# taz.de -- Blamable Bundespräsidenten : Vollpfosten in Amt und Würden | |
> Bundespräsident Christian Wulff soll "das Amt beschädigt" haben. Dabei | |
> hat dieses Amt schon so manchen peinlichen Vorgänger ertragen. | |
Bild: Schaffte es trotz Frömmelei immerhin auf eine Briefmarke: Der ehemalige … | |
## Der Jasager | |
Theodor Heuss, als FDP-Mitglied gewählt, Bundespräsident von 1949 bis 1959: | |
Wie alle Abgeordneten der Deutschen Staatspartei stimmte Heuss im März 1933 | |
dem Ermächtigungsgesetz zu. "Ich wusste schon damals, dass ich dieses ,Ja' | |
niemals würde aus meiner Lebensgeschichte auslöschen könne", notierte er | |
später in seinen Memoiren. Aber so wichtig war das nicht. Denn: "Das | |
Ermächtigungsgesetz hat für den praktischen Weitergang der | |
nationalsozialistischen Politik keinerlei Bedeutung gehabt." | |
Kurz nach Heuss folgenlosem Ja wurde sein semikritisches Buch "Hitlers Weg" | |
verbrannt. Heuss fand dies damals "nicht zu tragisch". "Unerfreulich" sei | |
nur, dass "mein Name neben einigen der Literaten steht, die zu bekämpfen | |
meine wesentliche Freude" gewesen sei. Diese Freude gewann er nach dem | |
Krieg zurück und meinte als Kultusminister von Württemberg-Baden zur | |
Umbenennung von Straßen: "Für einen Krampf halte ich, etwa Ossietzky, Ernst | |
Toller und gar Erich Mühsam zu verewigen." | |
## Der Depp | |
Heinrich Lübke, CDU, 1959 bis 1969: Ob Lübke in Liberia seine Gastgeber | |
wirklich mit "liebe Neger" angeredet hat, ist nicht dokumentiert. | |
Zuzutrauen aber war das dem früheren Bauernfunktionär allemal. Denn | |
verbürgt sind zahlreiche andere aufschlussreiche Bemerkungen, etwa diese | |
von einem Staatsbesuch 1966 in Madagaskar: "Die Leute müssen ja auch mal | |
lernen, dass sie sauber werden." Doch so dumm dieser Spruch war, er wies | |
eine Klarheit auf, die Lübke in seiner zweiten Amtszeit nur noch selten | |
erreichte. | |
Mit seinem wirren Gestammel, das die Zeitschrift Pardon der Nachwelt auf | |
einer Platte erhalten hat, machte er sich zum Gespött. 1968 musste sich | |
Lübke als erster Bundespräsident im Fernsehen rechtfertigen. Als Mitglied | |
der "Baugruppe Schlempp" hatte er Unterkünfte für KZ-Häftlinge und | |
Zwangsarbeiter gebaut, was Lübke stets als von der DDR gestreute | |
Verleumdung zurückwies. Tatsächlich überhöhte die Arbeiter-und-Bauern-Macht | |
die Rolle Lübkes und schlachtete sie propagandistisch aus. Im Kern sind die | |
Vorwürfe aber wahr. | |
## Der Ausrutscher | |
Gustav Heinemann, SPD, 1969 bis 1974: Ein Mann, der erklärtermaßen nicht | |
den Staat, sondern seine Frau liebte und auch sonst durch nichts für das | |
Amt qualifiziert war: Anders als seine Vorgänger hatte er keinen Führer | |
ermächtigt und keine KZ-Baracken gebaut. Anders als seine drei Nachfolger | |
(und als sein Gegenkandidat, der CDU-Politiker Gerhard Schröder, der prompt | |
die 22 Stimmen der NPD bekam) hatte er weder Verantwortung in der NSDAP | |
übernommen noch in der SA oder der Wehrmacht gedient. | |
Nein, Heinemann gehörte dem evangelischen Widerstand an. Aus Protest gegen | |
die Wiederbewaffnung trat er 1951 als Bundesinnenminister zurück und aus | |
der CDU aus und leitete später als Justizminister der SPD, zu der er nach | |
dem Scheitern seiner Gesamtdeutschen Volkspartei gewechselt war, eine | |
Humanisierung des Strafvollzugs ein und zeigte Wohlwollen für die | |
revoltierende Jugend. Noch heute rätseln Historiker, wie es zu einer | |
solchen personalpolitischen Panne kommen konnte. | |
## Der Troubadour | |
Walter Scheel, FDP, 1974 bis 1979: Als junger Mann war Scheel Mitglied der | |
