# taz.de -- AfD-Treffen in Brandenburger Gemeinde: Kein ruhiges Hinterland | |
> In Steinhöfel in Brandenburg veranstalten AfD-Politiker mehrere Treffen. | |
> Seitdem ist der Ort in Aufruhr. Und mitten in einer beispielhaften | |
> Debatte. | |
Und dann erhebt sich im Gemeindesaal von Steinhöfel der Mann mit den | |
zurückgekämmten grauen Locken und der Jeansjacke und geht nach vorne zum | |
Mikro. „Mich dürften hier ja alle kennen“, sagt der Mittfünfziger. „Ich… | |
der Betreiber des Ulmenhofs.“ | |
Er räuspert sich, seine Finger knittern nervös einen Zettel. Er verstehe | |
„diesen Hype“ nicht. Und er lasse sich auch nicht erpressen. Sein Gasthof | |
bleibe für alle offen. Es seien „blanke Lügen der Antifa“, dass es in der | |
AfD nur Rassisten gebe. „Und wenn hier für eine bunte Kultur eingetreten | |
wird, dann gehören da alle rein. Darüber sollte man mal nachdenken.“ | |
Der Mann, der später sagt, er wolle seinen Namen nicht in der Zeitung | |
lesen, spricht am Montagabend im Sozialausschuss von Steinhöfel. Ein | |
kleiner Raum, an den Wänden Fotos aus dem Ort, ein Dutzend BesucherInnen | |
auf roten Stühlen – so viele wie lange nicht. Mit einem Beamer an eine Wand | |
geworfen sind die AusschussvertreterInnen und Bürgermeisterin Claudia Simon | |
per Video aus ihren Wohnzimmern zugeschaltet. | |
In der letzten Reihe im Saal hört ihn auch Arnold Bischinger, auch er ein | |
Mitfünfziger, groß gewachsen, Anwohner, Vorstand des Vereins Kulturscheune | |
und Kulturamtsleiter des Landkreises. Auch er stand zuvor am Mikrofon. Es | |
könne nicht im Sinne der Gemeinde sein, dass sich der Ulmenhof zum | |
Treffpunkt „für Führungskader des Flügels“ entwickele, sagte er in ruhig… | |
Ton. | |
## Limousinen vor dem Ulmenhof | |
Dass da bereits der Betreiber neben ihm sitzt, bemerkt Bischinger erst, als | |
dieser am Mikro zum Rundumschlag ausholt. Danach herrscht im Saal erst mal | |
kurze Sprachlosigkeit. | |
Als Erster meldet sich darauf Florian Rietzl, ein Lehrer und als | |
sachkundiger Bürger im Ausschuss. „Ja, bunt schließt alle ein, aber nur die | |
auf dem Boden des Grundgesetzes. Und der Flügel schließt Menschen aus. Das | |
ist nicht bunt.“ Der Gastwirt verschränkt die Arme. Die | |
Ausschussvorsitzende versucht sich als Mittlerin: „Das ist doch nun die | |
Chance, dass wir ins Gespräch kommen.“ | |
Es war am 17. Januar, ein Sonntag, als in Steinhöfel plötzlich Dutzende | |
Autos vor dem Ulmenhof parkten, einem weiß getünchten Gasthof mitten im | |
Ort. Anwohner berichten von Kennzeichen aus dem ganzen Bundesgebiet, auch | |
von schwarzen Limousinen mit eigenen Fahrern. Die knapp 50 Angereisten | |
trafen sich drinnen im zugigen Festsaal des Ulmenhofs, hinter | |
verschlossenen Türen. | |
Rahel Rietzl, die Pfarrerin und Frau von Florian Rietzl, bemerkte die Autos | |
als eine der Ersten. Ihre Kirche ist direkt auf der anderen Straßenseite | |
des Ulmenhofs, die Mittdreißigern und zweifache Mutter hielt an diesem | |
Sonntag ihren Gottesdienst ab. Wer sich da im Gasthof traf, wusste sie | |
vorerst nicht. Auch andere Anwohner wunderten sich: Ein Großtreffen mitten | |
im Lockdown? Einige riefen die Polizei. | |
## Wachsende Kommune | |
Erst zwei Wochen später, als erste Medien darüber berichteten, erfuhren | |
sie, wer dort tagte: Es waren bundesweit angereiste AfD-Funktionäre, viele | |
