| # taz.de -- Argentinien kippt Abtreibungsverbot: Abbrüche nun legal | |
| > Das Abtreibungsverbot in Argentinien wurde durch ein Senatsvotum gekippt. | |
| > Befürworter*innen sprechen von einem „historischen Moment“. | |
| Bild: Abtreibungsbefürworter:innen demonstrieren am Dienstag in Buenos Aires | |
| Buenos Aires taz | Argentiniens Senat stimmt für die Liberalisierung des | |
| Abtreibungsrechts. 38 Senator*innen votierten am frühen Mittwochmorgen mit | |
| Ja, 29 mit Nein – bei einer Enthaltung. Bei der Abstimmung ging Pro und | |
| Contra quer durch die Parteien. [1][Das Abgeordnetenhaus hatte bereits vor | |
| gut zwei Wochen zugestimmt]. Damit ist das 100-jährige Abtreibungsverbot | |
| gefallen. „Historisch“ war denn auch das Wort der Stunde. | |
| „Ya es ley – Es ist Gesetz“ jubelten die Befürworter*innen vor dem | |
| Kongressgebäude, erkennbar an den grünen Halstüchern, dem Symbol der | |
| Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung. | |
| Dagegen herrschte unter den mit hellblauen Halstüchern bestückten | |
| Gegner*innen Entsetzen und Enttäuschung. Bei hochsommerlichen Temperaturen | |
| über der 30-Grad-Marke hatten Grüne und Hellblaue auf den sechs | |
| Großbildschirmen die Debatte verfolgt, getrennt durch einen abgesperrten | |
| neutralen Korridor. | |
| Zukünftig ist ein legaler, sicherer und kostenloser Schwangerschaftsabbruch | |
| bis einschließlich der 14. Woche der Schwangerschaft erlaubt. Nach diesem | |
| Zeitraum ist ein Abbruch nach einer Vergewaltigung erlaubt oder wenn das | |
| Leben oder die Gesundheit der schwangeren Person in Gefahr ist. Das alte | |
| Gesetz aus dem Jahr 1921 ließ einen Abbruch nur zu, wenn die | |
| Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen oder das Leben der | |
| Mutter in Gefahr war. | |
| Das Szenario vor dem Kongress erinnerte an eine Senatsentscheidung zur | |
| Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen vor gut zwei Jahren – jedoch | |
| unter umgekehrten Vorzeichen und unter Corona-Bedingungen mit etwas weniger | |
| Menschen. Hatte sich der Senat jedoch 2018 mit 38 Nein-Stimmen gegen die | |
| Liberalisierung ausgesprochen, so zeichnete sich im Laufe der Nacht eine | |
| Mehrheit der Ja-Stimmen immer stärker ab. Stündlich stieg die Feierlaune | |
| unter den Grünen, während es bei den Hellblauen zunehmend stiller wurde. | |
| ## Persönliche Niederlage für Papst Franziskus | |
| Wie vor zwei Jahren hatten [2][die Gegner*innen alles auf die Entscheidung | |
| des Oberhauses] gesetzt. Noch wenige Stunden vor der Abstimmung versucht | |
| Papst Franziskus in die Debatte einzugreifen. „Der Sohn Gottes wurde als | |
| Ausgeschlossener geboren, um uns zu sagen, dass jeder ausgeschlossene | |
| Mensch ein Kind Gottes ist“, twitterte der ehemalige Erzbischof von Buenos | |
| Aires aus Rom. | |
| Tage zuvor hatte er bereits provokant gefragt, ob es „fair sei, ein Leben | |
| zu eliminieren, um ein Problem zu lösen“ und dafür „einen Killer | |
| anzuheuern“? Es ginge auch nicht um Religion, sondern um die menschliche | |
| Ethik, so der Papst. Für das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche ist | |
| das Abstimmungsergebnis eine schwere und auch persönliche Niederlage. | |
| Für Präsident Alberto Fernández ist es ein Erfolg. Der Präsident selbst | |
| hatte den Reformvorschlag im Kongress eingebracht und damit ein | |
| Wahlversprechen eingelöst. „Ich möchte, dass Frauen, die eine Abtreibung | |
| wünschen, dies unter gesetzlich festgelegten Bedingungen tun und ihre | |
| Gesundheit dabei garantiert ist“, bekräftigte Fernández noch kurz vor der | |
| Senatsentscheidung das Vorhaben. | |
| Schätzungsweise gibt es in Argentinien jährlich 300.000 bis 500.000 | |
| heimliche Abtreibungen. „Die Abtreibung ist ein Problem der öffentlichen | |
| Gesundheit“, so die Position des Präsidenten. Seit der Rückkehr zur | |
| Demokratie im Jahr 1983 seien mehr als 3.000 Frauen an den Folgen einer | |
| klandestinen Abtreibung gestorben, viele seien durch eine schlecht | |
| durchgeführte Abtreibung gesundheitlich geschädigt, erklärte Fernández. „… | |
| gibt ein heuchlerisches Argentinien, das die Abtreibung leugnet, wie es | |
| zuvor die Homosexualität geleugnet hat“, sagte er. | |
| Der Präsident zielte damit nicht nur auf die religiösen Gegner*innen aus | |
| der katholischen Kirche und der Allianz der evangelikalen Kirchen ACIERA. | |
| Gerade weltlich auftretende Organisationen wie die ultra-rechtsliberale | |
| Fundación Libre (Freie Stiftung) des 31-jährigen Politologen Agustín Laje | |
| aus der Provinz Córdoba waren mit ihrer Propaganda in den von Jugendlichen | |
| und jungen Erwachsenen bevorzugten sozialen Medien äußerst aktiv. Darin | |
| verbreitete die Stiftung ihre radikale Ablehnung des | |
| Schwangerschaftsabbruchs, des Feminismus sowie der Forderungen und | |
| Errungenschaften der LGBT+-Community. Nicht wenige der vor dem Kongress | |
| versammelten jungen Gegner*innen waren aus Córdoba angereist. | |
| ## Bedeutung für den gesamten Kontinent | |
| Auch wenn die Regierung den Triumph für sich verbuchen wird, gebührt der | |
| Erfolg zweifellos dem langen Atem der Kampagne für das Recht auf eine | |
| legale, sichere und kostenlose Abtreibung. 17 Jahre nach ihrer Gründung und | |
| mit dem Rückhalt von über 350 Gruppen und Organisationen aus den | |
| unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen haben es die | |
| Aktivist*innen der Kampagne geschafft, das nahezu 100 Jahre alte | |
| Abtreibungsgesetz zu kippen und ihre Forderung nach einer Liberalisierung | |
| durchzusetzen. Um den Kongress dafür zu gewinnen, hatten sie sich diesmal | |
| etwas im Hintergrund gehalten. | |
| Seit ihrer Gründung ist das grüne Halstuch das Symbol der Kampagne. Längst | |
| ist es zum Symbol für das Recht auf eine selbstbestimmte Abtreibung in | |
| Lateinamerika geworden. Der Triumph der Kampagne ist denn auch von | |
| Bedeutung für den gesamten Kontinent. „Es hilft uns die Debatte über eine | |
| Entkriminalisierung wieder auf die Tagesordnung zu setzen“, erklärte | |
| Lissett Alas von der Bürger*innengruppe zur Entkriminalisierung der | |
| Abtreibung in El Salvador. In ihrem Land, sowie in Nicaragua, Honduras, | |
| Haiti und der Dominikanischen Republik werde noch immer jede Abtreibung | |
| bestraft. | |
| 30 Dec 2020 | |
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| Jürgen Vogt | |
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