| # taz.de -- Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin: Jüdisches Leben in der DDR | |
| > Jüdische Linke waren in der DDR willkommen. Obwohl sie ab 1933 vor den | |
| > Nazis geflüchtet waren, wurden sie in der DDR bald antisemitisch | |
| > diskriminiert. | |
| Bild: Barbara Honigmann: „Ein Freund von früher (Thomas Brasch)“ 1997. Bra… | |
| Die Nazis trieben ab 1933 viele Jüdinnen und Juden ins Exil. Einige von | |
| ihnen gingen nach Kriegsende 1945 bewusst in die Sowjetische | |
| Besatzungszone, um sich beim Aufbau des „besseren Deutschlands“ zu | |
| beteiligen, das man sich damals erhoffte. [1][Eine Sonderausstellung im | |
| Jüdischen Museum Berlin widmet sich dem jüdischen Leben in der DDR.] Auch | |
| hier geht es um die Geschichte jüdischer Kommunisten in der DDR – und deren | |
| Kindern. | |
| Exemplarisch dafür stehen die Zadeks. Die Eheleute Alice und Gerhard Zadek | |
| wurden 1919 bzw. 1921 in Berlin geboren. Sie galten als die letzten | |
| überlebenden Angehörigen der jüdisch-kommunistischen Widerstandsgruppe um | |
| Herbert Baum. | |
| Die überwiegend aus jüdischen Jugendlichen bestehende Gruppe erstellte | |
| während des [2][Nationalsozialismus] Flugblätter und Untergrundzeitungen | |
| und unterstützte jüdische Zwangsarbeiter. 1942 beging sie sogar einen | |
| Brandanschlag auf eine antisowjetische Propaganda-Schau der Nazis in | |
| Berlin. Fast alle Mitglieder der Gruppe wurden daraufhin von den Nazis | |
| gefasst und ermordet. | |
| ## FDJ in England gegründet | |
| Zu dem Zeitpunkt waren die Zadeks bereits nach England geflüchtet. Dort | |
| waren sie Gründungsmitglieder der Freien Deutschen Jugend, die in der | |
| Emigration während des Zweiten Weltkriegs entstand. Auch in Frankreich, der | |
| Tschechoslowakei und in Schottland gründeten sich Ortsverbände der | |
| Gruppierung, die später zur größten Jugendorganisation der DDR aufsteigen | |
| sollte. | |
| Im britischen Exil bestand die Hauptaufgabe der FDJ in der Unterstützung | |
| der oftmals jungen jüdischen Emigranten. Ein weiteres bekanntes | |
| Gründungsmitglied war Horst Brasch, Vater des Schriftstellers und | |
| Regisseurs Thomas Brasch und der Künstlerin und Journalistin Marion Brasch. | |
| Nach ihrer Rückkehr konnten die jungen Kommunist:innen in der | |
| Sowjetischen Besatzungszone oft schnell aufsteigen. Gerhard Zadek wurde | |
| 1947 für ein Jahr außenpolitischer Redakteur der Jungen Welt, 1949 übernahm | |
| er die Leitung der Zeitschrift Junge Generation, ein Organ für | |
| FDJ-Funktionäre. | |
| ## Kaderleiterin Glas und Keramik | |
| Danach berief ihn Albert Norden, ein anderer jüdischer Kommunist und | |
| Remigrant, zum Leiter der Abteilung Presseberichterstattung des Amts für | |
| Information, dem vorläufigen Presseamt der DDR. Alice Zadek wurde | |
| Kaderleiterin für die zwei großen Handelsunternehmen „Glas und Keramik“ u… | |
| „Druck und Papier“. | |
| Die Geschichte der Zadeks war kein Einzelfall. Gemessen an der geringen | |
| Zahl der in Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR lebenden Jüdinnen | |
| und Juden waren diese überproportional oft in Führungspositionen vertreten. | |
| Das änderte sich, als man 1948 damit begann, massive Kontrollen aller | |
