| # taz.de -- Mitte-Studie der Ebert-Stiftung: 76 Prozent gegen Rechtsextremismus | |
| > Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland haben abgenommen. Aber rund 20 | |
| > Prozent stimmen nationalchauvinistischen Aussagen zu. | |
| Bild: Protest hilft: Jeder Zweite ist laut der Mitte-Studie bereit, etwas für … | |
| Die gute Nachricht zuerst: Gut drei Viertel der Menschen in Deutschland | |
| lehnen extrem rechte Einstellungen ab – nämlich 76,1 Prozent. Unterm Strich | |
| hält die diesjährige Mitte-Studie unter der Überschrift „Die angespannte | |
| Mitte“ viel Ambivalenz fest: Die Mehrheit ist demokratisch eingestellt und | |
| sorgt sich wegen des zunehmenden Rechtsextremismus. | |
| Aus ihren Sorgen vor dem Rechtsextremismus leiten viele Befragte laut dem | |
| Forschungsteam um den Sozialwissenschaftler Andreas Zick von der | |
| Universität Bielefeld durchaus Handlungen ab: Jeder Zweite sei bereit, | |
| selbst etwas gegen Rechtsextremismus zu tun, weitere 25 Prozent stimmten | |
| dem teils zu. 61 Prozent forderten mehr politische Bildung, weitere 23 | |
| Prozent befürworteten das zumindest teilweise. | |
| Zugleich sei eine zunehmende Normalisierung antidemokratischer und | |
| menschenfeindlicher Aussagen festzustellen – eben bis weit in die | |
| sogenannte Mitte hinein. Und hier sind wir bei der schlechten Nachricht: | |
| 19,8 Prozent stimmen nationalchauvinistischen Aussagen zu, ein Viertel der | |
| Bevölkerung meint gar: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige | |
| starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“ | |
| Trotz der derzeit hohen Umfragewerte der extrem rechten AfD stellte die | |
| Studie weniger Menschen mit rechtsextremem Weltbild fest als vor zwei | |
| Jahren. Während 2022/23 rund 8 Prozent klar rechtsextrem eingestellt waren, | |
| waren es nun 3,3 Prozent – der Wert lag also ungefähr auf | |
| Vorpandemie-Niveau aus den Jahren von 2014 bis 2021. Damals lagen die Werte | |
| zwischen 2 und 3 Prozent. | |
| Allerdings sei auch jede fünfte Person ambivalent gegenüber rechtsextremen | |
| Aussagen – eben in diesem Graubereich von 20 Prozent zeige sich eine | |
| Offenheit für antidemokratische Orientierungen, heißt es in der Studie. | |
| Zudem ist die Zustimmung für nationalchauvinistische Aussagen leicht | |
| angestiegen. So denken 23 Prozent: „Das oberste Ziel der deutschen Politik | |
| sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm | |
| zusteht.“ Und 15 Prozent sagen: „Wir sollten einen Führer haben, der | |
| Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.“ | |
| ## Wachsende Zweifel am Funktionieren der Demokratie | |
| Während 70 Prozent der Befragten Rechtsextremismus als Bedrohung für | |
| Deutschland sehen, halten 22 Prozent das Problem für medial „hochgekocht“ | |
| oder sie verharmlosen Rechtsextremismus. Keine Überraschung: Wer | |
| Rechtsextremismus verharmlost, ist selbst häufiger rechtsextrem eingestellt | |
| und billigt häufiger den Einsatz politischer Gewalt. | |
| Optimistisch stimmt, dass eine große Mehrheit, 79 Prozent, sich als | |
| „überzeugte Demokraten“ bezeichnet. Zugleich wachsen aber Zweifel am | |
| Funktionieren der Demokratie – nur noch 52 Prozent finden, die Demokratie | |
| funktioniere „im Großen und Ganzen gut“, 24 Prozent wiederum verneinen das. | |
| Ambivalenz gibt es auch bei den Grundrechten: Demnach sagen 88 Prozent | |
| aller Befragten, dass die Würde und Gleichheit aller an erster Stelle | |
| stehen sollte – zugleich sagt ein Drittel, dass man „im nationalen | |
| Interesse nicht allen die gleichen Rechte gewähren“ könne. Ein Viertel | |
| sagt, es werde zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen. | |
| ## Die verrohte Mitte | |
| Eine weitere Konstante bleibt die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: 36 | |
