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# taz.de -- Die Politik in Berlin nach Wulff: Wetterleuchten für Schwarz-Rot
> Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wahl eines neuen Bundespräsidenten
> die Koalition in Berlin beeinflusst. Derzeit spricht demnach alles für
> eine Große Koalition.
Bild: Farben, die vielleicht in Kombination wieder in Mode kommen: Schwarz und …
Drei Stunden bevor der Bundespräsident zurücktrat, sagte der Grüne Jürgen
Trittin etwas Ungewöhnliches. Wulff solle doch sein Amt ruhen lassen. Keine
donnernde Rücktrittsforderung, kein Frontalangriff auf den CDU-Mann, den
immerhin die Staatsanwaltschaft im Visier hat. Dass Trittin, sonst für
parteipolitische Rempeleien durchaus zu haben, so sanft redete, war kein
Zufall.
In dem Präsidenten-Suchspiel, das nun läuft, sind die Grünen eher
Nebendarsteller. Wer der nächste Bundespräsident wird, entscheiden
Sozialdemokraten und Christdemokraten. Natürlich muss die Union jetzt ganz
nett zur FDP sein, die SPD muss ganz deutlich zeigen, dass sie es nie
zulassen wird, dass Merkel Rot-Grün spaltet. Doch wer BundespräsidentIn
wird, das knobeln Union und Sozialdemokraten aus, nicht Trittin und Rösler.
So sieht es aus, das Wetterleuchten der großen Koalition.
Bundespräsidenten-Wahlen haben in der Bundesrepublik schon öfters vorweg
genommen, was sich machtpolitisch später realisierte. Heinemann war 1968
der Vorschein der sozialliberalen Koalition und des Endes des CDU-Staates.
Köhlers Wahl verdeutlichte 2004 die Agonie der späten Schröder-Ära und nahm
den Sieg von Schwarz-Gelb vorweg.
Nun muss, was früher so war, nicht wieder so werden. Aber es gibt noch mehr
Zeichen, die andeuten, dass Große Koalitionen in Mode kommen. In Berlin
beharkten sich Grüne und SPD mit solcher Inbrunst, dass Wowereit lieber mit
der CDU regiert. Im Saarland haben sich SPD und CDU faktisch auf ein
Bündnis festgelegt - egal wie die Wahl im März ausgeht. Zieht man
landespolitische Eigenheiten ab, die immer den letzten Auschlag geben,
tritt ein Muster hervor: In Krisenzeiten wirkt eine Art Magnetismus der
Mitte.
## Linke Selbstblockade
Wenn man durchspielt, welche Koalitionen nach der Bundestagwahl 2013
möglich sind, ist das Ergebnis ernüchternd. Rot-Rot-Grün ist
ausgeschlossen, weil SPD und Linkspartei einen Abnutzungskrieg
gegeneinander führen. Das ist bedauerlich, weil dieser Regierung am ehesten
eine energische Regulierung der Finanzmärkte zuzutrauen wäre. Doch die
Selbstblockade der deutschen Linken, die 2005 noch als etwas Temporäres,
Veränderliches erschien, ist in kalter Routine erstarrt.
Schwarz-Grün ist nach dem Scheitern in Hamburg und Saarbrücken in die Ferne
gerückt. Es bleiben zwei realistische Möglichkeiten: Rot-Grün und die Große
Koalition. Es sieht derzeit nicht danach aus, dass Rot-Grün sich als nach
vorne drängende Reformregierung präsentieren wird, die selbstbewusst nach
der Macht greift, um endlich den Mehltau der Merkel-Ära zu vertreiben. Der
ansonsten rauflustige Sigmar Gabriel hat - eineinhalb Jahre vor der Wahl! -
schon die Losung ausgegeben, die SPD werde keinen Wahlkampf gegen Merkel
machen.