| Parteimitglieder und Funktionsträger durchzuführen. | |
| Hierfür wurde noch vor Gründung der DDR die Zentrale | |
| Parteikontrollkommission (kurz ZPKK) ins Leben gerufen. Die ZPKK hatte laut | |
| Hermann Matern, der diese von 1949 bis 1971 leitete, die Aufgabe, die | |
| „innere Festigung der Partei“ zu garantieren und „feindliche Kräfte und | |
| Elemente auszuscheiden“. | |
| ## Sündenböcke identifizieren | |
| Damit übernahm die ZPKK die Funktion, im Rahmen von | |
| Selbstreinigungsritualen Sündenböcke zu identifizieren. Matern erklärte: | |
| „Das ist, was wir am wenigsten verstehen, dem einfachen Menschen den Feind | |
| zu zeigen. Wir müssen den Feind in der Partei personifiziert zeigen.“ Vor | |
| dem Hintergrund des Kalten Krieges wollte man den eigenen Leuten und | |
| womöglich auch sich selbst suggerieren, dass man die Lage unter Kontrolle | |
| habe. | |
| Vor allem die „Westemigranten“ gerieten so ins Visier der Partei. Als | |
| Westemigranten bezeichnete man diejenigen, die vor dem Nationalsozialismus | |
| zunächst in den Westen geflohen oder in westliche Kriegsgefangenschaft | |
| geraten waren. Allein der Umstand der Westemigration genügte, um in | |
| Verdacht zu geraten, ein „imperialistischer“ oder „amerikanischer Agent�… | |
| sein. Reichte das zur Stützung einer Anklage nicht aus, warf man den | |
| Personen auch noch „Trotzkismus“ oder „Zionismus“ vor. | |
| Als Vorbild für die Parteikontrollverfahren der SED fungierten die | |
| Säuberungen der KPdSU unter Stalin. In den Kontrollen kulminierten | |
| stalinistischer Antisemitismus, Antizionismus, Antitrotzkismus, eine | |
| antiwestliche Haltung und ein Sündenbockdiskurs. | |
| ## Bizarre Reinigungsrituale | |
| Ohne Jüdinnen und Juden explizit als Feinde zu benennen, wurden diese de | |
| facto oftmals zu den Opfern der bizarren Reinigungsrituale, die wegen ihrer | |
| Eigenlogik im Grunde unabschließbar waren. Jede weitere Problemlage und | |
| jeder öffentliche Fall konnte zum Anlass für erneute Nachforschungen | |
| werden. Während dies in der Sowjetunion mit willkürlichen Todesurteilen | |
| einherging, kam es in der DDR zu Degradierungen und vereinzelt zu | |
| Haftstrafen. | |
| Auch Gerhard Zadek wurde 1952 nach der Auflösung des Amts für Information | |
| nach Mecklenburg versetzt. Zu diesem Zeitpunkt lebte er gerade erst fünf | |
| Jahre wieder in Deutschland. In Mecklenburg sollte er von nun an | |
| stellvertretend das SED-Bezirksorgan Freie Erde leiten – eine Degradierung. | |
| Als er 1953 trotz seines Studiums auch noch Gießereiarbeiter werden sollte, | |
| verweigerte er sich. Er sattelte um, studierte Patentingenieurwesen und | |
| wurde anschließend Direktor des VEB Schwermaschinenbaus. Alice Zadek wurde | |
| zur Schulungsleiterin für die Nationale Front herabgesetzt. | |
| Offiziell begründete die Partei ihre Versetzungen nicht. „Es war jedoch | |
| klar, was dahinterstand“, sagt Tochter Ruth Zadek gegenüber der taz. | |
| „Dieses tiefe Misstrauen gegen allen und jeden hat diesen Staat kaputt | |
| gemacht“, erklärt sie. Ihre Eltern erzählten ihr von ihren Degradierungen | |
| erst nach der Wende. Bis dahin hielten sie ihre Verletzungen unter | |
