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# taz.de -- Zwangsräumung in Köln: Kalle für Alle
> Am Mittwoch soll Karl-Heinz Gerigk aus seiner Wohnung zwangsgeräumt
> werden. Zahlreiche Unterstützer wollen das verhindern.
Bild: Karl-Heinz Gerigk winkt den UnterstützerInnen, die im Februar den ersten…
KÖLN taz | Karl-Heinz Gerigk öffnet das Fenster und lehnt sich hinaus.
„Dieses Viertel ist mir ans Herz gewachsen“, sagt der 54-Jährige. Die
meiste Zeit seines Lebens wohnt er hier. Jetzt soll er weg. Am Mittwoch
steht die Zwangsräumung an. Es ist der zweite Versuch der Behörden, ihn aus
seiner Wohnung im Kölner Agnesviertel zu holen. Der erste scheiterte dank
einer Blockade von Unterstützern und Nachbarn. Sonst würde der Wimpel mit
dem Geißbock und dem Logo des 1. FC Köln heute nicht mehr an der Wand in
der Küche hängen.
Als „Kalle“ ist Karl-Heinz Gerigk weit über die Stadtgrenzen Kölns hinaus
zur Symbolfigur einer Bewegung gegen Zwangsräumung und Gentrifizierung
geworden. Sogar in Chile trugen Ende März Demonstranten ein „No Mas
Desalojos – Alle für Kalle“-Transparent. Pfarrer, Künstler und
Schriftsteller wie Günter Wallraff haben sich solidarisiert. „Kämpf
weiter!“, schrieb ihm der Liedermacher Konstantin Wecker. Als Münchner
wisse er, „was es heißt, das Bett unter seinem Hintern wegsaniert zu
bekommen“. Die breite Unterstützung gehe ihm „schon nahe“, sagt Gerigk.
„Das ist Wahnsinn.“
Mit München und Stuttgart gehört Köln zu den drei Großstädten mit den
höchsten Mieten in Deutschland. Gerigks Fall steht exemplarisch für die
Verdrängung alteingesessener Mieter aus den besonders begehrten Lagen. „Das
ist ein Problem, das viele betrifft“, sagt der städtische Angestellte.
Seit 32 Jahren lebt der Junggeselle in seiner 68 Quadratmeter großen
Wohnung in der Fontanestraße. Die Miete beträgt deswegen nur 345 Euro kalt
– für heutige Verhältnisse extrem günstig. In den vergangenen zehn Jahren
hätten sich die Immobilienpreise im Agnesviertel verdoppelt, berichtet er.
Bei Neuvermietung müsse inzwischen bis zu 17 Euro der Quadratmeter gezahlt
werden. Das macht die innenstädtische Gegend so attraktiv für
Immobilienhaie. Nach der Entmietung der Häuser folgt die Luxussanierung.
## „Eigenbedarf“ war plötzlich erledigt
Wie das funktioniert, erlebt Gerigk gerade am eigenen Leib. Seine und die
danebenliegende Dachgeschosswohnung kauften vor ein paar Jahren zwei eng
verbandelte Immobilienmakler für je rund 100.000 Euro. Mit dem Hinweis auf
„Eigenbedarf“ wollten die beiden umgehend die bisherigen Mieter raushaben.
„Da hat gleich ein rauer Wind geweht“, berichtet Gerigk. Seine Nachbarn
gingen mit einer Abfindung widerstandslos. Der neue Besitzer ließ die
Wohnung kräftig aufmöbeln. Dann verkaufte er sie für etwa 345.000 Euro.
Sein Eigenbedarf hatte sich plötzlich erledigt.
Gerigk aber wollte nicht ausziehen, seit über sechs Jahren zieht sich der
Streit hin. Im Jahr 2013 verlor Kalle seinen letzten Prozess. Obwohl der
Eigentümer die Wohnung schon im Internet zum Kauf anbot, hielt das Gericht
die Kündigung wegen Eigenbedarfs für rechtmäßig.