Dazu passt, welche Kandiaten die SPD in petto hat. Peer Steinbrück und
Frank-Walter Steinmeier sind für Wahldesaster historischen Ausmaßes
verantwortlich. Höhepunkt beider Karrieren war, dass sie unter Angela
Merkel Minister sein durften. Es wird nicht einfach, dem Publikum mit
diesem Personal die Dringlichkeit eines Regierungswechsels vor Augen zu
führen. Bei der Wahl zwischen Steinbrück und Merkel geht es weniger um die
Alternative links oder rechts, mehr Staat gegen mehr Markt - sondern eher
um die Frage, ob man lieber von jemand mit schlechter oder guter Laune
regiert wird.
## Pragmatismus der Macht
So strebt alles, wie von unsichtbarer Hand geschoben, in die Mitte. Und
dort schwebt die Kanzlerin über allem. Man staunt gar nicht mehr, wie es
ihr gelingt stürzende Bundespräsidenten und halsbrecherische Wendemanöver
wie den Atomausstieg zu überleben. Egal, was geschieht, am Ende nutzt es
ihr. Das ist kein Zufall, sondern das Bewegungsgesetz der postideologischen
bundesdeutschen Politik. Merkel praktiziert einen freundlichen
Machtpragmatismus, eine Art Sozialtechnologie mit menschlichem Antlitz.
Opportunismus ist in diesem Konzept kein moralischer Makel mehr, sondern
die Fähigkeit, geschickter und schneller als andere das Unabänderliche zu
erkennen.
Wir werden von einer präsidialen Konsens-Kanzlerin regiert. Wir werden bald
offenbar von einem Konsens-Bundespräsidenten repräsentiert. Die Große
Koalition 2013, mit eifrigen sozialdemokratsichen Ministern und unter der
weisen Führung von Angela Merkel, wäre da nur eine logische Folge. Die
Mitte war schon immer der mythische Ort bundesdeutscher Politik, zu dem
fast alle streben. Aber so mächtig, so raumgreifend, so metastasenartig war
die Mitte selten.
## Schutz in der Masse
Wenn Gefahr droht, suchen Lebewesen oft Schutz in der Masse. Das ist eine
Art atavistischer Reflex - für Demokratien ist das allerdings keine
nützliche, sondern eine gefährliche Antwort auf Bedrohungen. Demokratien
brauchen Rede und Gegenrede und den offenen, harten Streit zwischen
Interessensgruppen. Sie brauchen nicht Feindschaft, sondern die in Formen
zivilisierte Gegnerschaft. Wenn eine Demokratie dauerhaft keine
Alternativen hervorbringt und den Bürgern nur noch die Wahl zwischen dem
fast Gleichen bleibt, läuft sie leer. Sie schrumpft zur Verwaltung von
Sachzwängen.
Die Wahl ist das Schlüsselereignis der parlamentarischen Demokratie, in dem
die Bürger die Macht delegieren. Wenn aber die Regierung, wie nun im
Saarland, eigentlich schon vor der Wahl festzustehen scheint, wird dieser
Akt hohl. Die Politik ist derzeit bedroht, mehr als sonst. Sie scheint in
der Krise des globalen Finanzkapitalismus Reputation und Rolle zu
verlieren. Die Staatenlenker wirken oft wie hilflose
Versicherungsvertreter, die - immer zu spät, nie ausreichend - die
Schadensfälle begleichen müssen, die die Finanzmärkte hinterlassen.
Gerade in dieser Lage müsste Politik zeigen, dass es um mehr als den
Vollzug des Unabänderlichen geht und Alternativen zur Wahl stehen - soziale
und elitäre, eher linke, eher rechte. In Merkels Gemütlichkeits-Republik
läuft die Konsensmaschine störungsfrei. Die Opposition arbeitet konstruktiv
mit. Alle Widersprüche scheinen rundgeschliffen. Und Angela Merkel scheint
zur ewigen Kanzlerin zu werden.
19 Feb 2012
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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