# taz.de -- Aktivist über Zwangsräumungen: „15 Räumungen haben wir verhind… | |
> Das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ versucht seit zwei Jahren genau | |
> das. Ein Gespräch über erfolgreiche Verhandlungen und den Nutzen von | |
> Blockaden. | |
Bild: Blockade gegen eine Zwangsräumung in Berlin-Neukölln im April 2014. | |
taz: Herr Schuster, nach einem gescheiterten ersten Versuch ist die Polizei | |
am Mittwochmorgen ein zweites Mal angerückt, um den Kölner Kalle aus seiner | |
Wohnung zu räumen, Anfang April gab es gleich drei Mobilisierungen zu | |
Blockaden von Zwangsräumungen in Berlin. Steht diese Häufung der Fälle für | |
den Erfolg oder Misserfolg des Bündnisses in den vergangenen zwei Jahren? | |
David Schuster: Insgesamt waren wir erfolgreich, weil sich nach den | |
größeren Mobilisierungen bei den Räumungen der [1][Familie Gülbol] und von | |
[2][Rosemarie Fliess] sehr viele Menschen bei uns gemeldet haben, die von | |
drohenden Räumungen betroffen sind. 15 dieser Räumungen konnten wir durch | |
unsere Arbeit verhindern. Dabei waren wir letztlich nie durch Blockaden | |
erfolgreich, sondern durch Verhandlungen im Vorhinein und mit | |
Blockadedrohungen. | |
Steigt denn die Zahl der Zwangsräumungen oder melden sich nur mehr | |
Betroffene? | |
Weil die Gerichtsvollzieher in Berlin privatisiert wurden, gibt es keine | |
genauen Zahlen über die Häufigkeit von Räumungen, sondern nur Schätzungen. | |
Diese gehen davon aus, dass sich die Problematik im vergangenen Jahr noch | |
einmal verschärft hat. Auch bei uns melden sich immer mehr Menschen. Bis | |
jetzt haben wir etwa 60 Betroffene unterstützt, allein im Moment haben wir | |
mit zehn Fällen zu tun, womit wir auch langsam an die Grenze dessen kommen, | |
was wir bewältigen können. Die Räumungen sind aber nur die Spitze des | |
Verdrängungs-Eisbergs. Die meisten Mieter lassen es nicht bis zur Räumung | |
kommen und ziehen vorher aus. Leider gibt es sehr zielgerichtete Strategien | |
der Vermieter, um alte Mieter loszuwerden und neue Zahlungskräftige in die | |
Häuser zu holen – und die Gerichte spielen dabei oft mit. | |
Wie kommt es dazu, dass das Berliner Bündnis gegen eine Zwangsräumung in | |
Köln protestiert? | |
Im Anschluss an unsere Initiative haben sich in einigen Städten Aktionen | |
entwickelt. In Hamburg, Freiburg und im Ruhrgebiet ist wahrgenommen worden, | |
was wir in Berlin machen und sich der Thematik ebenfalls angenommen worden. | |
Zu der [3][Initiative, die Kalle unterstützt], haben wir direkten Kontakt. | |
Beim ersten Räumungsversuch waren wir vor Ort, auch der Zwangsgeräumte Ali | |
Gülbol war mit dabei. | |
Ein zweiter Blockadeversuch war bislang stets erfolglos. Wieso wird es | |
dennoch versucht? | |
Es ist klar, dass man die Maßnahmen durch Blockaden meistens nicht | |
verhindern kann. Aber es geht darum, eine Öffentlichkeit herzustellen, in | |
der über das Problem diskutiert wird. Dafür sind Blockaden viel besser | |
geeignet, als die Arbeit im Hintergrund. Auch wollen wir den Menschen, die | |
mit der Mietentwicklung unzufrieden sind, eine Möglichkeit für ihren | |
Protest bieten. | |
Wie wird vor diesem letzten Schritt versucht, die Betroffenen zu | |
unterstützen? | |
Ein typisches Beispiel hatten wir im Januar vergangenen Jahres in | |
Berlin-Kreuzberg. Ein älteres Ehepaar, 70 und 80 Jahre alt, [4][sollte von | |
der Wohnungsbaugesellschaft WBM vor die Tür gesetzt werden]. Als erste | |
Gespräche nicht fruchteten, gab es bei der WBM ein Go-in, bei dem wir uns | |
eine Stunde ins Foyer gesetzt haben. Anschließend haben wir uns an den | |
damaligen grünen Bezirksbürgermeister Schulz gewandt, der dann Gespräche | |
aufgenommen hat. Weil auch diese erfolglos blieben, haben wir auf eine | |
Pressekonferenz mit einer Blockade gedroht. Es waren dann noch drei weitere | |
Verhandlungsrunden zwischen der WBM, Politikern und uns nötig, bis | |
eingelenkt wurde. Das Ehepaar lebt heute immer noch in ihrer Wohnung. | |
Sind Blockade-Androhungen also das Erfolgsrezept? | |
Besonders bei Wohnungsbaugesellschaften funktioniert das ganz gut, gerade | |
bei den öffentlichen. Da sitzen Staatssekretäre und andere Politiker in den | |
Aufsichtsräten, die sich im Zweifel für die unsoziale Politik verantworten | |
müssen. Schwieriger ist es bei privaten Vermietern. | |
Bei den Räumungsprotesten sind überwiegend Aktivsten aus der linken Szene | |
beteiligt. Wieso gelingt es mit dem Thema nicht, auch darüber hinaus zu | |
wirken? | |
Das stimmt nur für zwei oder drei der kleineren Blockaden, aber bei anderen | |
keineswegs. Sowohl bei den größeren Mobilisierungen als auch bei zwei | |
Räumungen vergangenen Sommer in Spandau waren sehr viele lokale Leute vor | |
Ort. Das ist auch stets unser Ziel, die Nachbarschaft mit einzubeziehen und | |
im Vorfeld zu sensibilisieren. | |
Die Blockade gegen die Räumung der Familie Gülbol war mit 1.000 Beteiligten | |
die bislang größte. Doch seit über einem Jahr gab es keine vergleichbare | |
Mobilisierung mehr. Zieht das Thema nicht mehr? | |
Für den Fall hatten wir einfach eine lange Vorbereitungszeit, die haben wir | |
selten. In Neukölln gab es vergangenen Sommer einen ähnlich gelagerten | |
Fall. Da klebten schon die Plakate und wären wieder so viele Menschen | |
gekommen, doch dann hat die Wohnungsbaugesellschaft kurzfristig einen | |
Rückzieher gemacht. Manchmal müssen wir dagegen innerhalb von 24 Stunden | |
mobilisieren, aber auch da kommen dann 100-200 Menschen. | |
Welche Aktionen sind vom Bündnis demnächst zu erwarten? | |
Diesen Donnerstag kommt es in Berlin zum Prozess gegen einen Demonstranten, | |
der vergangenes Jahr auf einer Demo nach dem Tod von Rosemarie Fliess von | |
der Polizei bewusstlos geschlagen wurde. Das werden wir solidarisch | |
begleiten. Ansonsten haben einige der Mieter, die wir schon lange betreuen, | |
zuletzt ihre Gerichtsprozesse verloren. Die werden in den nächsten Monaten | |
ihre Räumungstermine bekommen. Insofern steht da noch einiges an. | |
16 Apr 2014 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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