# taz.de -- 58.916 Delikte im Jahr 2022: Kriminalität auf Höchststand | |
> Das BKA verzeichnet so viele politisch motivierte Straftaten wie noch nie | |
> seit 2001. Die meisten Delikte seien allerdings „nicht zuzuordnen“. | |
Bild: Protest der Antifa gegen Compact und die AFD in München: Manchem fehlt d… | |
BERLIN taz | Straftaten bei den Corona- und Klimaprotesten oder als | |
Reaktionen auf den Angriffskrieg auf die Ukraine: Die politisch motivierte | |
Kriminalität (PMK) in Deutschland klettert auf einen Höchststand seit | |
Einführung 2001 – auf 58.916 Delikte im Jahr 2022. Die meisten der | |
Straftaten fallen für die Polizei indes inzwischen in das Feld „nicht | |
zuzuordnen“ – worunter etwa die meisten Coronaprotestierenden und | |
Reichsbürger:innen gezählt werden. | |
Das Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | |
veröffentlichten die Jahresstatistik am Dienstag. Weit vorne liegt erneut | |
der rechte Bereich, mit einem Anstieg der Straftaten um knapp 7 Prozent auf | |
23.493 Delikte. Gut 14.000 der Taten waren Propagandadelikte. Gezählt | |
wurden [1][aber auch 1.170 Gewalttaten], bei denen 675 Menschen verletzt | |
wurden – ein Anstieg um 12 Prozent und so viele wie in keinem anderen | |
politischen Bereich. | |
Faeser warnte, der Rechtsextremismus bleibe die größte Gefahr für die | |
Demokratie. Sie verurteilte auch aktuelle Tiraden gegen Geflüchtete: „Aus | |
Worten werden Taten.“ Der AfD komme hier „eine besondere Rolle zu“. Auch | |
Angriffe auf Geflüchtete oder ihre Unterkünfte verurteilte Faeser: Es sei | |
„in höchstem Maße menschenverachtend, Menschen zu attackieren, die vor | |
Krieg und Terror geflüchtet sind und bei uns Schutz gefunden haben“. | |
Auf der linken Seite sanken dagegen die Zahlen um 31 Prozent auf 6.976 | |
Delikte. Hier ging es zumeist um Sachbeschädigungen (3.545), in 842 Fällen | |
aber auch um Gewalttaten und in 588 um Verstöße gegen das | |
Versammlungsgesetz. BKA-Präsident Holger Münch betonte aber, dass die | |
einzelnen Straftaten durchaus heftig seien und professioneller und | |
persönlich würden. | |
Im islamistischen Bereich („religiöse Ideologie“) zählte das BKA 481 | |
Straftaten, fast so viele wie im Vorjahr. Davon hatten laut Statistik | |
allerdings 74 Delikte eine terroristische Qualität – die höchste Zahl aller | |
politischen Spektren. Münch warnt deshalb vor einer „anhaltend hohen | |
Gefährdungslage [2][durch den islamistischen Terrorismus] innerhalb | |
Deutschlands“. | |
## Antisemitismus sinkt, Antiziganismus steigt | |
Im Bereich Hasskriminalität wurden die meisten Taten als „fremdenfeindlich“ | |
(10.038) klassifiziert – ein Anstieg um 8 Prozent zum Vorjahr. | |
Antisemitische Straftaten gingen um 12 Prozent auf 2.641 Delikte zurück. | |
Für Faeser und Münch bedeutet das dennoch keine Entwarnung: Denn die | |
antisemitischen Gewaltdelikte – 88 Fälle – seien sogar angestiegen. Die | |
Zahl antiziganistischer Straftaten stieg dagegen um ein Drittel auf 145 – | |
[3][ein Höchststand]. Sehr hoch ist auch die Zahl der Angriffe gegen den | |
Staat und seine Vertreter: 20.978 Straftaten zählt hier das BKA. | |
Den inzwischen größten Anteil in der Statistik machen indes Straftaten aus, | |
die für die Polizei politisch „nicht zuzuordnen“ sind: ganze 24.080 | |
Delikte. Hier gab es noch einmal einen Anstieg von 12 Prozent im Vergleich | |
zum Vorjahr. Und in dieses Feld fallen immerhin auch 1.608 Gewaltdelikte, | |
bei denen 546 Personen verletzt wurden. Rund die Hälfte der für die Polizei | |
„nicht zuzuordnenden“ Straftaten – gut 12.500 – wurde im Coronakontext | |
gezählt, der allergrößte Teil auf Demonstrationen. Nur 783 der | |
„Corona-Straftaten“ wurden als rechts eingestuft. | |
Mitursächlich für das große „Nicht zuzuordnen“-Feld sind auch die | |
[4][Reichsbürger:innen, die mehrheitlich dort einsortiert werden]. So waren | |
für die Polizei 1.603 der 1.865 Straftaten von Reichsbürger:innen nicht | |
zuzuordnen – ein Anstieg um knapp 40 Prozent. Dabei handelte es sich etwa | |
um 778 Bedrohungen, 221 Beleidigungen, aber auch 333 Gewalttaten. | |
Auch die jüngsten Umsturzpläne von Reichsbürgern werden [5][bisher als | |
„nicht zuzuordnen“ eingestuft] – ebenso wie gleich vier der neun versucht… | |
Tötungsdelikte im Jahr 2022. Zwei davon betrafen Reichsbürger, die [6][in | |
Efringen-Kirchen und Boxberg] Polizisten angriffen. Bei den beiden anderen | |
