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# taz.de -- Obdachlosenunterkünfte in Berlin: Abkassieren leicht gemacht
> In vielen Notunterkünften herrschen miese Bedingungen. Die meist privaten
> Träger machen dennoch Kasse – in manchen Bezirken gibt es keinerlei
> Kontrollen.
Bild: Wohnen ist keine Ware? Leider doch. Berliner, die ihre Wohnung verlieren,…
Ein Schlafplatz im Mehrbettzimmer, abgewetzte Matratzen, Spinnweben an den
Wänden, der Waschbereich ist mit verschimmeltem Teppichboden ausgelegt,
kaum Glühbirnen: Rund 350 Euro im Monat erhält der Betreiber einer
Obdachlosenunterkunft in Pankow pro Bewohner für diese Unterkunft, bezahlt
vom Jobcenter oder Sozialamt. Knapp 6.000 wohnungslose Menschen leben in
Berlin in Notunterkünften, die überwiegend von privaten Unternehmen
betrieben werden. Dort herrschen teils unzumutbare Bedingungen, wie
Prüfberichte zeigen, die die Piratenfraktion nach dem
Informationsfreiheitsgesetz bei den Bezirken angefordert hat.
„Badewannen können aus hygienischer Sicht nicht mehr benutzt werden“, hei�…
es in einem Bericht aus Pankow, „in sämtlichen Bereichen der Einrichtung
sind Wasserschäden zu verzeichnen.“ In einem anderen aus
Marzahn-Hellersdorf heißt es, die Zimmer wirkten überwiegend „abgewohnt,
dunkel, stickig, verraucht und teilweise stark zugemüllt“, die
Stromversorgung funktioniere nur teilweise, nur eine Dusche sei
funktionstüchtig, die Bewohner berichteten von Schaben in den Zimmern.
In vielen anderen Unterkünften dürfte die Situation ähnlich schlecht sein,
allerdings finden in vielen Bezirken aus Personalmangel seit Jahren keine
Prüfungen statt. Friedrichshain-Kreuzberg erklärte 2013, es finde keine
Prüfung der Einrichtungen statt, „da der Arbeitsbereich nicht mehr
vorhanden ist“. Pankow begeht die Einrichtungen einmal jährlich – ein Jahr
im Voraus angekündigt. In Marzahn-Hellersdorf fanden „aufgrund der
schwierigen Personalsituation“ 2012 und 2013 keine Kontrollen statt, ebenso
wenig in Spandau. In keinem einzigen Fall wurden Sanktionen verhängt.
Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz sind die Kommunen
verpflichtet, wohnungslosen Menschen eine Notunterkunft bereitzustellen.
Dafür sind die Bezirke zuständig, eine zentrale Stelle koordiniert die
freien Plätze. Das Betreiben von Obdachlosenunterkünften ist ein lukratives
Geschäft: Die Kosten werden von den Sozialämtern übernommen, sie liegen
zwischen 6 und 68 Euro pro Platz und Nacht. Rund 60 Prozent der 130
Einrichtungen in Berlin gehören privaten Trägern, der Rest freien Trägern
wie der Diakonie oder der AWO. Die Auslastung liegt bei fast 100 Prozent.
„Es kann nicht sein, dass die Betreiber von Obdachlosenunterkünften Profite
auf Kosten der Wohnungslosen machen, indem sie die ohnehin schon viel zu
niedrigen Qualitätsstandards unterschreiten“, sagt Alexander Spies von den
Piraten. Er fordert unangekündigte Kontrollen und Sanktionen. Die
Senatsverwaltung für Gesundheit verwies auf Anfrage der taz darauf, dass
die Prüfung der Einrichtungen eine „bezirkliche Aufgabe“ sei.
Die Leitlinie der Berliner Wohnungslosenpolitik stammt noch von 1999, darin
wird gefordert, Unterbringungen ohne qualifizierte Betreuung zu vermeiden.
„Jetzt werden auch wieder Familien mit kleinen Kindern in solchen
Unterkünften untergebracht“, sagt Susanne Gerull, als Professorin an der
Alice-Salomon-Hochschule spezialisiert auf Wohnungslosenhilfe. „Das ist
eine Katastrophe.“ Obwohl die Unterkünfte nur übergangsweise gedacht seien,
gebe es immer häufiger Menschen, die über mehrere Jahre dort lebten.
Offizielle Zahlen zur Wohnungslosigkeit werden in Berlin nicht erhoben. Die
Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales schrieb in einer
Sitzungsvorlage vom März 2013, bereits seit 2009 sei „eine stetige
Steigerung der Bedarfs an Unterbringungsplätzen für wohnungslose Menschen
zu verzeichnen“. Dies hänge mit dem fehlenden Angebot an preiswertem
Wohnraum zusammen, ebenso wie mit der längeren Verweildauer derer, die
einmal in einem solchen Heim gelandet sind.
19 May 2014
## AUTOREN
Juliane Schumacher
## TAGS
Mieten
Berlin
Wohnen
Gentrifizierung
Obdachlosigkeit
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Zwangsräumung
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Mietenprotest
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