Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 2021 und Corona in Berlin: Prognose mit Pandemie
> Corona wird den Wahlkampf, das Kulturleben und den Alltag vieler
> BerlinerInnen weiter einschränken. Aber es gibt Hoffnung. Vier Thesen.
Bild: Zu kuschelig für Corona: der KitKat Club in Berlin-Mitte
Wer vor einem Jahr in die Glaskugel geblickt und all die verrückten Sachen
vorausgesagt hätte, die 2020 eingetreten sind, dem hätte man wohl
unterstellt, er habe zu tief ins Glas geschaut. Mit Maske zum Einkaufen?
Die Wohnung verlassen nur noch mit triftigem Grund? Geschlossene Geschäfte
sogar vor Weihnachten? Silvester mit faktischem Böllerverbot? Und das alles
wegen eines Virus? Das hätte doch zu sehr nach Science Fiction geklungen.
Was zur ersten These für 2021 führt: All diese Einschränkungen werden sich
nicht mehr so dramatisch anfühlen wie 2020. Schulen zu? Pah, es klappt doch
längst einigermaßen mit dem semidigitalen Hybridunterricht. Homeoffice als
Standard? Mit dem richtigen Training kriegt man die Rückenschmerzen wegen
des alten Schreibtischstuhls weg. Selbst an einen Lockdown kann man sich
gewöhnen, schwer zwar, aber beim dritten oder vierten sind wir alle in der
Lage, unsere Haare selbst zu schneiden. Und Artikel aus dem Baumarkt
gehören längst auf die Liste für häusliche Notvorräte.
Also war 2020 eine Art Worst-Case-Szenario? In vielerlei Hinsicht darf man
das so sagen.
Etwa, was das Kulturleben angeht, das ja gerne als Teil der Berliner DNA
genannt wird. Aber nicht für alle, so These Nummer zwei, wird 2021 besser
werden. Große Theater, Kinos, Konzertsäle haben 2020 bereits geprobt, wie
ein Betrieb unter Coronabedingungen möglich ist. Wenn die Lüftungsanlage
taugt und viele Plätze leer bleiben, geht das.
Doch rentabel ist es leider selten, was zum Problem vor allem für
nichtstaatliche Anbieter wird, für Kinos, vor allem die kleinen, die oft
kaum mehr als eine Handvoll ZuschauerInnen einlassen können, für private
Theater, die freie Szene. Sie werden weiter auf staatliche Hilfen
angewiesen sein. Wie lange? Wohl mindestens bis in den Spätsommer, wenn die
Impfaktion planmäßig verläuft. Vielleicht noch länger.
## Wann werden die Clubs öffnen?
Noch schlimmer dran sind die Kneipen und Clubs, per se kuschelige
Angelegenheiten – und damit in Coronazeiten nahe dran am sprichwörtlichen
Sodom und Gomorra. Viel zitiert war 2020 Pamela Schobeß’ Satz: „Wir waren
die ersten, die zugemacht haben, und werden wohl die letzten sein, die
wieder aufmachen können.“ Die Chefin des Clubs Gretchen und Vorständin der
Berliner Clubcomission befürchtet den Untergang einer ganzen Branche, die
immerhin rund 10.000 MitarbeiterInnen beschäftigt, vor allem aber eminent
wichtig ist für das attraktive Image der deutschen Hauptstadt bei jungen
Menschen weltweit.
Eine Wiederöffnung der Clubs wäre beinahe ein Signal für das Ende der
Coronakrise. Dass es 2021 schon so weit sein wird, darf man bezweifeln.
„Wir sind tief im Tal und wollen eine schnelle Öffnung“, sagt Schobeß’
Clubcomission-Kollege Lutz Leichsenring. Seine Hoffnungen ruhen auf
Schnelltests, die ausgehungerten Partypeople den Weg in Clubs und Konzerte
öffnen könnten – und auf Impfungen.
Offen ist bei letzteren allerdings noch die Frage, wann genügend Menschen
geimpft sein werden, um wieder ein einigermaßen normales Leben zu
ermöglichen. Eine Prognose, wann es so weit sein könnte, will Leichsenring
deshalb nicht wagen. Sicher ist für ihn: „Clubben nur mit Maske und Abstand
– das sehen wir im Moment nicht.“
So werden auch die Clubs, viele Kneipen sowie Hallen für Popkonzerte im
weitesten Sinn auf staatliche Hilfen angewiesen sein. Immerhin: Die
Unterstützung sei inzwischen fast überall angekommen, berichtet
Leichsenring. Allerdings hätten sich auch viele Betreiber hoch verschuldet.
„Das ist ein Riesenproblem.“
Ein bisschen Hoffnung verbreitet da immerhin der Bundesfinanzminister. Olaf
Scholz (SPD) forderte schon Anfang Dezember 2020 KulturbetreiberInnen auf,
für die zweite Jahreshälfte 2021 Veranstaltungen zu planen. Kosten würden
erstattet, falls diese coronabedingt dann doch wieder abgesagt werden
müssten, versprach er.
Was im Wahljahr 2021 die große Frage nach dem Geld aufwirft: Wie viel ist
noch da? Oder umgekehrt: Was können, wollen, sollen wir uns noch leisten?