aus dem offiziell aufgelösten „Flügel“, dem Sammelbecken der Rechtsextrem… | |
in der Partei. Darunter Landeschefs aus dem Osten, aber auch Vertreter der | |
West-AfD sowie Mitglieder der Parteispitze: AfD-Chef Tino Chrupalla, | |
Fraktionschef Alexander Gauland, Björn Höcke. Mitten in Steinhöfel. | |
Seitdem ist die Ruhe im Ort dahin. Es sei klar gewesen, dass man das so | |
nicht stehen lassen könne, sagt Rietzl. Auch Arnold Bischinger dachte | |
sofort: „Da müssen wir jetzt vor Ort handeln, und zwar rasch. Das ist jetzt | |
unser Job.“ | |
Bis zum 17. Januar war Steinhöfel eine Gemeinde wie viele andere. Im Osten | |
Brandenburgs, umgeben von elf Ortsteilen mit insgesamt 5.000 Einwohnern. | |
Eine Landstraße zieht sich durch den Ort, daran liegen die Dorfkirche, ein | |
Weltkriegsdenkmal, ein Konsum, ein kleines Schloss, das auch Auswärtige | |
anzieht – und der Ulmenhof. | |
Wie andere kämpft der Ort mit der Coronapandemie und einem Haushaltsloch. | |
Abgehängt aber ist die Komune nicht: Sie vermeldet Zuwachs, Kitaplätze gibt | |
es schon zu wenig, das Schloss ist saniert, gerade wird der Aufbau eines | |
Klimaparks geplant, in einem Ortsteil hat sich ein alternatives Landprojekt | |
angesiedelt. | |
## Eine ganz normale Partei? | |
Dann aber kam das AfD-Treffen. Und es blieb nicht das einzige. Schon im | |
September 2020 hatte sich die Partei im Ulmenhof getroffen, mit dabei | |
Alexander Gauland. Nun, Anfang Februar, folgten Kreisvorstände der AfD, | |
danach die „Christen in der AfD“. Und erst am vergangenen Samstag wollte | |
der Landesverband erneut dort tagen, diesmal offenbar zum Thema | |
Naturschutz. | |
Nun kämpft Steinhöfel um seinen Ruf. Und um den richtigen Umgang mit einer | |
Partei, die bald bundesweit vom Verfassungsschutz als rechtsextremer | |
Verdachtsfall eingestuft sein dürfte. Die Auseinandersetzung führt | |
Steinhöfel nicht allein. Sie wird auch andernorts ausgetragen. | |
Und die Frage, wie mit der AfD umzugehen ist, würde mit einer bundesweiten | |
Einstufung noch dringlicher. Stehen der AfD als demokratisch gewählter | |
Partei selbstverständlich Räume für ihre Politik zu? Oder ist die Partei | |
dafür zu rechtsextrem? In einigen Regionen gehört die AfD inzwischen fest | |
zum Gemeindeleben. In anderen begleiten ihre Treffen fast jedes Mal | |
Protest. | |
In Berlin versuchte der AfD-Landesverband anderthalb Jahre lang vergeblich, | |
einen Raum für einen Parteitag zu bekommen, [1][nun weicht er nach | |
Brandenburg aus]. | |
## „Flügel“ gegen Meuthen | |
Nach Steinhöfel kam die AfD bisher im Geheimen, bewarb die Veranstaltungen | |
nicht öffentlich. Dabei hat sie hier durchaus ihre AnhängerInnen, auch wenn | |
die Partei nicht in der Gemeindevertretung sitzt. | |
Bei der letzten [2][Landtagswahl 2019] lag die AfD im Wahlkreis von | |
Steinhöfel weit vorne. 32,3 Prozent der Stimmen erhielt die Partei, | |
deutlich vor der SPD mit 23,8 Prozent. Auch im Kreistag hält die AfD die | |
größte Fraktion neben der SPD. Und zur Bundestagswahl 2017 trat für die | |
Partei im Wahlkreis ein Parteipromi an, der nur knapp einem CDU-Mann | |
unterlag: Alexander Gauland. | |
Wie die AfD zum Ulmenhof kam, erklärt der Betreiber der taz frei heraus: Er | |
habe in seinem anderen Lokal bereits einen kleinen AfD-Stammtisch, eines | |
Tages sei er dort nach einem größeren Saal gefragt worden. Dass am Ende | |
