| # taz.de -- Debatte über Abschiebungen: Die Realitätsverweigerer der Union | |
| > Die Union will von Mahnungen ihres Außenministers zur Lage in Syrien | |
| > nichts wissen. Diesen Fehler hat Deutschland schon einmal gemacht. | |
| Bild: „Wir haben natürlich immer noch im Stadtbild dieses Problem“: Damask… | |
| Offensichtlicher geht es eigentlich gar nicht mehr. Die CDU betreibt | |
| komplette Realitätsverweigerung. Kompetenz, Abwägung, Ortskenntnis gar | |
| spielen keine Rolle mehr. Das einzige, was zählt, ist populistischer | |
| Rassismus, der Abschiebungen als Allheilmittel für sämtliche Probleme der | |
| Republik anpreist. Ganz egal, ob sie nun real sind oder allenfalls gefühlt. | |
| Anders ist das seit Tagen anhaltende öffentliche Abwatschen von | |
| Bundesaußenminister Johann Wadephul nicht mehr zu erklären. Der ist der | |
| bisher ranghöchste Christdemokrat, der ins Nachbürgerkriegs-Syrien gereist | |
| ist. [1][Er hat sich vor Ort kundig gemacht und festgestellt: Wir haben ein | |
| Problem.] Im Angesicht der Ruinen einer völlig zerstörten Vorstadt von | |
| Damaskus kam ihm die logische Erkenntnis, dass man dorthin vorerst keine | |
| Menschen abschieben sollte. | |
| Doch in der Union will man davon nichts wissen. Bundeskanzler Friedrich | |
| Merz verkündete prompt, [2][dass „selbstverständlich“ nach Syrien | |
| abgeschoben werden könne]. Wadephul [3][sagte daraufhin in der Fraktion, | |
| Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945]. Wohl in der Annahme, dass | |
| seine Fraktionskolleg:innen sich vielleicht besser mit deutscher | |
| Geschichte als mit der Lage in Nahost auskennen. Aber die Folge war: Noch | |
| mehr Aufregung. | |
| Denn von den versprochenen Abschiebungen will die Union, die sich ja schon | |
| im Wahlkampf den Xenophoben als [4][Alternative zur Alternative für | |
| Deutschland] angepriesen hat, auf gar keinen Fall abbringen lassen. Schon | |
| gar nicht durch ein ruiniertes Stadtbild in einem Vorort von Damaskus. Man | |
| darf mittlerweile davon ausgehen, dass weite Kreise der Union das nicht | |
| machen, um die AfD zu stoppen, sondern weil sie aus tiefstem Herzen | |
| rassistische Abschottung einer menschenzugewandten Problemlösung vorziehen. | |
| Angelegt wurde die Möglichkeit zur massiven Abschiebung schon vor fast | |
| einem Jahrzehnt. Bis Anfang 2016 hatten fast alle aus Syrien Geflüchteten | |
| in Deutschland Asyl bekommen – und damit einen sicheren, dauerhaften | |
| Aufenthaltsstatus, der die Basis für gelungene Integration ist. Dann aber | |
| verabschiedete die damalige schwarz-rote Bundesregierung unter Angela | |
| Merkel [5][das sogenannte Asylpaket II.] Syrer:innen bekamen fortan in | |
| der Regel kein Asyl mehr, sondern nur noch den sogenannten subsidiären | |
| Schutz. Auf gut Deutsch bedeutet dies: Sie dürfen bleiben, solange Krieg | |
| ist. Aber dann eben nicht mehr. | |
| Mit anderen Worten: Das ist eine lange vorbereitete | |
| Integrationsverweigerung von oben. Sie lässt die Betroffenen in einem | |
| Schwebezustand, in jahrelanger Unsicherheit – die auf vielen Ebenen die | |
| Probleme, die Migrationskritiker:innen heute aufstoßen, erst | |
| geschaffen hat, statt sie zu beseitigen. | |
| Und es ist die Wiederholung einer fatalen Politik, [6][die schon in den | |
| 1990er Jahren gegenüber den aus Bosnien Geflüchteten angewendet wurde.] Den | |
| Rechtstitel des subsidiären Schutzes gab es damals zwar noch nicht, das | |
| Vorgehen aber war ähnlich. Bosnier:innen erhielten eine Duldung. Die | |
| mehrfach verlängert wurde. Bis irgendein Entscheider in einer | |
| Ausländerbehörde entschied, dass es jetzt aber mal reicht. | |
| Die Konsequenz: reihenweise Abschiebungen von [7][ganzen] oder [8][auch] | |
| nur [9][halben Familien]. Jugendliche, die allenfalls als Kleinkind in | |
| Bosnien gelebt hatten oder sogar in Deutschland geboren waren, die von der | |
| Polizei aus Schulen geholt und in Abschiebeflieger gesteckt wurden. All das | |
| lief fast immer nach Recht und Gesetz. Und war und bleibt dennoch absolut | |
| unmenschlich. | |
| ## Alles muss raus, wenn nötig auch Wadephul | |
| Denn Flüchtlinge sind Menschen. Sie bauen soziale Bindungen auf. Sie | |
| entwickeln ein Gefühl für ein Zuhause, auch wenn die Regierung das nicht | |
| vorsieht. Unionsfraktionschef Jens Spahn will Syrer:innen gar zum | |
| Wiederaufbau in Syrien verdonnern, weil das angeblich patriotisch sei. | |
| Deshalb werden Massenabschiebungen nach dem Modell Bosnien nun von Merz, | |
| Spahn, Dobrindt und Co. wortstark vorangetrieben. Alles muss raus, raus, | |
| raus. Und falls er dem weiter widersprechen sollte, dann eben selbst | |
| Außenminister Wadephul, der die Frechheit hat, seine | |
| Parteikolleg:innen an die Realität, an das Machbare, vielleicht sogar | |
| an einen letzten Krümel christlichen Humanismus zu erinnern. | |
| 5 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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