| Verschluss: „Denn sie haben immer an die Partei und ihre Aufgabe geglaubt“, | |
| sagt Zadek. | |
| ## Groteske Parteidisziplin | |
| Die ausgeprägte Parteidisziplin vieler Kommunist:innen nahm mitunter | |
| groteske Züge an. In einigen Fällen bezichtigten sich Personen in | |
| vorauseilendem Gehorsam selbst, noch bevor sie vom ZPKK vorgeladen wurden. | |
| Auch waren nicht ausschließlich Jüdinnen und Juden von den Säuberungen | |
| betroffen, jedoch häufig. Ostemigranten blieben dagegen in der Regel | |
| verschont, auch wenn sie jüdisch waren. | |
| In der Ausstellung im Jüdischen Museum kommen Parteikontrollverfahren und | |
| ihre Eigenlogik leider zu kurz. Dabei wäre es sinnvoll gewesen, gerade hier | |
| genauer hinzusehen, um ein Bild von der Vielgestaltigkeit des | |
| Antisemitismus zu vermitteln. Auch hätte das Thema die Möglichkeit geboten, | |
| diese in dieser Form spezifische historische Verbindung von Kommunismus und | |
| Antisemitismus aufzuzeigen. | |
| Obwohl die Eltern über ihre, durch die Partei erlittenen Verletzungen | |
| schwiegen, merkten die Kinder, dass in diesem Staat etwas nicht stimmte. In | |
| ihrer Jugend war Ruth Zadek stellvertretende Leiterin eines | |
| Jugendclubhauses in Weißensee. In einer dort stattfindenden | |
| Veranstaltungsreihe mit dem Namen „Kramladen“ wollte man den künstlerischen | |
| Möglichkeitsraum der DDR erweitern. Deshalb lud man die Jazz-, Künstler- | |
| und Intellektuellenszene ein. | |
| ## Die Tochter wird zum Klassenfeind | |
| Doch die Veranstaltungen wurden verboten. „Dabei ging es uns gar nicht | |
| darum, die DDR fertigzumachen, sondern wir wollten die Strukturen im Land | |
| verändern“, sagt Zadek. 1979 stellte sie einen Ausreiseantrag, 1981 verließ | |
| sie die DDR in Richtung Westen. Für ihren Vater wurde sie damit zum | |
| „Klassenfeind“. Der Kontakt war abgerissen. Auch die Frage, wie man | |
| Antisemitismus zu begreifen habe, trennte die Generationen. | |
| [3][Der Künstler Peter Kahane, dessen Vater, der Journalist Max Kahane, | |
| ebenso Opfer der Säuberungen wurde, spricht in einem Podcast im | |
| Deutschlandfunk] davon, dass der Antisemitismus in der DDR seine Eltern | |
| nicht sonderlich interessierte hätte – obwohl sie selbst davon betroffen | |
| waren. „Was wussten sie schon vom Alltag in der DDR?“, fragt er, „was | |
| wussten sie von fremdenfeindlichen und antisemitischen Andeutungen?“ | |
| Und antwortet selbst: „Nicht viel.“ Damit spielt Kahane auch darauf an, | |
| dass antisemitische Äußerungen für seine Elterngeneration zum Alltag | |
| gehörten, während erst den Kindern deren feindseliger Charakter richtig | |
| bewusst wurde. | |
| Was sich trotz des Generationenkonflikts gehalten habe, sagt Ruth Zadek, | |
| sei die „Verpflichtung für die Familiengeschichte“. Nach der Wende habe sie | |
| sich ihrem Vater wieder angenähert. Zu diesem Zeitpunkt sei er endlich | |
| offen dafür gewesen, seine Rolle in der DDR und auch die DDR selbst zu | |
| hinterfragen. Jüdischsein bedeutet für Ruth Zadek gerade diese Weitergabe | |
| und Verständigung über Antisemitismus – den jede Generation unterschiedlich | |
| erlebt. | |
| 6 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Winter | |
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