Gauland, Chrupalla und Höcke kamen, will er erst am Tag selbst erfahren | |
haben. | |
In der AfD heißt es, die Brandenburger Vizechefin Birgit Bessin habe die | |
Treffen organisiert. Der 17. Januar sei aber keine „Flügel“-Zusammenkunft | |
im eigentlichen Sinne gewesen – schließlich sei der ja aufgelöst. Vielmehr | |
hätten sich im Ulmenhof die GegnerInnen von Jörg Meuthen versammelt, | |
nachdem dieser [3][auf dem jüngsten AfD-Bundesparteitag in Kalkar die | |
Radikalen in den eigenen Reihe scharf kritisiert] hatte. | |
## Geheimtreffen zur Bundestagswahl | |
Eingeladen in den Ulmenhof hatten AfD-Chef Chrupalla und Gauland. Zum | |
„Gedankenaustausch“, wie es heißt. Eine Tagesordnung habe es nicht gegeben, | |
auch keine Beschlüsse. | |
„Seit Meuthens Rede in Kalkar fühlt sich die Hälfte der Partei | |
ausgegrenzt“, sagt Gauland später bei einem Gespräch im Bundestag. „Seine | |
Strategie ist falsch, wir dürfen uns nicht in Lager spalten.“ Chrupalla | |
bestätigt, dass auch über Aufstellungsversammlungen für die Bundestagswahl | |
geredet wurde. | |
Darüber diskutierten auch die AfD-Kreisvorstände bei dem Treffen Anfang | |
Februar. Auch hier war Gauland dabei. Seinen ParteifreundInnen teilte er | |
mit, er würde gern wieder antreten, diesmal aber nur auf der Landesliste. | |
Würde er auch wieder Fraktionschef im Bundestag? „Die Lage ist derzeit | |
nicht so, dass ich mich danach dränge“, sagt der 80-Jährige der taz. | |
Heikler aber war eine zweite Personalie: Soll der frühere Landeschef | |
Andreas Kalbitz, laut Verfassungsschutz ein erwiesener Rechtsextremist und | |
[4][mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen], im Wahlkreis Elbe-Elster – | |
Oberspreewald-Lausitz II als Direktkandidat aufgestellt werden? Kalbitz, | |
der selbst nicht dabei war, äußert sich auf taz-Anfrage dazu nicht. | |
## Keiner übernimmt Verantwortung | |
Gauland aber sagt: „Ich würde das für schwierig halten.“ Der Parteivater | |
begründet dies indes nicht mit Kalbitz’ Gesinnung, sondern mit dessen | |
Fraktionslosigkeit im Bundestag. | |
In Steinhöfel bekam man von dem, was im Ulmenhof besprochen wurde, nichts | |
mit. Auch die ehrenamtliche Bürgermeisterin Claudia Simon, parteilos, | |
Anfang fünfzig und seit 2019 im Amt, will von den Treffen erst im | |
Nachhinein erfahren haben. Sie verweist auf das Amt Odervorland. Dort | |
verweist man auf den Landkreis. Und der verweist auf die Brandenburgische | |
Infektionsschutzverordnung, in der Veranstaltungen „ohne | |
Unterhaltungscharakter“ mit bis zu 50 Personen erlaubt sind, auch ohne | |
Anmeldung. | |
„Ich bin über die Treffen auch nicht so glücklich“, sagt Simon. „Aber d… | |
AfD ist eine gewählte Partei wie andere auch. Die Treffen sind nicht | |
verboten.“ | |
[5][Für den Verfassungsschutz ist die AfD dagegen keine Partei wie die | |
anderen mehr]. Schon 2018 stufte er sie bundesweit als rechtsextremen | |
Prüffall ein. Momentan steht die AfD vor der Hochstufung zum Verdachtsfall | |
– nur Klagen der Partei gegen das Bundesamt verzögern dies noch. | |
## Vogel über dem Oderland | |
Der Brandenburger Landesverband ist dagegen bereits als Verdachtsfall | |
eingestuft. „In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze | |
Vogel“, erklärte Innenminister Michael Stübgen. Und dieser [6][„Flügel“ | |
wurde bundesweit bereits vor einem Jahr zur „gesichert extremistischen | |
