# taz.de -- Sozialwohnungen in Berlin: „Senat verschleppt das Problem“ | |
> Ex-Senatorin Katrin Lompscher (Linke) über Fehler in der Wohnungspolitik | |
> unter Rot-Rot und was jetzt passieren muss, damit Wohnen bezahlbar | |
> bleibt. | |
Bild: Ein frommer Wunsch, auf einem Wandbild am Kottbusser Tor. | |
taz: Frau Lompscher, Rot-Rot hat 2003 den Ausstieg aus der | |
Anschlussförderung für 28.000 Sozialwohnungen beschlossen – wohl wissend, | |
dass die Mieten dort explodieren würden. Aus heutiger Sicht ein Fehler, | |
oder? | |
Katrin Lompscher: Den Ausstieg aus der Anschlussförderung halte ich nach | |
wie vor für keinen Fehler. Das besondere Fördersystem, das es nur in | |
Westberlin gab, durfte und konnte man nicht ohne weiteres fortsetzen. | |
Letztlich war es eine Subventionsmaschine ohne Gegenleistung, die es den | |
Fördernehmern ermöglicht hat, richtig Kasse zu machen. | |
Aber so hat man das Problem auf die Mieter abgewälzt. | |
Weil man unterschätzt hat, dass sich die Wohnungssituation in kurzer Zeit | |
stark ändern würde. Das war 2003 mit einem Leerstand von über 100.000 | |
Wohnungen nicht absehbar. Damals dachte man, die horrenden Kostenmieten, | |
die die Vermieter nach Wegfall der Anschlussförderung theoretisch sofort | |
verlangen konnten, seien auf dem Markt nicht durchsetzbar. Und das waren | |
sie am Anfang auch nicht. Aber das änderte sich ab 2007/2008, als es auf | |
dem Wohnungsmarkt eng wurde. Leider konnten wir uns beim Wohnraumgesetz vom | |
Sommer 2011 nicht gegen die SPD durchsetzen. Das war zweifellos ein Fehler, | |
diesem Gesetz zugestimmt zu haben. | |
Weil es am Problem der hohen Kostenmiete gar nichts ändert? | |
Richtig. Man hat den Eigentümern im Gegenteil explizit die Möglichkeit | |
eingeräumt, die Kostenmiete zu nehmen, es sei denn, die Wohnungen fallen im | |
Zuge eines Eigentümerwechsels ganz aus dem geförderten Status raus und | |
werden dem Vergleichsmietensystem unterstellt. Da hätte es sicher andere | |
Möglichkeiten gegeben – allein, sie waren politisch nicht durchsetzbar. | |
Rein rechtlich wäre es möglich, die Kostenmiete um aufgeblähte, fiktive | |
Kosten zu bereinigen, sodass die bestehenden Sozialwohnungen preisgünstig | |
bleiben, sagt das Netzwerk Mieterstadt.de. Warum wird das nicht gemacht? | |
Natürlich könnte man jetzt an die Kostenmiete ran, seit 2006 ist der | |
soziale Wohnungsbau ja Ländersache. Aber wir beobachten, dass der aktuelle | |
Senat den dringlichen und selbst formulierten Novellierungsbedarf des | |
Wohnraumgesetzes verschleppt. | |
Warum wohl? | |
Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen, bei zwei Millionen Wohnungen in | |
Berlin betrifft das Problem ja nur 28.000 Wohnungen, wo die | |
Anschlussförderung weggefallen ist, beziehungsweise knapp 150.000 | |
Wohnungen, die überhaupt noch dem System der ehemaligen | |
Wohnungsbauförderung unterliegen – und das werden nach und nach immer | |
weniger. Womöglich setzt der Senat darauf, dass die Aufmerksamkeit für das | |
Thema nach und nach schwindet. | |
Aber Fakt ist, dass immer mehr Menschen ihre Miete nicht zahlen können. | |
Ja, natürlich. Wir haben über 500.000 Haushalte, die eigentlich auf | |
Wohnungen zum Sozialtarif angewiesen sind. Das heißt, wir brauchen | |
bezahlbare Wohnungen außerhalb dieses speziellen Segments des sozialen | |
Wohnungsbaus – und zwar in erheblichem Umfang. Deshalb muss man vor allem | |
darüber nachdenken, wie man den preiswerten Wohnungsbestand, den es ja | |
außerhalb des sozialen Wohnungsbaus zum Glück auch noch gibt, erhält und | |
ausbaut. | |
Ein Vorschlag dazu lautet, das Land solle wieder in den sozialen | |
Wohnungsbau einsteigen – mittels eines revolvierenden Fonds, der günstige | |
Kredite von der Landesbank bekommt und mit den Mieteinnahmen zurückzahlt. | |
In Salzburg wird das bereits erfolgreich praktiziert. | |
Die Idee finden wir auch gut – als einen Teil eines Drei-Säulen-Modells. | |
Aus unserer Sicht ist beim öffentlichen Wohnungsbau das Hauptthema die | |
Stärkung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften und deren soziale | |
Ausrichtung. Das heißt, das Land gibt jedes Jahr eine Summe X an die | |
Gesellschaften – gegen klare wohnungspolitische Vorgaben. Die zweite Säule | |
wäre ein Wohnungsbaufonds, aber mit einer stärkeren sozialen Zielrichtung | |
als es gerade diskutiert wird: 7,50 Euro Anfangsmiete plus einer Steigerung | |
von 20 Cent alle zwei Jahre ist zu viel. Die Miete müsste schon dauerhaft | |
unter sechs Euro pro Quadratmeter liegen. Die dritte Säule ist ein Fonds in | |
Landeshand, der Bestände ankauft, zum Beispiel für Mieterinitiativen. Wenn | |
die städtischen Gesellschaften das aus irgend einem Grund nicht machen | |
wollen oder können, dann wäre es wichtig, zum Beispiel durch Wahrnehmung | |
des kommunalen Vorkaufsrechts, in bestimmten Gebieten Objekte anzukaufen, | |
um dort preiswerten Wohnungsbestand zu sichern. | |
Würden Sie auch die 140.000 Wohnungen zurückkaufen, die Rot-Rot verkauft | |
hat? Allein die GSW hatte 60.000 Wohnungen, darunter das Neue Kreuzberger | |
Zentrum, deren Rückkauf Kotti & Co jetzt fordern. | |
Aus heutiger Sicht sage ich: Je mehr städtische Wohnungen, desto besser. | |
Der Ankauf und Rückkauf hat für mich einen ganz hohen Stellenwert. Und es | |
ist unstrittig in der Linken, dass der Verkauf, insbesondere der der GSW, | |
ein Fehler war. Dennoch muss man sich die damalige Situation vor Augen | |
führen: Wir mussten kurzfristig ein Haushaltsloch von über einer Milliarde | |
Euro stopfen, um nicht vors Verfassungsgericht gezerrt zu werden. Und alle | |
Alternativen waren ebenfalls schrecklich. Die zweite rot-rote Koalition ab | |
2006 verständigte sich dann auf Initiative der Linken auf einen | |
Privatisierungsstopp. 2011 haben die städtischen Gesellschaften wieder | |
angefangen, Wohnungen zu kaufen. 15.000 sind es bislang. Diesen Auftrag | |
haben sie noch von unserem Senat bekommen. | |
Dieses Interview ist Teil des aktuellen Themenschwerpunkts zu | |
Mietsteigerungen in Sozialwohnungen in der Wochenendausgabe der taz.berlin. | |
In Ihrem Briefkasten und am Kiosk. | |
3 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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