Das ist keine Frage für Berlin allein; Hilfen des Bundes spielen eine große
Rolle. „Unser Land hat die finanzielle Kraft, in diesem und im nächsten
Jahr alles zu tun, was nötig ist, um die Kontrolle über die Pandemie zu
behalten und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen abzufedern“,
sagte Scholz im November.
In Berlin hingegen ist es kein Geheimnis, dass Finanzsenator Mathias
Kollatz (SPD) die Neuverschuldung 2020 in Höhe von 7,3 Milliarden Euro
äußerst kritisch sieht. Zwar sei es erforderlich, „neue Schulden in
Rekordhöhe aufzunehmen“, auch wenn für Berlin damit eine achtjährige
Periode ohne Neuverschuldung ende, sagte Kollatz der taz. Aber man müsse
sich der Folgen bewusst sein: „Selbst für den Fall, dass die
Tilgungsverpflichtungen so niedrig wie möglich angesetzt werden, sind die
Handlungsspielräume im Haushalt zukünftig kleiner, weil zwischen 200 und
250 Millionen Euro pro Jahr dadurch gebunden werden.“ Ähnlich deutlich
äußerte sich Kultursenator Klaus Lederer (Linke): „Wir werden über
Prioritäten diskutieren müssen.“
Wie groß oder klein die Spielräume sein werden, lässt sich nur spekulieren.
Finanzsenator Kollatz bleibt ein bisschen optimistisch: „Wir sehen, dass
sich die ganz düsteren Prognosen der Steuerschätzung möglicherweise doch
nicht in dem Umfang bewahrheiten werden.“ Einige Bereiche der Wirtschaft
erwiesen sich als „ausgesprochen robust“.
Konkret heißt das, so These drei: Die Zeiten, in denen Politik in Berlin
Riesenspaß machte, weil gefühlt unendlich viel Geld zu verteilen war, sind
2021 vorbei. Der Kampf um die Ressourcen wird härter. Und die Wahlen im
Herbst werden zu echten Richtungsentscheidungen: Werden die Lasten aus der
Krise sozial gerecht verteilt? Müssen Unternehmen, die viel Hilfen bekommen
haben, auch etwas an die Gesellschaft zurückgeben?
Voraussichtlich am 26. September werden Abgeordnetenhaus und Bundestag neu
gewählt. Wie der Wahlkampf angesichts von Hygiene- und Abstandsauflagen
aussehen kann, ist unklar: Wird es Stände von PolitikerInnen geben? Stifte
und Ballons als Werbegeschenke? Reden vor großen Menschenmengen?
Immerhin: Der Wahltermin liegt im Spätsommer, einer Zeit also, als auch
2020 viel ging. In vielen Bundesländern sind bis Ende August Schulferien,
sodass zumindest die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs kurz und knackig
ausfallen wird. Was zu These vier führt: Corona diszipliniert die Politik,
weil die Lage weiter angespannt bleibt. Sicher nicht die schlechteste
Nebenwirkung des Virus.
2 Jan 2021
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Finanzsenator Matthias Kollatz
Abgeordnetenhauswahl 2021
Abgeordnetenhaus
Pandemie
Polizei Berlin
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Lesestück Interview
Schwerpunkt Coronavirus
Haushalt
Clubszene
Finanzsenator Matthias Kollatz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Böllerverbot in Berlin: Die Debatte ist gezündet
Seit Jahren fordern Umweltverbände und Grüne ein Böllerverbot. Absehbar
ist: Es gibt wieder zwei Verbotszonen an Silvester.
Corona und Berliner Wirtschaft: Gut durch die Krise gekommen
Restaurants und Kinos sind dicht. Andere Branchen aber boomen in der
Pandemie. Das zeigt die Jahres-Bilanz der Wirtschaftsförderer Berlin
Partner.
Clublobbyist Marc Wohlrabe: „Es wird ein exzessives Jahrzehnt“
Marc Wohlrabe kämpft für das Überleben der Clubs in Zeiten der
Coronapandemie – und prognostiziert einen Ausbruch an Lebenslust danach.
Braucht Berlin die 15 Kilometer?: Viel Symbolik, wenig Nutzen
Welchen Sinn hat eigentlich die „15-Kilometer-Regel“ für BerlinerInnen? Das
fällt selbst Senatsmitgliedern nicht leicht zu erklären.
Bundeshaushalt in der Coronakrise: Gigantische Löcher in Aussicht
Der Bundeshaushalt 2021 wächst auf fast eine halbe Billion Euro an.
Umstritten ist, wie mit den Schulden umzugehen ist.
Berliner Clubszene: Clubben ist jetzt Hochkultur
In Berlin gelten Clubs nun als Kulturstätten und sind damit Theatern
gleichgestellt. Das hat Vorteile – wenn denn irgendwann wieder getanzt
werden darf.
Berlins Finanzsenator im taz-Gespräch: Nicht schlimmer als die Finanzkrise
Matthias Kollatz (SPD) gibt sich optimistisch zu wirtschaftlichen Folgen
der Coronakrise. Doch die Erholung könne länger dauern.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.