Bestrebung“ erklärt], er steht nun auf gleicher Stufe mit der NPD. | |
Pfarrerin Rahel Rietzl mahnt auch deshalb klarere Worte in Steinhöfel an. | |
„Ich wünsche mir, dass wir Haltung zeigen. Dass wir aufeinander zugehen und | |
diskutieren, warum die AfD nicht wählbar ist.“ Auch | |
Kulturscheunen-Betreiber Arnold Bischinger wünschte sich eine deutlichere | |
Positionierung der Gemeinde. „Es geht hier immerhin um die berechtigte | |
Sorge um unsere demokratischen Grundwerte.“ | |
Rahel Rietzl mailte, als das „Flügel“-Geheimtreffen aufflog, sofort an | |
ihren Kirchenrat. Ob man vielleicht ein Banner an die Kirche hängen wolle? | |
Etwas wie „Hass schadet der Seele“? Ihr Mann Florian schrieb auch der | |
Bürgermeisterin und forderte eine Positionierung von der | |
Gemeindevertretung. | |
Und Arnold Bischinger schloss sich mit mehreren AnwohnerInnen zu der | |
[7][Initiative Offenes Steinhöfel z]usammen. Die verteilte Flugblätter in | |
Briefkästen, schrieb ebenfalls an die Gemeindevertretung. „Mit Entsetzen“ | |
habe man von dem „Flügel“-Treffen erfahren, heißt es in ihrem Brief. „W… | |
wollen uns in unserer Gemeinde sicher fühlen. Das geht nicht, wenn | |
Steinhöfel Treffpunkt von Rechtsextremisten wird.“ Die Gemeindevertretung | |
müsse nun „alles ihr rechtlich Mögliche dafür tun, dass sich so etwas nicht | |
wiederholt“. | |
## Erfolgreicher Widerstand | |
Zu den Engagierten gehören Familien, aber auch Ältere, langjährige | |
Steinhöfler und Zugezogene. Viele von ihnen aber wollen ihre Namen und | |
Gesichter nicht in der Zeitung sehen, weil sie nicht wissen, wie die Sache | |
ausgeht. Als die AfD am vergangenen Samstag aber zum fünften Mal im | |
Ulmenhof tagen wollte, machte das erstmals vorab die Runde. Innerhalb von | |
anderthalb Tagen organisierte das Bündnis eine Kundgebung, bewarb diese | |
öffentlich. Das AfD-Treffen wurde plötzlich abgesagt. | |
Dennoch stehen am Samstag rund 100 Menschen vor dem Ulmenhof, unten ihnen | |
auch Rahel Rietzel und Arnold Bischinger. Die DemonstrantInnen halten | |
Protestschilder in die Sonne, Regenbogenfahnen wehen, Kinder tollen umher, | |
es gibt Kaffee und Schmalzstullen. Und am Tor von Rietzls Kirche hängt ein | |
Banner: „Der Widerstand gegen Hetze und Intoleranz beginnt vor Ort!“ Die | |
Pfarrerin tritt strahlend ans Mikrofon. | |
„Super“ sei die Resonanz. Man wolle, auch als Kirche, Vielfalt leben. | |
Bischinger spricht auch. Die Kundgebung sei eine „öffentliche | |
Generalprobe“, sagt er. Nun gelte es, dem Engagement breitere Tragflächen | |
zu geben, ein „Frühwarnsystem“ aufzubauen. | |
Den Protest verfolgt auch der Betreiber des Ulmenhofs. Mit einer Handvoll | |
Bekannter steht er auf der Terrasse des Ulmenhofs, schleckt zwischendrin | |
Eis. „Von denen ist doch niemand aus Steinhöfel, die kommen aus Berlin“, | |
zischt er. „In diesem Land wird nur noch eine Meinung akzeptiert, völlig | |
krank.“ Seit Monaten habe er wegen des Lockdowns keine Einnahmen, müsse | |
dennoch Miete, Strom, Gas zahlen. „Aber das ist denen ja egal. Die gehen ja | |
eh nicht arbeiten.“ Dann verschwindet er in seinem Gasthof. | |
## Omas, Hornbläser, AfD | |
Direkt ins Gespräch kommen die Protestierenden und der Betreiber, der Ende | |
2019 den Ulmenhof übernahm, an diesem Tag nicht. Seit dem Lockdown verkauft | |
er wochenends Deftiges aus der Gulaschkanone – auch am Tag der Kundgebung. | |
Kundschaft gibt es diesmal aber fast keine. | |
