# taz.de -- Wulff nach dem Rücktritt: Mein lieber Herr Gesangsverein! | |
> Nach seinem Rücktritt gönnt sich Christian Wulff ein Rücktrittsbier – am | |
> Stammtisch der Ex-Bundespräsidenten im Bürgerbräukeller. Die taz | |
> dokumentiert das Gespräch. | |
Bild: Wullfs neues Zuhause. | |
Horst Köhler: Na endlich, der Christian! | |
Christian Wulff: Meine Herren darf ich Platz nehmen? | |
Köhler: Aber ich bitte darum, du hast dieselben Wurzeln wie wir. | |
Walter Scheel (fröhlich): Der Christian gehört inzwischen auch zu uns. | |
Hihihi! | |
Richard von Weizsäcker: Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Leiser, | |
zu Herzog: Oder hast du eine Idee? Irgendwas mit dem Grundgesetz? | |
Roman Herzog: Selbstverständlich. In meiner Hand schmilzt das Grundgesetz | |
zur willigen Jungfrau. Also, aus Artikel 57 Absatz 2 lässt sich zwar… | |
Scheel: …ach was! Christian, mach dir nichts daraus. Die machen nur Spaß. | |
Zu Herzog: Ruck mal 'n bisschen, höhöhö. | |
Weizsäcker: Hahaha! | |
Köhler: Pruusst! Mein Gott, Walter, du bist immer noch der Beste. | |
Wulff: Ah, jetzt versteh ich… hihihi. Der war gut. | |
Scheel: Und ich sag noch: Ruck mal 'n bisschen. Höhöhö. Zum Kellner: Herr | |
Ober, Schampus für alle, aber dalli-dalli! | |
Herzog (gespielt grimmig): Ich bleib' beim Weizen. | |
Wulff: Danke. Jungs, es ist schön bei euch. Ich fühle mich jetzt schon | |
zugehörig. | |
Scheel (hebt sein Glas): Hier bist du Mensch, hier darfst du's sein. | |
Alle: Zum Wohle! | |
*** | |
Köhler: Christian, deine Wurzeln sind in Ordnung, du hast dir nichts | |
vorzuwerfen. | |
Scheel (leicht lallend): Jawoll, so isses! Schnippst in Richtung Kellner: | |
Schnaps! | |
Wulff: Ich werfe mir ja auch nichts vor. Absolut gar nicht im Mindesten das | |
geringste kleine Bisschen. (Schüttelt wild den Kopf) Nein, nein, nein. Und | |
meine Frau wirft mir auch nichts vor. Die Medienmeute hat mich gemeuchelt. | |
Köhler: Kenn ich, mein Rücktritt hatte dieselben giftigen Wurzeln. | |
Wulff: Ja, aber bei dir war es der Spiegel. | |
Weizsäcker: Horst, das Schlossgespenst. | |
Herzog (gespielt ahnungslos): Horst wer? | |
Köhler (verzioeht die Miene, sagt aber nichts.) | |
Wulff: Mich hat die Bild auf dem Gewissen. Könnt ihr euch das vorstellen? | |
Ich kann es ja immer noch nicht glauben. | |
Weizsäcker: Bemerkenswert, in der Tat. | |
Wulff: Ich hatte ja immer gutes Verhältnis zur Bild. Und meine Frau auch. | |
Herzog: Spiegel, Bild, Auto-Bild – alles dieselbe Bagage. Die Journaille | |
maßt sich eine Rolle an, die laut Grundgesetz ihr gar nicht zusteht. Diesen | |
Schmierfinken müsste mal jemand die Ohren lang ziehen. Prost! | |
Wulff: Ganz meine Meinung. Und die von meiner Frau auch. Prost! | |
Weizsäcker: Diese neidischen Plebejer! Prost! | |
Herzog: Grünsozialistenpack! Prostata! | |
Köhler: Es fehlt eindeutig der notwendige Respekt vor den Wurzeln dieses | |
Amtes. | |
Weizsäcker: Und wisst ihr, woran das liegt? Weil in den Redaktionsstuben | |
niemand mehr sitzt, der gedient hat. Pflichterfüllung, Demut, | |
Opferbereitschaft, Loyalität, Staatsräson… das kennen die alle nicht. | |
Köhler: Und es fehlt das Gespür für die Wurzeln des deutschen Interessen im | |
Ausland. | |
Wulff: … und für die der Ausländer in Deutschland. | |
Herzog: Den Bockmist kannst du dir sparen, wir sind hier unter uns. | |
Wulff: 'tschuldigung. | |
Herzog: Hier gilt: Wahrheit und Klarheit! | |
Wulff: 'tschuldigung. | |
Herzog: Klarheit und Wahrheit! | |
Wulff: 'tschuldigung. | |
Weizsäcker: Aber wenn ich dir mal einen väterlichen Rat geben darf: Du hast | |
zu viel zugegeben. | |
