# taz.de -- Zwangsräumung in Köln: Kalle will weiterkämpfen | |
> Der Kölner Mieter Karl-Heinz Gerigk wurde vor die Tür gesetzt, obwohl er | |
> stets Miete gezahlt hatte. Ein Protokoll eines Vorgangs, der kein | |
> Einzelfall ist. | |
Bild: Symbolfigur im Kampf gegen Mieterhöhungen und Luxussanierungen: Kalle Ge… | |
Er ist ein Kölner Urgestein und zur Galionsfigur eines Kampfes in den | |
Metropolen geworden. In Hamburg, Frankfurt und Berlin wenden sich | |
stadtpolitische Gruppen gegen Zwangsräumungen und Stadtaufwertung. Sie | |
befürchten, dass bald nur noch Reiche in den Zentren wohnen dürfen. Der | |
Kölner Mieter Karl-Heinz Gerigk, genannt Kalle, ist zur Symbolfigur dieser | |
Bewegung geworden. Am Mittwoch kam der Gerichtsvollzieher zu ihm. Nach 32 | |
Jahren wurde seine Wohnung, für die er immer Miete zahlte, zwangsgeräumt – | |
wegen angeblichen Eigenbedarfs. Lesen Sie hier das Protokoll eines ganz | |
alltäglichen Akts. | |
+++ 1.45 Uhr: Kalle Gerigk will sich an der Tankstelle die neue Ausgabe der | |
Lokalzeitung kaufen. Als er zurückkommt, ist die Polizei da. Sie will ihn | |
heute aus seiner Wohnung werfen. Die Beamten wollen nicht noch mal ein | |
Desaster wie im Februar erleben, als sie unverrichteter Dinge bei Kalle | |
Gerigk abziehen musste. Auch für heute haben Gruppen Widerstand | |
angekündigt. Parole: „Alle für Kalle!“ | |
+++ 2.35 Uhr: Auf Twitter kommt die erste Meldung: „ALARM! Cops sind | |
bereits mit Hundertschaft vor Ort.“ | |
+++ 5.05 Uhr: Unterstützer der Initiative „Alle für Kalle“ sammeln sich v… | |
der Absperrung. | |
+++ 6.00 Uhr: Vor und in der Wohnung von Kalle Gerigk befinden sich ein | |
ZDF-Team und rund 15 Unterstützer. Sie kamen schon am Vorabend. Jetzt | |
installieren die Unterstützer eine Lautsprecheranlage. | |
+++ 6.20 Uhr: Gerigk geht die Treppen hinunter, wirft einen Blick in den | |
Keller, in dem sich mehrere ihm unbekannte Personen aufhalten. Dann geht er | |
vor den Eingang zu den Journalisten. „Ich gehe hier erhobenen Hauptes | |
hinaus.“ Erst einmal geht er aber zurück in seine Wohnung. | |
+++ 6.50 Uhr: Eine Nachbarin schiebt ihr Fahrrad am Haus vorbei. „Das ist | |
ja wie beim Tatort hier“, sagt sie. | |
+++ 6.53 Uhr: Draußen stehen rund 200 Demonstranten hinter Drängelgittern. | |
+++ 6.58 Uhr: Aktivisten im Hausflur richten sich auf den Treppenstufen vor | |
Gerigks Wohnung ein. Sie sitzen auf Isomatten und Schlafsäcken. „Alle für | |
Kalle, Wohnen für alle“ steht auf einem Transparent. Für sie ist das heute | |
wieder ein Kampftag. Es geht nicht nur um Kalle, es geht ihnen auch um all | |
die anderen. | |
+++ 7.05 Uhr: Gerigks Wohnung ist fast leer, in der Küche stehen zwei rote | |
Klappstühle, in einem Zimmer liegt eine Matratze. „Egal wie es ausgeht, wir | |
haben wahnsinnig viel erreicht“, sagt Gerigk. Er wirkt sehr angespannt. | |
+++ 7.15 Uhr: Von der Bühne draußen dringt die Stimme von Rolly Brings ins | |
Haus. Der Kölner Liedermacher hat ein Lied für Gerigk geschrieben: „Heute | |
trifft es Kalle: Sim-sala-bim-bamba-saladu-saladim / Pass auf: Schon morgen | |
trifft es dich!“ Im Hausflur vor Gerigks Wohnung klappt eine Frau einen | |
kleinen schwarzen Stuhl aus. Sie isst eine Mandarine. | |
+++ 7.17 Uhr: Ein Gerichtssprecher bestätigt: Der Gerichtsvollzieher ist im | |
Haus. Im Keller wartet er auf seinen Einsatz. | |
+++ 7.39 Uhr: Draußen macht der „DJ der guten Laune“ seinem Künstlernamen | |
alle Ehre. Der Mann mit dem grauen Haar legt ein Lied auf. Es stammt von | |
der legendären niederländischen Band Bots und heißt: „Was wollen wir | |
trinken“. Kaffee wäre nicht schlecht. | |
+++ 8.19 Uhr: Ein weißer Möbelwagen fährt vor, hält direkt neben dem | |
Eingang zur Fontanestraße 5. Die Türen werden geöffnet, zu sehen sind | |
Umzugkartons. | |
+++ 8.24 Uhr: Polizisten fordern die Blockierer im Haus zum Aufgeben auf. | |
Die wollen das nicht. | |
+++ 8.27 Uhr: Der erste Blockierer wird von Polizisten die Treppen | |
hinuntergetragen. „Die Häuser denen, die drin wohnen“, rufen die | |
Demonstranten draußen. Immer mehr Polizisten gehen ins Haus. | |
+++ 8.41 Uhr: Weitere Blockierer werden aus dem Haus getragen. Einige | |
beschweren sich, dass die Polizei zu ruppig mit ihnen umgeht. | |
+++ 8.55 Uhr: Das Treppenhaus ist leer geräumt. Im Hauseingang erscheinen | |
Karl-Heinz Gerigk und der Gerichtsvollzieher. Gerigk übergibt seine | |
Wohnungsschlüssel. | |
+++ 8.56 Uhr: Es ist vorbei. | |
+++ 9.10 Uhr: Kalle Gerigk kommt zu den Journalisten. Er sei sehr „gerührt“ | |
über den vielen Zuspruch. Jetzt wolle er erst einmal bei Freunden | |
übernachten. Doch seine Ansage ist klar: Gegen Gentrifizierung will Gerigk | |
weiterkämpfen. „Das Problem ist riesengroß!“ Dann will er wissen, ob den | |
Sitzblockierern etwas passiert ist. „Ist jemand verletzt?“ Tatsächlich hat | |
ein Aktivist eine Platzwunde am Kopf erlitten. Er muss ärztlich behandelt | |
werden, bestätigt ein Polizeisprecher. | |
+++ 9.47 Uhr: Ein Gerichtssprecher erklärt Vollzug – und die Räumung für | |
beendet. | |
+++ 10.40 Uhr: Das Landgericht Köln teilt in einer Pressemitteilung mit: | |
„Gerichtsvollzieher räumt Wohnung im Agnesviertel“. Der anonyme Satz passt | |
ins Bild: Kalle Gerigk ist nur einer von vielen. | |
+++ 12.03 Uhr: Mit einer Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz endet die | |
Spontandemonstration, die Gerigks Unterstützer nach der Zwangsräumung | |
gleich ausriefen. Georg Kümmel von der Initiative „Recht auf Stadt“ gibt | |
die Parole aus, die nun für alle gelten soll: „Das war heute nicht das | |
Ende.“ Auch Kalle will weiter kämpfen. | |
16 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anja Krüger | |
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