| # taz.de -- Dokumentarfilm „Palliativstation“: Reisereportage vom Übergang | |
| > Filmemacher Philipp Döring begleitet so diskret wie ungeschützt unheilbar | |
| > kranke Menschen. Und er zeigt die Arbeit derer, die ihnen helfen. | |
| Bild: Die Bereitschaft zu Empathie ist elementar: Szene aus „Palliativstation… | |
| An Kranksein und Tod zu denken, ist nicht angenehm. Auch wenn darauf in der | |
| modernen Gesellschaft kein Tabu im eigentlichen Sinn liegt, sind es Themen, | |
| die man eher vermeidet. Sie bleiben unerkundet. Wenn man dann selbst schwer | |
| erkrankt, kann es sich anfühlen, als ob man ein fremdes Land betritt. | |
| [1][Der streitbare Publizist Christopher Hitchens] sprach vom „land of | |
| malady“ und „Tumortown“, wohin er sich nach der eigenen Krebsdiagnose | |
| plötzlich versetzt fühlte. Es ist eine Welt mit eigener Sprache, eigenen | |
| Abläufen, eigenem Geruch und besonderen Menschen. | |
| In der Verlängerung dieser Metapher könnte man [2][Philipp Dörings | |
| vierstündigen Dokfilm „Palliativstation“] als Reisereportage begreifen. Es | |
| wäre schön, wenn diese Metapher den Zugang erleichtert und die Angst vorm | |
| Thema nimmt. Denn „Palliativstation“ macht das, was nur die besten | |
| Reisereportagen können: Der Film lässt an der Erfahrung, dort gewesen zu | |
| sein, teilhaben. | |
| Mehrere Monate hat Döring in der Palliativabteilung des | |
| Franziskus-Krankenhauses in Berlin gedreht. Fast jeder hier dürfte schon | |
| mal daran vorbeigefahren sein, es liegt mitten in der alten Weststadt, | |
| unweit von KaDeWe und Zoologischem Garten. Döring beginnt seinen Film mit | |
| Aufnahmen von „draußen“, vom Tauentzien und der Kurfürstenstraße, bevor … | |
| das fremde Territorium, „the land of malady“ betritt. | |
| Der Übergang ist so sanft wie möglich gestaltet, die Kamera ist zunächst | |
| eher Zaungast. Man schaut vom Flur in ein Krankenzimmer, wo ein Arzt mit | |
| einem Patienten spricht, den man nicht sieht und kaum hört. Der Arzt sitzt | |
| mit dem Rücken zur Kamera am Bett, aber seine an den Patienten gerichteten | |
| Erklärungen sind deutlich zu vernehmen. | |
| Der Inhalt seiner Erläuterung dient gleichzeitig als Einführung in die | |
| Aufgaben und Grundkonflikte der Palliativmedizin. Sie stellt eine | |
| Übergangsstation dar: Hier wird denjenigen geholfen, die den Status | |
| „unheilbar“ bekommen haben, für die es kein Zurück mehr gibt ins gesunde | |
| Leben, sondern allenfalls eine Aufschiebung vor dem Tod. Ziel ist es, die | |
| Patient*innen so gut zu versorgen, dass sie entweder gekräftigt noch | |
| einmal nach Hause können oder aber von hier ins Hospiz gehen. | |
| Letzteres steht für die Tatsache, dass es ans Sterben geht. Auch wenn der | |
| verständnisvolle Arzt versucht, seinem Patienten die Angst vor diesem | |
| Schritt zu nehmen: Er könne auch aus dem Hospiz noch einmal nach Hause, | |
| wenn er das wolle. Es ist ihm wichtig, klarzustellen, dass der Patient ein | |
| Mitspracherecht hat. | |
| Man begreift aus diesem überhörten Gespräch eine ganze Menge: dass jede | |
| Entscheidung in dieser Lage nur vorläufig sein kann, dass jede Besserung | |
| nur temporär ist und jederzeit mit Verschlechterungen gerechnet werden | |
| muss. Deutlich wird aber auch, wie elementar es sich anfühlt, dass die | |
| nicht mehr zu heilenden Patient*innen über die letzten Maßnahmen immer | |
| noch mitentscheiden, mitsprechen können und nicht einfach über sie hinweg | |
| verfügt wird. | |
| ## Mit Einverständnis der Betroffenen gefilmt | |
| In den vier Stunden, die Dörings Film dauert, lernt man einige wenige | |
| Patient*innen näher kennen. Es gehört Mut dazu, sich in dieser | |
| Situation von Verwundbarkeit und Schwäche filmen zu lassen. Mit Dankbarkeit | |
| registriert man Dörings Bemühen, bei aller intimen Nähe doch noch | |
| Diskretion zu wahren. Nicht alle Gespräche werden mit Mikrofon aufgenommen, | |
| manche Äußerungen bleiben ausgeblendet, und wichtiger noch: Es gibt keine | |
| „verstohlenen“ oder heimlichen Blicke. Was Döring filmt, filmte er | |
| sichtlich mit Wissen und Einverständnis der Betroffenen. | |
| Das schafft eine Sphäre des Vertrauens auch für den Zuschauer. Döring legt | |
| es nicht darauf an, das Publikum zu schocken. Was man heraushört aus den | |