handelte es sich um einen homophoben Messerangriff in Kiel und eine | |
Auseinandersetzung im Brandenburger Michendorf zwischen zwei | |
osteuropäischen Lkw-Fahrern, bei denen einer lebensbedrohlich verletzt | |
wurde. Je zwei der weiteren versuchten Tötungsdelikte wurden rechts und | |
„religiös motiviert“ eingestuft und eines links. | |
An der großen Zahl an nicht zuordnenbaren Einstufungen regt sich [7][schon | |
länger Kritik von Grünen und Linken.] Auch der Verband der Beratungsstellen | |
für Opfer rechter Gewalt stimmte hier am Dienstag ein. Opferberater Robert | |
Kusche von der RAA Sachsen sprach von einer „eklatanten Untererfassung“ | |
rechter Straftaten, wenn der Bereich „nicht zuzuordnen“ so groß sei. Gerade | |
die Coronaproteste folgten inzwischen klar rechtsextremen | |
Verschwörungsnarrativen. „Das BKA-Lagebild entspricht so nicht der | |
Realität.“ | |
BKA-Präsident Münch betonte dagegen, dass etwa die Coronaproteste weiterhin | |
aus einer „heterogenen Mischszene“ kämen, bei denen eine „tragende Rolle… | |
der Querdenkenbewegung zukomme. Zwar hätten Teile der Proteste eine | |
„staatsfeindliche Haltung“. Eine umfassende Unterwanderung der Proteste | |
durch Rechtsextreme könne aber „nicht festgestellt“ werden. Das BKA | |
reagierte aber zu Jahresbeginn insoweit auf die Kritik, als sie die | |
Kategorie in „Sonstige Zuordnung“ umbenannte. | |
Faeser erklärte zudem, man werde „weiter mit aller Härte“ gegen | |
gewaltbereite Reichsbürger vorgehen. Der Anstieg der Fallzahlen in diesem | |
Bereich sei „besonders besorgniserregend“. Faeser warb auch erneut für | |
ihren Verstoß einer Waffenrechtsverschärfung. Immer noch verfügten 400 | |
Reichsbürger über waffenrechtliche Erlaubnisse, warnte sie. | |
## Auch Resonanzstraftaten auf Ukrainekrieg | |
Neu hinzu in die Statistik kamen auch sogenannte Resonanzstraftaten auf den | |
russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: 5.510 Delikte. Die Hälfte ordnete | |
das BKA dem Bereich „ausländische Ideologie“ zu – der dadurch um gut 200 | |
Prozent anwuchs. Fast die andere Hälfte gilt erneut als „nicht zuzuordnen“. | |
Zu den Delikten zählen etwa die Billigung von Straftaten (1.169), | |
Sachbeschädigungen (613) oder Beleidigungen (194). Auch die Proteste in | |
Iran sorgten hierzulande für 212 Straftaten, vor allem auf | |
Solidaritätsdemonstrationen. | |
Schließlich notiert das BKA auch noch 1.716 Straftaten im Bereich „Klima“, | |
worunter etwa [8][Proteste der „Letzten Generation“] oder in Lützerath | |
zählen – ein Anstieg um 72 Prozent. Fast alle dieser Taten werden dabei als | |
links eingeordnet. In dem Bereich wurden vor allem Sachbeschädigungen | |
(516), Nötigungen (424) oder Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (209) | |
notiert. Faeser wurde auch hier deutlich: Sie habe „nicht das geringste | |
Verständnis“ dafür, wenn Aktionen der „Letzten Generation“ zu Straftaten | |
führten und Rettungsfahrzeuge blockiert würden. „Der Klimawandel muss | |
demokratisch bekämpft werden.“ | |
## Opferberatungsstellen kommen auf noch höhere Zahlen | |
Der Verbund der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt vermeldete am | |
Dienstag derweil für seinen Bereich sogar noch höhere Zahlen als das BKA. | |
Allein in den zehn Ländern, wo die Stellen Zahlen erheben, kamen sie auf | |
2.093 rechte Gewaltdelikte – ein Anstieg um 15 Prozent zum Vorjahr und | |
doppelt so viel wie die 1.170 Fälle des BKA. 2.871 Menschen seien dadurch | |
verletzt worden. Das häufigste Motiv sei Rassismus gewesen, was | |
Sicherheitsbehörden „oft wegschwiegen“, erklärte der sächsische | |
Opferberater Kusche. Auch antisemitische Angriffe hätten sich auf 204 Fälle | |
vervierfacht – auch hier eine deutlich höhere Zahl als die des BKA. | |
Kusche sprach einer „höchst alarmierenden“ Entwicklung. Gerade in | |
Ostdeutschland herrsche ein „flächendeckendes Klima von Angst und | |
Unsicherheit“. Es brauche klarere Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden | |
und flächendeckend Rassismusbeauftragte bei Polizei und Justiz. Die | |
Verbände forderten zudem, die [9][Tötung des trans Manns Malte C. in | |
Münster] als rechtsextreme Tat anzuerkennen – was bisher nicht geschehen | |
ist. | |
Der Text wurde am 9. Mai 2023 um 14.00 Uhr aktualisiert. | |
9 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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