| Prozent unterstellten [1][Geflüchteten Sozialmissbrauch]. Ebenso viele | |
| Leute stimmten der Aussage zu, dass Langzeitarbeitslose sich „auf Kosten | |
| der Gesellschaft ein bequemes Leben“ machten. Ambivalente und uneindeutige | |
| Haltungen zu antisemitischen, rassistischen, sexistischen, klassistischen | |
| und transfeindlichen Aussagen zeugten laut Studienautor*innen davon, | |
| dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit fest in der Mitte verankert | |
| bliebe. | |
| Eine Brücke zu solchen menschenfeindlichen Einstellungen und | |
| antidemokratischen Orientierungen stellten dabei Nützlichkeits- und | |
| Leistungslogiken dar. Ein Viertel der Befragten vertritt demnach eine | |
| libertär-autoritäre Ideologie mit neoliberalen, hyperindividualistischen | |
| und autoritären Gesellschaftsbildern. Diese Gruppe neige stärker zu einem | |
| rechtsextremen Weltbild (13 Prozent). | |
| Vor dem Hintergrund [2][der voranschreitenden Klimakrise] erschreckend: Nur | |
| noch 56 Prozent der Befragten sehen den Klimawandel als „eine große | |
| Bedrohung für das Land“ – zuletzt lag der Wert noch bei 70 Prozent. | |
| ## Was gegen Rechtsextremismus hilft | |
| Klare Empfehlungen gegen Rechtsextremismus beinhaltet die Studie auch: Das | |
| Forscherteam empfiehlt verstärkte Bildung – „wobei es insbesondere auf | |
| Mündigkeit, Autonomie, Demokratieerfahrungen ankommt sowie auf Politik- und | |
| Digitalkompetenz ausgelegte Bildungs-, Erziehungs- und | |
| Sozialisationssettings in Schulen“. | |
| Ebenso sollte der Sozialstaat nach Ansicht der Wissenschaftler gestärkt | |
| werden: „Reale Verteilungsfragen und Gerechtigkeitsdefizite sollten | |
| adressiert und bearbeitet werden, wobei Solidarität als zentrale | |
| Bewertungskategorie von Politik zu betrachten wäre, etwa in Fragen der | |
| Asyl-, Migrations-, Gleichstellungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik“, wie | |
| es in einer Kurzzusammenfassung der Studie heißt. | |
| Laut dem ehemaligen Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, der | |
| mittlerweile der Friedrich-Ebert-Stiftung vorsitzt, fresse sich die | |
| antidemokratische und menschenfeindliche Stimmungsmache langsam in die | |
| Mitte der Gesellschaft. Die Aufgabe für politisch Verantwortliche und die | |
| Zivilgesellschaft sei klar: „Gegenhalten!“, so Schulz. | |
| Mandatsträger*innen auf allen Ebenen müssten mit den Mitteln der | |
| Demokratie das Alltagsleben der Menschen spürbar verbessern – für Schulz | |
| bedeute das ganz konkret, „dass beispielsweise die Kommunen so gut | |
| ausgestattet sind, dass sie für die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen | |
| sorgen können“. Ein starker Sozialstaat sei dabei ein Schutz für die | |
| Demokratie – „denn wir brauchen beste Bildung und gute Infrastruktur für | |
| alle, gerade auch für die Kinder aus weniger wohlhabenden Familien“. | |
| Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung erhebt seit 2006 im Zweijahresabstand | |
| mit verschiedenen Wissenschaftler*innen Umfragen zur Verbreitung von | |
| extrem rechten Einstellungen. Für die jüngste Auswertung befragte sie 2.001 | |
| Personen der „Wohnbevölkerung“ zwischen dem 30. Mai und dem 4. Juli 2025. | |
| 82 Prozent der Befragten lebten in Westdeutschland, 17 Prozent im Osten der | |
| Republik. Befragt wurden zu 70 Prozent deutsche Staatsangehörige, deren | |
| Eltern ebenfalls in Deutschland aufwuchsen oder deutsche Staatsbürger sind. | |
| 30 Prozent der Befragten haben einen Migrationshintergrund oder Eltern mit | |
| Einwanderungsgeschichte. Darunter sind wiederum Menschen mit deutscher | |
| Staatsbürgerschaft und teils auch ohne. | |
| 6 Nov 2025 | |
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| Gareth Joswig | |
| Stefan Reinecke | |
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