# taz.de -- Autorinnen fordern Handeln wegen Belarus: Geiseln im Hybridkrieg | |
> Jelinek, Müller, Alexijewitsch, Tokarczuk: Vier | |
> Literaturnobelpreisträgerinnen appellieren, alles zu tun, um die Krise | |
> an der Grenze zu Belarus zu lösen. | |
Bild: Geflüchtete auf der belarussischen Seite der Grenze zu Polen | |
Die Nachrichten von der polnischen Grenze zu Belarus, der Außengrenze der | |
EU, sind furchtbar, die Bilder von Bewaffneten, die Migranten zurückstoßen, | |
empörend. In dieser Lage wenden sich die Schriftstellerinnen [1][Swetlana | |
Alexijewitsch], Elfriede Jelinek, Herta Müller und [2][Olga Tokarczuk], | |
allesamt Literaturnobelpreisträgerinnen, an Charles Michel, den | |
Präsidenten des Europäischen Rates, [3][David Sassoli, den Präsidenten des | |
Europäischen Parlaments], sowie an die Mitglieder des Europäischen | |
Parlaments. Die Autorinnen schreiben: | |
„Die polnische Regierung hat im Grenzstreifen zwischen Polen und Belarus | |
den Ausnahmezustand verhängt, aufgrund dessen sie den Ärzten und Sanitätern | |
die Hilfeleistung für die Kranken und Sterbenden in der Grenzzone | |
verweigert und den Medien den Zugang zur sich dort abspielenden Tragödie | |
versperrt. Jedoch geben schon die inkompletten, bruchstückhaften | |
Informationen einen Einblick in das gigantische Ausmaß der humanitären | |
Katastrophe, die sich an der Grenze der Europäischen Union ereignet. Wir | |
wissen, dass dort Menschen der erbarmungslosen Prozedur von Pushbacks | |
unterzogen und dem Hunger, der Erschöpfung und der Unterkühlung in den | |
Sümpfen ausgesetzt werden. | |
Belarussische, von Lukaschenkos Regime kontrollierte Reisebüros versprechen | |
Verzweifelten, gegen hohe Bezahlung ins Gebiet der EU zu gelangen. Auf | |
diese Weise nach Minsk gelockte Menschen werden mit organisierten | |
Transporten in den Wald an die Grenze gebracht. Von dort treibt man sie mit | |
Gewalt nach Polen, die polnische Grenzwache treibt sie ebenfalls mit Gewalt | |
nach Belarus zurück. In den schlimmsten Fällen endet es tödlich. Manche | |
Verstorbene kennen wir mit Namen, andere sterben namenlos. | |
Als Bürgerinnen und Einwohnerinnen der EU wenden wir uns an die | |
demokratisch gewählten Vertreter Europas: Lasst uns unseren Blick nicht von | |
der Tragödie abwenden! | |
Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass Menschen in diesem Hybridkrieg als | |
Geiseln benutzt werden. Diese teuflischen Praktiken werden als Beispiele | |
für die moderne Variante der Grausamkeit in die Geschichte eingehen. | |
## Die Basis der Solidarität | |
Die Europäische Union ist für uns vor allem eine grenzüberschreitende | |
moralische Gemeinschaft, basierend auf den Regeln zwischenmenschlicher | |
Solidarität. Wir verstehen, dass es nicht einfach ist, mit dem Ansturm der | |
Verzweiflung auf die Grenzen Europas klarzukommen. Jedoch passt das, was | |
wir an diesen Grenzen zulassen, nicht zu unseren fundamentalen europäischen | |
Werten.“ | |
Nach dieser Analysen appellieren die vier Autorinnen an die | |
EU-Parlamentarier, „diese humanitäre Krise möglichst schnell und effektiv | |
zu lösen, die Beschlüsse der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten und | |
insbesondere allen den Zugang zum Asylverfahren zu gewähren, die darum | |
bitten und an der östlichen EU-Grenze festgehalten werden“. Die Autorinnen | |
„fordern eine breit angelegte diplomatische Initiative in den Ländern des | |
Nahen Ostens, um dem irreführenden Narrativ des belarussischen Regimes | |
entgegenzuwirken“. Sie rufen dazu auf, „die Hilfsorganisationen, die | |
medizinische und juristische Hilfe leisten könnten, in das Grenzgebiet | |
hineinzulassen“, und „fordern, dass den akkreditierten Journalisten und | |
Medien der Zugang zum Gebiet des Ausnahmezustandes gewährt wird“. | |
Die vier Nobelpreisträgerinnen schließen mit den Worten: „Wir fühlen uns | |
schmerzhaft ratlos – zu wissen bedeutet, sich des Bösen, das sich gerade | |
ereignet, bewusst zu sein. Dem Wissen sollte das Handeln folgen.“ Das ist | |
tatsächlich ein sehr schmerzhaftes „sollte“. | |
10 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Literatur-und-Unterdrueckung/!5752265 | |
[2] /Nobelpreistraegerin-Olga-Tokarczuk/!5647913 | |
[3] /Preis-fuer-die-Opposition-in-Belarus/!5720545 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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