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# taz.de -- Ärztin über Paragraf 219a: „Noch nicht am Ende der Debatte“
> Am Freitag soll das Informationsverbot für Abtreibung fallen. Die Ärztin
> Kristina Hänel kämpft schon jahrelang gegen den Paragrafen.
Bild: Schon 2019 ging die Ärztin Kristina Hänel in Giessen gegen Paragraf 219…
taz: Frau Hänel, Ihre Verurteilung hat [1][den Paragrafen 219a] überhaupt
erst ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Sie wurden zur Ikone im Kampf
gegen dieses Gesetz. Am Freitag stimmt der Bundestag über seine Abschaffung
ab. Können Sie sich jetzt zur Ruhe setzen?
Kristina Hänel: Nee, zur Ruhe setze ich mich nicht. Aber ich werde aus der
ersten Reihe zurücktreten. Ich habe ja meine Praxis und die Reittherapie
und noch jede Menge zu tun beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Ich bilde
inzwischen viel aus in meiner Praxis, Studierende und Ärzt*innen, die
lernen wollen, wie es geht. Das sehe ich künftig als meine Aufgabe.
Sie und andere Ärzt*innen sind wegen ihrer Verurteilung nach dem
Paragrafen [2][bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen]. Nun werden die
Urteile aufgehoben – ziehen Sie die Beschwerden also zurück?
Dazu möchte ich mich derzeit noch nicht äußern.
Vor der Abschaffung kam die Reform: 2019 wurde Paragraf 219a geändert,
Ärzt*innen dürfen nun öffentlich mitteilen, dass sie Abbrüche
durchführen, aber nicht, mit welcher Methode. Außerdem führt die
Bundesärztekammer seither eine öffentliche Liste der verfügbaren
Ärzt*innen. Warum war das nicht genug?
Die meisten Ärzt*innen haben sich gar nicht auf diese Liste setzen
lassen. Kein Wunder, diese ist von Abtreibungsgegnern als Pranger benutzt
worden. Wegen dieser Leute kursiert im Netz auch immer noch viel zu viel
Desinformation, um Frauen in die Irre zu führen oder zu verunsichern.
Deswegen braucht es so dringend sachliche und korrekte Informationen direkt
von den Fachleuten.
Sie sind eine von nur rund 1.100 Ärzt*innen in Deutschland, die
Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Wird das Ende von Paragraf 219a die
[3][Versorgungslage verbessern]?
Wir haben dadurch ja nicht automatisch mehr Ärzt*innen. Aber die
Entschärfung der Rechtssituation und vor allem die Debatte, die wir in den
vergangenen Jahren geführt haben, war enorm wichtig. Es soll endlich
[4][medizinische Leitlinien] zum Schwangerschaftsabbruch geben, es wird
eine umfassende [5][Studie zu den Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt
Schwangerer] geben. All das zeigt: Trotz der Angriffe der Abtreibungsgegner
und trotz vieler radikaler Äußerungen in der Debatte hat das Klima sich
verändert. Zum Besseren.
Woran machen Sie das fest?
Allein schon daran, dass es wieder Nachwuchs gibt. Das sehe ich wie gesagt
in meiner Praxis, wo Menschen zum hospitieren kommen. Aber auch Gruppen wie
die Medical Students for Choice haben Zulauf in ihren Papaya-Workshops …
… in denen sie Schwangerschaftsabbrüche an diesen Früchten üben, weil die
in Form und Beschaffenheit einem Uterus ähneln.
Genau. Angehende und praktizierende Ärzt*innen machen sich Gedanken
darüber, wie die Versorgung aufrechterhalten werden kann. Genau wie die
Politik. Jahrelang hat das alles niemanden interessiert. Aber in den
letzten Jahren sind die Missstände endlich in den Fokus gerückt.
Der Koalitionsvertrag sieht noch weitere Aspekte im Bereich
Schwangerschaftsabbruch vor.
Richtig. Es ist sehr wichtig, dass endlich etwas gegen die
Gehsteigbelästigung getan wird. Dass also der Staat diejenigen, die
Abbrüche und Beratungen durchführen, vor radikalen Abtreibungsgegnern
schützt. Für eine bessere Versorgung braucht es aber mehr. Wie bringt man
zum Beispiel Krankenhäuser dazu, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, wenn
im größeren Umkreis sonst kein Arzt dazu bereit ist?
Warum überhaupt sind [6][viele Ärzt*innen nicht bereit]?
Es ist für einen Arzt ein Problem, zu sagen: Ja, diese Versorgung zu
leisten, gehört zu meinem Beruf, wenn es dabei um eine Straftat geht. Es
gehört aber nun mal selbstverständlich dazu. Jedenfalls empfinde ich das
so. Wenn ich sage: Ich bin Ärztin, dann darf ich doch Betroffenen
ungewollter Schwangerschaft meine Hand nicht verweigern und sie
irgendwelchen Engelmachern oder der Illegalität überlassen. Genau das ist
ja aber die Konsequenz, wenn sich zu viele verweigern. Und das bedeutet
letztlich: Lebensgefahr.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland [7][nach Paragraf 218
Strafgesetzbuch verboten]. Gleichzeitig sind sie straffrei, wenn sie in den
ersten 12 Wochen nach Beratung und dreitägiger Wartefrist stattfinden. Man
könnte also sagen: Wer einen Abbruch braucht, bekommt ihn auch, oder?
Die Auswirkungen von Paragraf 218 sind täglich spürbar. Frauen verlieren
durch die Pflichtberatung und die Wartefrist viel wertvolle Zeit. Viele von
denen, die in ihrer Entscheidung sicher sind, empfinden das als demütigend.
Ich bin da immer auf Seiten der WHO, die sagt, Deutschland möge diese
Hürden abschaffen, – wie viele andere Länder auch, weil es die Gesundheit
der Frauen einschränkt.
Wie genau sich das lösen lässt, würde ich Politik und Justiz überlassen.
Aber es gibt Handlungsbedarf, das Thema ist weltweit aktuell und wir sind
auch in Deutschland noch nicht am Ende der Debatte.
Die jetzige Rechtslage ist eine [8][Kompromisslösung aus den 1990er
Jahren]. Die Ampel will zwar, dass eine Kommission prüft, wie man Abbrüche
auch anders als nur im Strafrecht regeln kann. Bundesjustizminister Marco
Buschmann hat aber schon erklärt, der FDP müsse „niemand den Respekt vor
diesem historischen Kompromiss lehren“. Was denken Sie?
Die FDP war seinerzeit die treibende Kraft hinter der Fristenlösung, die
dann zweimal vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde. Ich kann mir
schon vorstellen, dass sie Angst haben, sich noch mal die Finger zu
verbrennen. Andererseits verstehe ich nicht ganz, wie man als Partei seine
eigene Geschichte so verleugnen kann. Eine liberale Rechtslage muss doch
gerade für eine freiheitliche Partei ein Anliegen sein.
24 Jun 2022
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## AUTOREN
Dinah Riese
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