# taz.de -- Fragwürdige „Immobilien-Verwertung“: Not gegen Elend | |
> In der Bremer Neustadt soll eine profitable Herberge für Obdachlose | |
> entstehen. Die bisherigen Mieter wehren sich gegen ihre Verdrängung. | |
Bild: Auch auf dem Marktplatz haben die Rückertstraßen-BewohnerInnen schon f�… | |
BREMEN taz | Obdachlose zu beherbergen, das kann dieser Tage in Bremen ein | |
gutes Geschäft sein. 20 bis 30 Euro zahlt die Stadt für ein Bett, pro | |
Person und Nacht. Da lassen sich also schon mal 600 bis 900 Euro im Monat | |
verdienen. Pro Zimmer. | |
Yehya Masri betreibt eine solche Herberge in der Bremer Neustadt. Gerade | |
kauft er ein Haus, gleich nebenan, in der Rückertstraße 2. Und die | |
bisherigen Eigentümer, so sagt er, haben sich verpflichtet, ihm das Haus | |
„mieterfrei“ zu übergeben. Also wurden auf vier Etagen alle Mietverträge | |
gekündigt, schon vor Monaten – mit Hinweis auf die „wirtschaftliche | |
Verwertung“ der Immobilie. | |
Nun sind die noch Verbliebenen, neun BewohnerInnen dreier | |
Wohngemeinschaften, selbst von Obdachlosigkeit bedroht. Bisher zahlen sie | |
etwa 700 Euro Warmmiete, für 85 Quadratmeter. Und ihre Angst, angesichts | |
rapide steigender Mieten nichts vergleichbares in der Neustadt zu finden, | |
ist groß. | |
## Geschäftsmodell mit Obdachlosen | |
Seit Monaten wehren sie sich gegen ihre Verdrängung, gründeten die | |
Initiative „Rückert bleibt“, protestierten auf dem Marktplatz. Am | |
Donnerstag erzielten sie einen ersten Erfolg: Die Eigentümer haben die | |
Räumungsklage für das dritte Geschoss zurückgezogen, am Tag bevor es zum | |
Prozess kommen sollte. „Wir gehen nicht davon aus, dass uns die Eigentümer | |
nun in Frieden wohnen lassen werden“, so die Initiative. Weitere Prozesse | |
stehen noch aus, der nächste ist für Anfang Januar terminiert. | |
„Wir sind für das Recht auf Wohnen für alle, insbesondere für auf dem | |
Wohnungsmarkt benachteiligte Personen“, schreibt die Initiative auf ihrem | |
Blog – Flüchtlinge, Hartz-IV-EmpfängerInnen, prekär Beschäftigte, | |
Studierende, Wohnungslose. Doch hier gehe es ausschließlich um die | |
„privaten Profitinteressen“ des Hauseigentümers, kritisieren die | |
langjährigen MieterInnen. | |
„Die Rechnung ist einfach, das Geschäftsmodell mit Obdachlosen und | |
Geflüchteten ist lukrativer als die dauerhafte Vermietung“, sagt Ariane von | |
Mach, die auch in der Rückertstraße 2 wohnt. Zu den MieterInnen gehören | |
drei SozialarbeiterInnen, die selbst mit der Betreuung obdachloser und | |
geflüchteter Menschen betraut sind. „Es geht nicht an, dass hier | |
verschiedene Gruppen gegeneinander ausgespielt werden“, sagt eine von | |
ihnen. Mit ihrer Initiative protestieren sie vor allem gegen die wachsende | |
„Konkurrenz zwischen verschiedenen benachteiligten Personengruppen um | |
bezahlbaren Wohnraum“ in Bremen. | |
## Sozialressort zweifelt an Rechtmäßigkeit | |
Das Vorgehen ihres Vermieters halten sie schlicht für „skrupellos“. Masri | |
will der taz zu der Auseinandersetzung nichts weiter sagen, noch ist das | |
Haus auch nicht seines. Und der Anwalt der alten und neuen Eigentümer des | |
Hauses war am Freitag für die taz nicht zu erreichen. | |
Inzwischen hat sich auch das Sozialressort in den Streit eingemischt. „Das | |
Gebaren des Eigentümers nehmen wir mit Befremden zur Kenntnis“, sagt | |
Ressortsprecher Bernd Schneider, der ohnehin an der Rechtmäßigkeit der | |
Räumungsklagen zweifelt. Es dürfe nicht sein, dass Eigentümer ihre Mieter | |
aus den Wohnungen herausklagten, in der Erwartung, mit der Unterbringung | |
von Obdachlosen höhere Profite zu erwirtschaften. „Das stiftet sozialen | |
Unfrieden“, sagte Schneider, und „da dürfen wir nicht die treibende Kraft | |
sein“. | |
„Im Zweifel“ müsse auch die weitere Unterbringung von Obdachlosen in der | |
Rückertstraße „auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Schneider. Etwa | |
eine Handvoll Obdachloser ist derzeit schon tageweise im zweiten Stock | |
untergebracht – die Familie mit den zwei neugeborenen Kindern, die vorher | |
dort wohnte, ist bereits ausgezogen, zu groß waren der Stress mit dem | |
Vermieter und der Baulärm der letzten Monate. Die Mieter sprechen von | |
„unangekündigten Baumaßnahmen“ und „etlichen Schikanen“. | |
## „Alternativen entwickeln“ | |
Die Unterbringung von Obdachlosen dürfe nicht dem privaten Sektor | |
überlassen werden, fordert die Initiative „Rückert bleibt“. Doch für die | |
Sozialbehörde ist die vergleichsweise teure, tageweise Anmietung von | |
Zimmern für Obdachlose immer noch die günstigste Variante, sagt Schneider. | |
So fallen keine Kosten für Leerstand oder Sanierungen an. | |
Zwar gab es früher sogenannte OPR-Wohnungen, Unterkünfte nach | |
Obdachlosenpolizeirecht – in den 70er-Jahren gab es nach Angaben des | |
Senates davon 1.000, Anfang der 90er-Jahre sogar 3.500, bei verschiedenen | |
Bremer Wohnungsbaugesellschaften –, inzwischen sind es aber nur noch 178: | |
Anfang der Nullerjahre wurden aus den meisten OPR-Unterkünften reguläre | |
Mietwohnungen. | |
Ob der „misslichen Situation“ wie nun in der Neustadt will die Behörde aber | |
jetzt „Alternativen entwickeln“, so Schneider, ohne genauere Angaben zu den | |
Plänen der Behörde zu machen. | |
6 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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