NSDAP und Offizier der Luftwaffe, als Außenminister wirkte er an der | |
Ostpolitik mit und verpasste der FDP ein sozialliberales Programm (könnte | |
heutzutage den Verfassungsschutz interessieren). Als Präsident machte er | |
das, was der Parvenü "auf den Putz hauen" nennt: Er ließ seine Dienstvilla | |
mit mondänen Accessoires aufhübschen, den Weinkeller mit Champagner | |
auffüllen und hatte noch Jahre später die höchste Spesenrechnung aller | |
Würdenträger a. D. | |
Die Bilanz wäre also ausgeglichen und der jovial-biedere Scheel vergessen, | |
wäre da nicht ein grobes ästhetisches Vergehen: "Hoch auf dem gelben | |
Waahaagen / Sitz ich beim Schwager vorn / Vorwärts die Rosse traahaaben / | |
Lustig schmettert das Horn", sang [1][Troubadix Scheel] und gelangte damit, | |
als wollte er beweisen, dass die Modernisierung der Ära Brandt eine Lüge | |
war, auf Platz 5 der deutschen Charts. | |
## Der Wandersmann | |
Karl Carstens, CDU, 1979 bis 1984: 1933 trat Carstens der SA und später der | |
NSDAP bei. Später fiel der Rechtsprofessor als glühender Befürworter der | |
Berufsverbote und als ebenso glühender Gegner der Oder-Neiße-Grenze auf. | |
Oder indem er Heinrich Böll vorwarf, dieser habe "unter dem "Pseudonym | |
Katharina Blüm" ein gewaltverherrlichendes Buch geschrieben. Strafrechtlich | |
relevant war das nicht. Dass ein Gericht "erhebliche Anhaltspunkte" dafür | |
erkannte, dass Carstens als Fraktionschef der CDU/CSU vor einem | |
Untersuchungsausschuss (zu Verbindungen des Bundesnachrichtendienstes zum | |
Waffenhandel) eine Falschaussage gemacht hatte, hingegen schon. | |
Als Präsident wanderte er mit seiner Frau Veronica durchs Land und gab | |
hernach zu Protokoll: "Es war überall sehr schön." Und sonst? Hier ein | |
gutes Wort für die Atomkraft, dort ein Verdienstkreuz für einen | |
argentinischen Putschisten, was man halt so macht, wenn das Amt ranzig und | |
der Amtsträger rüstig ist. | |
## Der Saubermann | |
Richard von Weizsäcker, CDU, 1984 bis 1994: Mitte der Sechziger gehörte | |
Weizsäcker der Geschäftsleitung des Chemieunternehmens Boehringer Ingelheim | |
an, wo seinen Biografen Werner Filmer und Ernst Schwan zufolge "keine | |
wichtige Unternehmensentscheidung" ohne ihn fiel. Als bekannt wurde, dass | |
die Firma Bestandteile des Entlaubungsmittels Agent Orange, an dessen | |
Einsatz die Vietnamesen bis heute leiden, in die USA geliefert hatte, ließ | |
Weizsäcker wissen, er habe davon nichts gewusst. Als Adjutant des | |
Regimentkommandeurs war Weizsäcker am Überfall auf die Sowjetunion | |
beteiligt. Vom Treiben der SS-Einsatzgruppen hinter der Front, so ließ er | |
später wissen, habe er nichts gewusst. | |
Als 1991 ein Mitarbeiter des Sterns eine Geschichte über Kriegsverbrechen | |
recherchierte, die Soldaten von Weizsäckers 23. Infanteriedivision begangen | |
hatten, ließ dieser wissen, er habe davon nichts gewusst - ebenso wie er | |
nichts darüber wusste, warum der Stern die Geschichte plötzlich nicht mehr | |
drucken wollte. Dabei verdankt Weizsäcker seinen tadellosen Ruf vor allem | |
der Rede, die er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hielt: "Der 8. Mai war | |
ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden | |
System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", sagte er, und man | |
möchte ihm heute noch zurufen: Potzblitz, darauf muss man erst mal kommen! | |
Befreit wurde nach Weizsäckers Lesart auch sein Vater Ernst, | |
SS-Brigadeführer und wegen der Deportation von 6.000 französischen Juden | |
nach Auschwitz zu fünf Jahren Haft verurteilter Staatssekretär im | |
Auswärtigen Amt. Richard stand seinem Vater als Hilfsverteidiger zur Seite, | |