Wulff (zögernd): Meinst du, ich war zu gradlinig? | |
Weizsäcker (bestimmt): Exakt! Ich habe gar nix zugegeben, keine | |
Kriegsgeschichten, keine Waffengeschichten, nix. Und als der Stern was über | |
meine Division bringen wollte, habe ich auch nicht selbst angerufen. Und | |
alle haben mich geliebt. | |
Herzog: Der Theo, der Heinrich, der Karl, sogar Bruder Johannes: | |
Staatsräson heißt gar nix zugeben. (Hebt sein Glas in Richtung der Wand, an | |
der schwarzgerahmte Porträtbilder der verstorbenen Ex-Bundespräsidenten | |
hängen, alle mit schwarz-rot-goldenen Banderolen verziert.) | |
Wulff (weinerlich): Aber in einem Land, in dem ich nicht Präsident sein | |
darf, wollte ich niemals Präsident sein. | |
Köhler: Nein, nein! Das könnt ihr gar nicht beurteilen. Senkt die Stimme: | |
Ich weiß, wie das ist: Jeden Tag das Gefühl: Man reißt mir meine Wurzeln | |
aus. Jeden Tag öffentlich gemartert und hingerichtet. Jeden Tag… (beginnt | |
zu weinen) | |
Wulff (wimmernd): …und meine Frau auch. | |
Köhler (weinend): Lass dich umarmen, Freund! | |
Weizsäcker (flüstert zu Herzog): Das sind schon Warmduscher. | |
Scheel (fasst Wulff an die Schulter, der immer noch Köhler in den Armen | |
liegt): Komm, jetzt hast du es hinter dir. | |
Wulff (mit tränenerstickter Stimme): Stimmt. Und meine Frau auch. | |
Scheel: Na siehste. Schubst Weizsäcker an: Für Christian ist heute ein Tag | |
der Befreiung. Höhöhö! | |
Herzog: Höhöhö. Kamerad Scheel, du bist göttlich! | |
Scheel: Und ich sag noch: Tag der Befreiung, hehehe! | |
Wulff (reibt sich die Tränen vom Gesicht): Hast recht. | |
Scheel (hebt sein Glas): Zur Mitte, zur Titte… | |
Alle (brüllend): …zum Sack, Sack, Sack! | |
*** | |
Wulff (nachdenklich, lallend): Aber ich frag' mich jetzt, wie es | |
weitergeht. Und meine Frau fragt sich das auch. | |
Weizsäcker (flüstert zu Herzog): Und ich frag' mich, ob der auch mal was | |
ohne seine Frau macht. | |
Herzog (antwortet halblaut): Vielleicht bumsen? Höhöhö! | |
Weizsäcker: Hihi! | |
Köhler (fasst Wulff auf die Schulter, spricht laut, um das Kichern von | |
Weizsäcker und Herzog zu übertönen): Mach dir mal keine Sorge. Du hast im | |
Amt kraftvolle Wurzeln geschlagen, die dir jetzt Flügel verleihen werden. | |
Herzog (zu Köhler): Red net so g'schwolln. Zu Wulff: Das wird schon. Hier | |
ein Konvent, da ein Konvent… | |
Weizsäcker: Hier eine Schirmherrschaft, dort eine Kommission… | |
Köhler: Und die Pension! Satt, sag ich dir, kannst nicht meckern! | |
Scheel (triumphierend): Und die Spesen! | |
Wulff: Und dreht mir nicht wieder einer 'nen Strick draus? | |
Köhler: Nein, alles im Grundgesetz verwurzelt, gell, Roman? | |
Herzog: So isses. | |
Scheel: Dienstwagen, Schampus, Weiber, Büro, Autotelefon… | |
Köhler: Du hast noch ein Autotelefon? | |
Scheel: Na freilich – ein Dienstautotelefon, versteht sich. | |
Köhler (zu Herzog): Ein bisschen senil wird der Gute ja schon. | |
Wulff (erhebt sich torkelnd, feierlich): Ich werde mich mit ganzer Kraft | |
dem Amt des Ex-Präsidenten widmen. Und… | |
Herzog (brüllt): und… hahaha… und deine Frau auch! | |
Wulff: …wollt' ich grade sagen. | |
Scheel (erhebt sich schwankend): Meine Herren, darauf trinken wir! Beginnt | |
zu singen: Hoch auf dem Präsiwaa-haa-gen… | |
Herzog, Weizsäcker, Köhler (stehen jetzt ebenfalls, stimmen ein): Sitz ich | |
als g'machter Mann / Vorwärts die Spesen tra-haa-ben / Jeden so gut er | |
kann. | |
Wulff: Mein lieber Herr Gesangsverein! Und wer zahlt jetzt die Zeche? | |
17 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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