| Gesprächen über und mit den Patient*innen ist oft erschreckend genug, | |
| man braucht keine Bilder der offenen Wunden oder wachsenden Tumoren. An | |
| einer Stelle – Döring filmt immer wieder auch die Besprechungen unter | |
| Ärzt*innen oder in anderen Bereichen der Administration – werden die | |
| besonderen Anforderungen ans Pflegepersonal einer Palliativstation | |
| beschrieben. Man darf nicht zimperlich sein, hört man heraus. | |
| Was nicht zu verwechseln wäre mit Grobschlächtigkeit. Denn andererseits ist | |
| die Bereitschaft zu Empathie absolut elementar. Dafür braucht es Zeit. | |
| Immer wieder zeigt Döring, wie das Pflegepersonal mit Handauflegen | |
| arbeitet. Die Hände signalisieren Zuwendung, Geduld, Zusprache. [3][Auf | |
| einer Versammlung werden aber auch Klagen über den Kostendruck laut, dem | |
| auch dieses Krankenhaus ausgesetzt ist und der es dem Personal immer | |
| schwerer macht, sich die nötige Zeit für die einzelnen Patient*innen zu | |
| nehmen]. | |
| ## Keine falschen Hoffnungen | |
| Die Dinge werden hier nicht schöngeredet. Im Gegenteil, Döring belässt den | |
| Gefühlen von Trauer und Schmerz ihren Raum. Unweigerlich stellen sie sich | |
| ein, wenn es kein Zurück ins Land der Gesunden mehr gibt. Betroffen sind | |
| davon nicht nur die Patienten selbst, sondern auch ihr Umfeld. Gleich in | |
| der ersten Stunde lernt man eine Frau kennen, deren große, sie belastende | |
| Sorge gar nicht sich selbst gilt, sondern ihrem Mann. Wenig später sieht | |
| man auch ihn im Beratungsgespräch, so sichtlich bestürzt, überfordert und | |
| in Trauer, dass man den Schmerz der Frau gut versteht. | |
| „Palliativstation“ ist kein Film, der falsche Hoffnungen macht. „Es ist, | |
| was es ist“ – an einer der Stelle liest eine Pflegekraft in einer | |
| Mitarbeiterversammlung Erich Frieds bekanntes Gedicht wie ein Gebet vor: | |
| „Es ist lächerlich sagt der Stolz/Es ist leichtsinnig sagt die Vorsicht/Es | |
| ist unmöglich sagt die Erfahrung/Es ist was es ist sagt die Liebe“. | |
| Die Diskretion und Zurückhaltung bei gleichzeitiger Aufgeschlossenheit und | |
| Einfühlsamkeit, die Dörings Film auszeichnen, gleichen mehr als aus, dass | |
| keine der Geschichten, die man hier mitbekommt, ein gutes Ende im | |
| traditionellen Sinn findet. Es gibt keine Wunderheilungen und auch kein | |
| „Trotz alledem“, das Menschen kurz vor dem Tod noch schnell glücklich | |
| macht. „Palliativstation“ berührt, weil er auf so ehrliche, ungeschützte | |
| Weise Essenzielles zeigt. | |
| ## Medizinische Details bleiben außen vor | |
| Da sind die Angehörigen, die sich kümmern, auch wenn sie selbst kaum mehr | |
| können – „Mein 80-jähriger Bruder!“, betont ein Kranker –, da sind ab… | |
| auch richtige Katastrophenlagen: Bei einer Patientin verstirbt der Mann | |
| während ihrer Palliativbehandlung, und im ersten Schock denkt sie an | |
| Banalitäten wie die Notwendigkeit des Autoabmeldens. Aber mit schier | |
| unglaublicher Kraft fasst sie sich wieder, völlig ohne Selbstmitleid. „Ich | |
| hab ein gutes Leben gehabt“, sagt sie. Der Arzt versteht, dass es ein | |
| unglaublich hartes Leben gewesen sein muss, das sie so pragmatisch werden | |
| ließ. | |
| Die medizinischen Details und Einzeldiagnosen lässt der Film außen vor. | |
| Döring konzentriert sich auf das Gefühl der einzelnen Patient*innen. Ein | |
| Herr trauert darum, dass ihm der normale Bezug zur Zeit verloren gegangen | |
| ist. Immer öfter weiß er gar nicht, wie spät es ist. Ob es ihm besser geht, | |
| wenn immer wieder jemand reinschaut und ihm den Tag und die Uhrzeit sagt? | |
| Der kluge Arzt hört die Angst vor dem Selbstverlust heraus und versucht, | |
| ihm zu versichern, dass er er selbst bleibe, auch wenn er schwächer wird, | |
| auch wenn der Tod näher kommt. | |
| Zweifellos löst „Palliativstation“ nicht nur angenehme Gefühle aus, aber | |
| ihre Intensität steht für eine tiefe Erfahrung. Und nicht zuletzt ist | |
| Dörings Dokumentation ein ungeheuer wichtiger Film gerade in diesen Zeiten, | |
| in denen mancherorts die „Effizienz“ von medizinischer Versorgung für Alte | |
| und Todkranke angezweifelt wird. | |
| 18 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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