Am Telefon hatte der Wirt zuvor erklärt, bei ihm im Ulmenhof träfen sich | |
„die Omas, die Hornbläser“, nun eben auch die AfD. „Wo ist das Problem?�… | |
Dreißig Prozent würden hier die AfD wählen. Zudem hätten doch alle Parteien | |
„Dreck am Stecken“. „Der Ort steht hinter uns.“ | |
Das würden zumindest die AnwohnerInnen der Initiative Offenes Steinhöfel | |
bestreiten. Aber tatsächlich gibt es noch die anderen. Das Flugblatt der | |
Protestierer nennt ein Anwohner auf einer Facebookseite der Gemeinde | |
„verunglimpfend“. Man wisse doch gar nicht, was die AfD besprach. | |
„Vielleicht sollte dieses Treffen ja dazu beitragen, unser Leben wieder zu | |
verbessern?“ Andere Kommentatoren stimmen zu. | |
Auch die Vertreter der größten Fraktion in der Gemeindevertretung, „Wir für | |
unsere Dörfer“ (WfD), hielten sich von der Kundgebung fern. Die | |
Wählergruppe gibt sich unideologisch und pragmatisch. Vom Unpolitischen bis | |
zum AfD-Sympathisanten sei in der Gruppe alles dabei, heißt es im Ort. | |
## Steinhöfels Bekenntnis zur Demokratie | |
Fragt man ihren Fraktionschef Horst Wittig nach den AfD-Treffen, reagiert | |
der Rentner am Telefon gereizt: „Was soll ich dazu sagen? Wir sind gegen | |
die AfD. Aber das ist eine demokratisch zugelassene Partei. Die sitzen im | |
Bundestag, im Landtag, im Kreistag. Der Landkreis hat das hier in | |
Steinhöfel genehmigt und wir sollen das ausbaden? Fragen Sie da nach!“ Dann | |
legt Wittig auf. | |
Auch Bürgermeisterin Claudia Simon, die sich ebenfalls unpolitisch gibt, | |
kam nicht zur Kundgebung. Sie antwortete auch nicht auf Florian Rietzls | |
E-Mail. Simon taucht im AfD-Streit im Ort einfach ab. Am Telefon beklagt | |
sie, dass die Sache „hochgekocht“ werde. Dabei sei diese „eine private | |
Angelegenheit“ des Wirtes. „Die Gemeinde hat da keine Handhabe.“ Sie habe | |
ihn nun aber gebeten, dass „diese Veranstaltungen“ nicht mehr stattfänden, | |
sagt Simon. | |
Dabei war man in Steinhöfel eigentlich vorbereitet. Schon vor Jahren | |
verabschiedete der Ort eine Demokratieerklärung. Nach den AfD-Ergebnissen | |
bei der Landtagswahl 2019 wollte die Linke diese erneuern. Aber nun rangen | |
die GemeindevertreterInnen über Monate um Formulierungen. Die Linken | |
wollten die AfD explizit benennen, andere nicht. Die WfD wollte sich auch | |
gegen linken Extremismus aussprechen, dann auch gegen frühere | |
Stasimitarbeiter. | |
Am Ende stand in der Erklärung, dass man sich „für ein weltoffenes und | |
vielfältiges Steinhöfel stark“ mache und „gegen jeglichen politischen und | |
religiösen Extremismus“ sei. Außer einer Gemeindevertreterin unterschrieben | |
alle die Erklärung, auch Bürgermeisterin Simon. | |
## Papiertiger oder aktiv gegen Rechts? | |
Veröffentlicht wurde die dann allerdings nicht. Warum, weiß heute keiner | |
mehr genau. Erst vor gut einer Woche [8][steht sie plötzlich auf der | |
Internetseite der Gemeinde] – als erste Medien über die AfD-Treffen im Ort | |
berichten und dort die Debatte losbricht. | |
Wie passe das zusammen, die Erklärung für Weltoffenheit und die ständige | |
Beherbergung der AfD in Steinhöfel, fragen die AnwohnerInnen, die zur | |
Kundgebung gingen. Auch Arnold Bischinger betont, dass die Erklärung nur | |
ein Papier gewesen sei. „Jetzt muss sie sich beweisen.“ | |
Es ist der Sozialausschuss am Montagabend, auf dem die Gemeindevertreter | |