Am 16. Dezember 2013 hätte Gerigk die Wohnung verlassen müssen. Doch er
blieb. „Ich will ein Zeichen setzen“, sagt der drahtige Mann mit den kurzen
weißen Haaren. „Es kann doch nicht sein, dass sich nur noch die Yuppies und
die, die die dicke Kohle haben, das Wohnen in der Innenstadt leisten
können.“ Als die Nachbarn, Bekannten und Kollegen von der drohenden
Zwangsräumung erfuhren, reagierten sie zunächst besorgt. „Einige dachten,
ich hätte meine Miete nicht gezahlt“, erzählt er. Doch das hat er immer
getan. „Alle für Kalle – Kalle für alle“ ist das Motto, hinter dem sich
Leute aus sozialen Initiativen, Autonome und viele seiner Nachbarn sammeln.
Gerigk hat sich auf den Tag X gut vorbereitet. Was ihm lieb und teuer ist,
hat er mittlerweile bei Freunden untergebracht. In einem Zimmer steht nur
noch sein Schreibtisch samt Laptop, in einem anderen liegt die Matratze,
auf der er schläft. Im Kühlschrank finden sich ein kleiner Bionade-Vorrat
und zwei Flaschen Kölsch, Salat und andere frische Lebensmittel.
Ein politischer Mensch war Gerigk immer schon. Mit glänzenden Augen
erinnert er sich an die legendäre Stollwerck-Besetzung Anfang der achtziger
Jahre und auch, wie er damals im Bonner Hofgarten für den Frieden
demonstrierte. Auch ansonsten ist er immer wieder auf die Straße gegangen.
„Nur hat da keiner gerufen: Ach, da ist ja der Kalle, und mich auf die
Bühne geholt“, sagt er und lacht. Das passiert jetzt öfter. Während der
Demos zum Warnstreik im öffentlichen Dienst ließen sich Grünen- und
Linken-Kommunalpolitiker mit dem parteilosen Gewerkschafter fotografieren.
Einer von ihnen war Andreas Hupke, der grüne Bezirksbürgermeister in der
Kölner Innenstadt. Er findet es „klasse, dass Kalle Gerigk den Rechtsstaat
voll und ganz in Anspruch nimmt“, sagt der 64-Jährige. „Wenn das alle
machen würden, wären wir schon ein Stück weiter.“ Seine Standhaftigkeit sei
ein „historisches Verdienst“. Hupke wohnt seit 40 Jahren in der Innenstadt.
## Letztes Mal zog die Polizei wieder ab
„Wir wollen eine heterogene Wohnbevölkerung, aber mittlerweile wird nicht
nur die Unterschicht, sondern auch die Mittelschicht vertrieben“, sagt er.
Beim ersten Räumungsversuch Mitte Februar war Hupke mit auf der Straße.
Während Gerigk mit Freunden in seiner Wohnung wartete, versperrten einige
Hundert Demonstranten den Zugang zum Haus. Schließlich zogen der
Gerichtsvollzieher und die Polizei wieder ab. Es habe ihn „umgehauen, dass
es geklappt hat, die Räumung zu verhindern“, sagt Gerigk. Ob das ein
zweites Mal gelingt, ist er skeptisch. Aber er will es drauf ankommen
lassen. Seine Unterstützer wollen das auch: Für Mittwochfrüh haben sie zur
Sitzblockade mit Straßenfest aufgerufen.
Sein Kampf für bezahlbaren Wohnraum hat Karl-Heinz Gerigk inzwischen auch
berufliche Konsequenzen ziehen lassen. Seinen bisherigen Job bei der
Volkshochschule Köln hat er aufgegeben. Stattdessen arbeitetet er jetzt –
beim städtischen Wohnungsamt. Da kümmert er sich um Menschen, die von
Obdachlosigkeit bedroht sind.
15 Apr 2014
## AUTOREN
Pascal Beucker
Anja Krüger
## TAGS
Köln
Gentrifizierung
Zwangsräumung
Mieterschutz
Hunde
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