und hält das Urteil immer noch für ungerecht. Ernst von Weizsäcker hatte | |
sich übrigens in Nürnberg damit verteidigt, von den Vorgängen in Auschwitz | |
habe er nichts gewusst. | |
## Der Richter | |
Roman Herzog, CDU, 1994 bis 1999: Nazi war Herzog nicht, er ließ sich nur | |
von welchen fördern: von NS-Marinerichter Hans Filbinger etwa, der ihn 1978 | |
ins baden-württembergische Kabinett holte; oder seinem Doktorvater Theodor | |
Maunz, der erst das "Judentum in der Rechtswissenschaft" bekämpfte, dann | |
zum einflussreichen Grundgesetzkommentator aufstieg und bis zu seinem Tod | |
1993 anonym für die Nationalzeitung schrieb. | |
Herzog brachte es bis zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und | |
erläuterte als solcher, dass das verfassungsmäßige Verbot der Todesstrafe | |
nicht etwa das bedeute, was der Laie darunter versteht (ein Verbot der | |
Todesstrafe). Als Bundespräsident hielt er 1997 die erste "Berliner Rede" | |
eines Bundespräsidenten, die in Ton und Inhalt an ältere Berliner Reden | |
erinnerte: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied | |
nehmen von lieb gewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle | |
müssen Opfer bringen." Dann übernahmen Schröder, Fischer und Hartz. | |
## Der Frömmler | |
Johannes Rau, SPD, 1999 bis 2004: Kein anderer späterer Bundespräsident | |
fühlte sich bereits als junger Mann derart zur Schulmeisterei und also zum | |
Amte berufen wie Rau. Als Redakteur evangelischer Magazine belehrte er | |
junge Leute über den gottgefälligen Lebenswandel. Als Bundespräsident eilte | |
ihm der Ruf voraus, er halte große Reden und erzähle famose Witze. Diesen | |
etwa: "Karl-Otto, warum warst du nicht auf der letzten | |
Ortsvereinsversammlung?" - "Wenn ich gewusst hätte, dass es die letzte ist, | |
wäre ich gekommen." | |
Gar nicht witzig hingegen meinte Rau so was: "Die Welt mag im Argen liegen, | |
aber da soll sie nicht liegen bleiben." Als ein paar Schummeleien (eine | |
Geburtstagsfeier und private Flugreisen auf Kosten der WestLB) aus seiner | |
Zeit als Ministerpräsident von NRW herauskamen, korrigierte er seine | |
Aussagen so lange, bis die Öffentlichkeit eingelullt und - für einen | |
Berufsprotestanten das Wichtigste - sein Gewissen rein war. | |
## Der Banker | |
Horst Köhler, CDU, 2004 bis 2010: Als Staatssekretär war Köhler daran | |
beteiligt, im Zuge der Wiedervereinigung die Sozialkassen zu ruinieren, | |
später gab er als IWF-Direktor den darbenden Argentiniern den Rest. Als | |
Bundespräsident aber wollte er mehr sein als ein Sparkassenfilialleiter, | |
weshalb er sich fatalerweise seinen Vorgänger statt zur Warnung zum Vorbild | |
nahm: "Ich will den Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sehen wie einen | |
Baum mit Wurzeln an beiden Enden des Stammes. Die Wurzeln des Vereins sind | |
in Hamburg verankert. Aber der Verein hat es geschafft, auch in Afrika | |
Wurzeln zu schlagen." | |
So ging das in einem fort. Köhler sprach von festen, tiefen, langen und | |
verzweigten Wurzeln, von kulturellen, historischen, religiösen, beruflichen | |
und ethischen, von einheimischen Wurzeln und von Wurzeln von weit her. Als | |
er seinen Wurzelrednerjob schmiss, waren die Medien keinesfalls | |
erleichtert, sondern warfen ihm vor, er habe damit, na klar, das "Amt | |
beschädigt". | |
## Der Wulff | |
Christian Wulff, CDU, seit 2010: Ja, und dann der. | |
3 Feb 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=s3HvMnYnGcA&feature=related | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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