darüber erstmals ins Gespräch kommen. Bischinger geht als Erster ans | |
Mikrofon. Ob die Gemeindevertretung bei den AfD-Treffen im Ulmenhof nur | |
abwarten wolle, oder auch aktiv gestalten und „sozialen Unfrieden“ | |
verhindern? Und wenn ja, warum sei dann fast kein Gemeindevertreter auf der | |
Kundgebung gewesen? | |
Die Amtsdirektorin, die noch über Bürgermeisterin Simon steht, antwortet, | |
ihre Verwaltung stehe da „ganz deutlich für Neutralität“. Nur bei Verstö… | |
könne man eingreifen. Eine Linken-Vertreterin dagegen erklärt, natürlich | |
wolle man aktiv werden. Sie jedenfalls habe die Kundgebung besucht. | |
## Die Bürgermeisterin schweigt sich durch | |
Ein Abgeordneter von „Wir für unsere Dörfer“ widerspricht: Er sehe das | |
„nüchterner“. Auch er verurteile Extremismus „in alle Richtungen“. Abe… | |
AfD sei nun mal da, sitze in allen Parlamenten. „Wir müssen damit leben. | |
Ich bin gegen eine Haudraufpolitik, weil das die Fronten verhärtet.“ | |
Bürgermeisterin Simon verfolgt die Debatte regungslos – und schweigt. | |
Dann tritt der Ulmenhof-Betreiber ans Mikrofon. Er sei politisch „neutral“, | |
beteuert er. Wenn man jetzt aber vorschreibe, wer welche Lokale besuchen | |
darf, „dann sind wir kein freies Land mehr“. Es gehe ihm doch darum, den | |
Gasthof für den Ort zu erhalten. | |
Nun sind es einige AnwohnerInnen, die den Kopf schütteln. Aber der Ton | |
bleibt sachlich. Eine Linken-Vertreterin fragt, ob man ihn denn beim | |
Beantragen von Coronahilfen unterstützen könne, wenn es letztlich am Geld | |
hinge. Die Ausschussvorsitzende fragt, ob er denn zu einem Runden Tisch | |
bereit wäre. Ja, er sei gesprächsbereit, sagt der Wirt. „Aber nur auf | |
Augenhöhe.“ Und sein Gasthof bleibe für alle offen. „Wer kommt, der kommt… | |
Ein Vertreter von Weltoffenes Steinhöfel erwidert, dann werde man wohl | |
nicht verhindern können, dass er wieder an die AfD vermiete. „Aber Sie auch | |
nicht, dass wir dann wieder vor Ihrer Tür demonstrieren.“ | |
## Angst vor dem Nazi-Stempel | |
Ray Kokoschko [9][vom Mobilen Beratungsteam] ist auch mit dem Fall | |
Steinhöfel betraut. Sein Team unterstützt Kommunen im Umgang mit | |
Rechtsextremen. Beim Ulmenhof könne die Gemeinde nicht viel machen, sagt | |
Kokoschko. Dort entscheide der private Betreiber und Parteien dürften sich | |
eben auch in Coronazeiten treffen. „Da muss sich die Gemeinde an Recht und | |
Gesetz halten.“ Aber: „Die AfD muss auch Protest aushalten.“ | |
Steinhöfel sei auf einem guten Weg, findet Kokoschko dennoch. „Es gibt eine | |
von fast allen Gemeindevertretern unterschriebene Erklärung für | |
Weltoffenheit. Das ist schon mal wichtig, so entsteht Haltung. Und es gibt | |
eine Zivilgesellschaft, die aktiv ist.“ Und die Schweigsamen im Ort? Das | |
sei nicht überraschend, sagt Kokoschko. „Viele sind mit so einer Situation | |
erst mal überfordert, haben Angst vor einem rechtsextremen Stempel für den | |
Ort.“ | |
Für Kokoschko ist nun eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD | |
entscheidend. Die Partei suche konkrete Probleme und Konflikte, um sie für | |
ihre Agenda zu instrumentalisieren. Gerade in Gegenden, wo auch der Nachbar | |
zur AfD gehöre, sei die Diskussion natürlich komplizierter. | |
„Es geht nicht darum, alle AfD-Anhänger pauschal als Rechtsextreme zu | |
bezeichnen, aber man sollte sie mit rechtsextremen Äußerungen und Tendenzen | |
