zu minimieren. | |
Wo ist da die Grenze? Je mehr Geld man ausgibt, desto mehr Klimaschutz kann | |
man ja gewährleisten. | |
Wer Klimaschutz will, muss auch die Rechnung dafür zahlen. Sonst zahlen sie | |
die zukünftigen Generationen. In manchen Aspekten wird es erst mal | |
kostenintensiver, aber langfristig rechnet es sich – das wissen alle in der | |
Koalition. Es wird Lebenszyklus-Analysen geben, und da sind dann | |
beispielsweise Passivhäuser kurzfristig teurer, machen langfristig aber | |
mehr Sinn. | |
Sollten bestimmte Bereiche oder Vorhaben unterhalb einer bestimmten | |
Größenordnung ausgenommen werden? | |
Ja. Ganz sicher stünden der Energie-, der Verkehrs- und der Baubereich im | |
Fokus eines Vorbehalts. Entscheidungen des Senats, die den persönlichen | |
Konsum der Leute betreffen oder die Landwirtschaft, von der wir ohnehin | |
nicht viel in Berlin haben, könnte man erst mal ausnehmen. Auch | |
Schwellenwerte lassen sich definieren. Man könnte vereinbaren, dass | |
Maßnahmen grundsätzlich nur einem unbürokratischen Check unterzogen werden, | |
außer sie haben zum Beispiel ein Volumen von über einer Million Euro. Die | |
könnten von vornherein mit einem Gutachten begleitet werden. Darüber müssen | |
wir jetzt reden. | |
Sie sagten es schon: Auch eine Novellierung des Berliner | |
Energiewendegesetzes ist Bestandteil des Beschlusses. Wird eine solche | |
Verschärfung das Parlament ohne Weiteres passieren oder gibt es Widerstände | |
in den Partnerfraktionen? | |
Wir haben gerade auf Fachebene eine gute Stimmung in der Koalition. Wir | |
alle wollen etwas bewegen. Jeder setzt andere Schwerpunkte, manche sind | |
noch etwas vorsichtiger, aber das gehört dazu. Ganz wichtig ist uns allen, | |
die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand anzuspitzen. Die steht jetzt schon | |
im Gesetz, aber es hält sich kaum einer dran. | |
Wie sähe so ein „Anspitzen“ aus? | |
Beispielsweise brauchen wir mehr Energie- und Klimaschutzmanager in den | |
Bezirken. Das wird Geld kosten, aber es fehlt vor Ort das Personal, um | |
Klimaschutz- und Energieeffizienzmaßnahmen, etwa die Sanierung öffentlicher | |
Gebäude, umzusetzen. Das ist derzeit der „Bottleneck“ der Berliner | |
Energiewende. | |
Das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) ist der | |
Maßnahmenkatalog zum Erreichen der Klimaziele. Was muss daran verbessert | |
werden? | |
Beim aktuellen BEK liegt die Herausforderung in der Umsetzung, im | |
Zusammenspiel der Senatsverwaltungen und im geregelten Abfluss der Mittel, | |
die wir als Parlament bereitgestellt haben. Die ganzen Fördergelder liegen | |
herum, weil die Förderrichtlinien zu kompliziert oder noch gar nicht | |
erstellt sind. Diese Hausaufgaben muss die grüne Umweltverwaltung machen, | |
und die macht sie auch gerade. | |
Wie könnte eine Weiterentwicklung aussehen? | |
Da müssen wir uns unbedingt trauen, auch ordnungspolitische Maßnahmen zu | |
benennen. Das letzte BEK wurde noch von Rot-Schwarz gemacht, unter der | |
Maßgabe: Kann was kosten, soll aber nicht wehtun. Das ist eine Lebenslüge. | |
Klimaschutz bedeutet krasse Veränderungen, aber es ist an uns, die Lasten | |
gerecht zu verteilen. Wir müssen über ganz konkrete Maßnahmen reden und | |
schauen, wer davon wie stark belastet wird. Das geht im Kleinen los mit | |
Ideen wie einer Abgabe auf Einwegbecher und reicht bis hin zu einer | |
Zero-Emission-Zone in der Innenstadt, also dem Verbot von | |
Verbrennungsmotoren ab 2030. Die Anerkennung der Klimanotlage bedeutet | |
viele neue Hausaufgaben für unsere Koalition. | |
2 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Parlament-ruft-Klimanotstand-aus/!5642998 | |
[2] /Konferenz-zum-Klimanotstand/!5635133 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Regine Günther | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Berlin | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Energiewende | |
Grüne Bremen | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Grüne Berlin | |
Peter Tschentscher | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
tazlab 2012: „Das gute Leben“ | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimaziel für 2020 in Berlin erreicht: Die 40 Prozent sind geknackt | |
Gute Nachrichten aus dem Statistikamt: Der CO2-Ausstoß in Berlin ist | |
stärker gesunken als vorgeschrieben. Allerdings reicht das noch lange nicht | |
aus. | |
Dumping-Preise am Flughafen Bremen: Billig fliegen ohne Vorbehalt | |
Die Umweltorganisation Robin Wood kritisiert die Finanzhilfen für den | |
Bremer Airport als unvereinbar mit dem gerade beschlossenen Klimavorbehalt. | |
Berlin verkündet Klimanotlage: Ein Signal an die Berliner | |
Als erstes Bundesland ruft Berlin die Klimanotlage aus. Beschlüsse des | |
Senats müssen künftig auf ihre Klimaschädlichkeit überprüft werden. | |
Grünen-Landesparteitag am Samstag: Pkws raus aus der Innenstadt | |
Die Grüne Jugend will komplettes Verbot ab 2030, der Landesvorstand der | |
Mutterpartei will Autos mit Elektroantrieb weiter zulassen. | |
Klimaplan für Hamburg: Koalitions-Kampf um Klimakrone | |
Hamburgs rot-grüner Senat legt Landesklimaplan vor. Auch 55 Prozent weniger | |
CO2 verbessern das Klima zwischen den Koalitionären nicht. | |
Fridays for Future-Sprecherin zum Streik: „Wir sagen es der Politik noch mal�… | |
Mehrere zehntausend Protest-TeilnehmerInnen erwartet FFF am Freitag in | |
Berlin. Sprecherin Emma Fuchs fordert von der Politik Ergebnisse. | |
EU-Parlament ruft Klimanotstand aus: Die Latte höher gelegt | |
Signal der Europaabgeordneten nicht nur an die Welt, sondern auch an die | |
EU-Kommision: Der Green Deal muss halten, was von der Leyen verspricht. | |
Klimapolitik der EU: Klimanotstand in Europa? | |
Die Grünen wollen auch in Brüssel eine verschärfte Politik gegen die | |
Erderwärmung – und den Klimanotstand ausrufen. Andere Fraktionen bremsen | |
eher. | |
Konferenz zum „Klimanotstand“: „Mehr als Symbolpolitik“ | |
Schon 74 Kommunen haben den „Klimanotstand“ ausgerufen. Am Wochenende | |
vernetzten sie sich bei einer Konferenz in Berlin. |