# taz.de -- Urteil im Boxberg-Prozess: Reichsbürger kriegt 14 Jahre Haft | |
> Die Polizei überraschte er 2022 mit einem Kugelhagel auf seinem Hof in | |
> Boxberg. Der Reichsbürger aus Baden-Württemberg hortete Waffen und | |
> Munition. | |
Bild: Der Angeklagte K. meint, er hätte in Panik gehandelt und zum Schutz sein… | |
KARLSRUHE taz | Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den Reichsbürger Ingo | |
K. wegen versuchten Mords zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs | |
Monaten verurteilt. Das Gericht behält sich nach Abschluss der Haftstrafe | |
zudem eine Sicherungsverwahrung des Angeklagten vor. K. hatte bei einer | |
Razzia in seinem Haus die Polizei stundenlang beschossen und dabei zwei | |
Beamte verletzt. | |
Das Gericht blieb mit seinem Urteil nur knapp unter der Forderung der | |
Anklage. Sie hatte lebenslange Haft und eine anschließende | |
Sicherungsverwahrung gefordert. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem | |
Plädoyer davon gesprochen, [1][K. habe „Jagd auf Polizeibeamte“ gemacht und | |
bewusst und zielgerichtet geschossen.] Es sei nur dem Zufall zu verdanken, | |
dass es nicht zu tödlichen Verletzungen gekommen sei. Nach Ansicht der | |
Verteidigung soll K. dagegen in einer absoluten psychischen | |
Ausnahmesituation gehandelt haben. Sie hatte auf Freispruch plädiert. K. | |
selbst hatte in seinem abschließenden Wort um Entschuldigung für sein | |
Verhalten gebeten. Er habe „in Panik gehandelt und zum Schutz meines | |
Sohnes“. | |
Die Polizeibeamten waren offenbar auf Widerstand gefasst gewesen, als sie | |
im April 2022 eine Razzia auf dem abgeschotteten Hof in Örtchen | |
Boxberg-Bobstadt starteten. Der ehemalige Personenschützer war schon seit | |
2016 als Reichsbürger bekannt. Das Gehöft, das er bewohnte, teilte er mit | |
Gleichgesinnten. K. hatte die Berechtigung, eine Waffe zu führen, verloren, | |
sie aber nicht bei den Behörden abgegeben. | |
Deshalb rückten am frühen Morgen 14 SEK-Beamte in Boxberg an, um die Waffe | |
bei K. sicherzustellen. Als die Polizisten das Grundstück am frühen Morgen | |
betraten, schoss K. mit einem Schnellfeuergewehr durch die Rollläden | |
hindurch auf die Beamten. Dabei habe er mehrmals die Position gewechselt, | |
offenbar um die nach Deckung suchenden Menschen zu treffen, so die Anklage. | |
Ein Polizist wurde von K. in beide Beine getroffen, ein weiterer konnte die | |
Projektile auf ihn mit einem Schutzschild abwehren und wurde dabei leicht | |
verletzt. | |
## Mehrere Stunden im Kugelhagel | |
Erst nach zwei Stunden und etwa 40 Schüssen auf Beamte hatte der 55-jährige | |
Angeklagte seine Wohnung dann doch geräumt. Bei der anschließenden | |
Durchsuchung fanden die Beamten in einem begehbaren Waffenschrank drei | |
geladene Kriegswaffen, zwei vollautomatische und drei halbautomatische | |
Gewehre, weitere Schusswaffen und über 5.000 Schuss Munition. | |
Ingo K., der als Betreiber eines Kampfsportstudios gescheitert war, gilt | |
seit Jahren [2][als klar in der Reichsbürgerszene] verankert. Neben Waffen | |
waren auch nationalsozialistische Devotionalien und eine Reichskriegsflagge | |
gefunden worden. Schon 2016 hat er sich einen sogenannten Reichsbürgerpass | |
bestellt. 2018 war er bei rechtsgerichteten Demonstrationen mitgelaufen, | |
später tauchte er auch auf Querdenker-Demonstrationen auf. Gegenüber | |
Beamten hatte er wiederholt die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik | |
bestritten. | |
Gerade dass K. [3][im Reichsbürger-Milieu] fest verankert war hätte die | |
Verteidigung in ihrem Plädoyer entlastend ins Feld geführt. K. habe kein | |
Korrektiv mehr gehabt, weil er in diesem radikalen Umfeld gelebt habe, so | |
die beiden Anwälte. Insgesamt gilt Baden-Württemberg mit über 3.800 ihr | |
zugerechneten Mitgliedern als eine Hochburg der Reichsbürgerszene. | |
Nach Schätzung des Landesverfassungsschutzes sind zehn Prozent von ihnen | |
gewaltbereit. Im März hat in Reutlingen ein Reichsbürger auf einen | |
Polizeibeamten geschossen und ihn dabei schwer verletzt. Die | |
Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen in diesem Fall übernommen, da der | |
Mann Mitglied der terroristischen Gruppierung um den Unternehmer Heinrich | |
XIII. Prinz Reuß gewesen sein soll. Im Frühjahr wurde ein Reichsbürger | |
wegen Mordversuchs zu zehn Jahren Haft verurteilt, nachdem er in der Nähe | |
von Freiburg einen Streifenbeamten bei einer Kontrolle angefahren und | |
schwer verletzt hatte. | |
15 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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