in ihrer Partei konfrontieren“, sagt Kokoschko. „Und die Gemeinden dürfen | |
Probleme nicht wegschweigen, sondern müssen diese offensiv aufgreifen, um | |
sie nicht Rechtsextremisten zu überlassen.“ | |
## Köpfe für Vielfalt öffnen | |
Die AfD schweigt derweil zu dem Trubel, den sie in Steinhöfel angerichtet | |
hat. Alexander Gauland verweist auf die Organisatorin Birgit Bessin, die | |
aber ist nicht erreichbar. In der Partei hieß es allerdings, zumindest bis | |
zur Kundgebung am Samstag: Weitere Treffen in Steinhöfel seien in Planung. | |
Die Diskussion in Steinhöfel dürfte das nicht beruhigen. Der | |
Sozialausschuss beschließt am Ende zwei Runde Tische. Einen mit dem | |
Ulmenhof-Betreiber. Und einen zur Demokratiearbeit im Ort. Sie werde dazu | |
Termine vorschlagen, meldet sich nun auch Bürgermeisterin Simon zu Wort. | |
Pfarrerin Rahel Rietzl begrüßt den Austausch. „Wie sonst sollen wir | |
weiterkommen?“ Aber selbst wenn die AfD nicht mehr im Ulmenhof tage, dürfte | |
die Debatte demnächst wieder aufbrechen, fürchtet sie. Dann, wenn der | |
Bundestagswahlkampf auch in der Region startet. | |
Und Rietzl weiß, dass auch in ihrer Gemeinde wahrscheinlich AfD-WählerInnen | |
sitzen. „Deshalb ist es wichtig, schon jetzt die Köpfe zu öffnen. Menschen | |
zu ermutigen, sich nicht nur einfachen Antworten zu stellen, sondern auch | |
den komplizierten. Und sie erleben zu lassen, dass Vielfalt gut tut.“ | |
## Auf eine Zigarette… | |
Auch für Bischinger steht die Debatte noch am Anfang. Die AfD-Frage bleibe | |
ein „offenes Problem“ im Ort. „Aber wir haben Unruhe in den Hinterköpfen | |
ausgelöst.“ Dass es vorbei ist mit den AfD-Treffen im Ulmenhof, glaubt | |
Bischinger noch nicht. Dafür habe sich der Betreiber zu uneinsichtig | |
gezeigt. „Es ist jetzt eine Frage von Ausdauer. Hält der Betreiber länger | |
durch oder wir mit unserem Protest?“ | |
In Steinhöfel verlässt der Ulmenhof-Wirt den Gemeindesaal, stellt sich | |
rauchend davor, es ist dunkel und kalt geworden. Arnold Bischinger sowie | |
ein Mann und eine Frau von Offenes Steinhöfel stellen sich dazu. „Hier wird | |
von Demokratie gesprochen, aber nicht Demokratie gemeint“, schimpft der | |
Gastwirt weiter. | |
Bischinger zündet sich eine Zigarette an. „Wir haben Angst, wissen Sie.“ | |
„Wovor haben Sie Angst?“ „Uns ist es nicht egal, wenn sich hier | |
Rechtsextreme breit machen.“ Für ihn sei es auch ernst, sagt der Gastwirt. | |
Es gehe um sein finanzielles Überleben, um seine Familie. „Protestiert doch | |
vorm Landtag gegen die AfD, aber lasst uns da raus.“ | |
Bischinger schüttelt den Kopf: Das Problem bestehe nun mal im Ort, hier | |
müsse man es lösen. Ob man am Wochenende nicht mal an der Gulaschkanone | |
vorbeikommen und ausführlicher sprechen könne? Der Gastwirt antwortet | |
nicht, kneift die Augen zusammen. Dann nickt er. | |
26 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Parteitag-mit-bis-zu-300-Delegierten/!5747288 | |
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[6] /Entscheidung-des-Verfassungsschutzes/!5671396 | |
[7] https://inforiot.de/steinhoefel-kein-gemuetlicher-treffpunkt-fuer-hetze/ | |
[8] https://www.gemeinde-steinhoefel.de/news/index.php?rubrik=1&news=630346… | |
[9] https://www.gemeinwesenberatung-demos.de/mobile-beratungsteams/ | |
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